Black Widow

Wie wurde aus Natasha Romanoff die sagenumwobene Black Widow? Als erster weiblicher Avenger tritt sie innerhalb des Marvel Cinematic Universe bereits seit ihrem Stelldichein in Iron Man 2 (2010) in Erscheinung und über die Filme hinweg wurden Fans Zeuge kleinerer Romanzen und ihres Schicksals. Wer die Person dahinter ist und wie ihre Geschichte ihren Lauf nahm, erzählt Black Widow von Cate Shortland (Berlin Syndrom). In dem zwischen Captain America: Civil War und Avengers: Infinity War spielenden Film wird Black Widow mit ihrer Vergangenheit konfrontiert, muss alte Familienmitglieder aufsuchen und gleichzeitig jene Organisation stoppen, die sie einst zur Profikillerin ausbildete. Der Film erschien am 8. Juli 2021 parallel in den Kinos und auf Disney+ und kam am 23. September 2021 in den Handel. Wir setzen beim Lesen Kenntnisse über den Ausgang von Avengers: Endgame voraus!

2016: Die Avengers sind offiziell aufgelöst. Die Helden, die sich dem Sokovia-Act nicht unterwarfen, sind eingesperrt oder auf der Flucht. Bisher ist neben Captain America nur noch Natasha (Scarlett Johansson, Ghost in the Shell) auf freiem Fuße.  Ihr auf der Spur ist Secretary Ross (William Hurt, Humans), doch Natasha wird derweil mit den dunklen Kapiteln ihrer Lebensgeschichte konfrontiert. Ihr Widersacher ist der gefährliche Taskmaster, der durch die Imitation der Kampfstile seiner Gegner übermächtig erscheint. Natasha bleibt nichts anderes übrig, als in ihre Vergangenheit als KGB-Agentin einzutauchen. Das bedeutet, zerrüttete Beziehungen aufzuarbeiten, die sie schon lange vor den Avengers hinter sich ließ. Dazu gehört das Wiedersehen mit ihrer Familie, ihren Ersatzeltern Alexei Shostakov (David Harbour, Stranger Things) und Melina Vostokoff (Rachel Weisz, Die Mumie) sowie mit Yelena Belova (Florence Pugh, Midsommar).

Der Beigeschmack der Notwendigkeit

Originaltitel Black Widow
Jahr 2021
Land USA
Genre Action
Regie Cate Shortland
Cast Natasha Romanoff / Black Widow: Scarlett Johansson
Yelena Belova: Florence Pugh
General Dreykov: Ray Winstone
Alexei Shostakov / Red Guardian: David Harbour
Melina Vostokoff: Rachel Weisz
Antonia Dreykov: Olga Kurylenko
Rick Mason: O. T. Fagbenle
Laufzeit 134 Minuten
FSK
Veröffentlichung: 6. Oktober 2021 auf Disney+ / 23. September 2021 auf Disc

Black Widow ist nicht der einfachste Film, um ihn zu besprechen. Denn es gibt viele Punkte, die man dabei nicht außer Acht lassen kann. Wie ein Damokles-Schwert schwebt über dem Film die Frage, warum Black Widow geschlagene zehn Jahre auf ihren ersten (und einzigen) Solo-Film warten musste, während andere Avengers mit bis zu drei Filmen bedient wurden. Ein Umstand, der aber auch bezeichnend für das Marvel Cinematic Universe ist: 17 Filme brauchte es, bis überhaupt ein weiblicher Bösewicht antreten durfte (Hela in Thor: Tag der Entscheidung) und 21 bis zur ersten Solo-Titelrolle (Captain Marvel). Ausholen könnte man an der Stelle weit – von gefloppten Heldinnen (Elektra, Catwoman) in ihren Solofilmen, die zum Misstrauen der Studios führten, bis zum Erfolg von Wonder Woman, der augenscheinlich die Karten in Hollywood neu mischte. Die Zeiten haben sich geändert und die Art der Einführung von Black Widow in Iron Man 2 wirkt rückblickend mittlerweile schon wieder überholt, da sie ausschließlich eine männliche Perspektive bedient und damit tonal weit entfernt von dem Film aus 2021 liegt. Die Existenz von Black Widow wirkt aus vielen Gesichtspunkten wie eine Entschuldigung dafür, dass die Figur, die bereits als vollwertiges Mitglied in The Avengers zu sehen war, bislang im direkten Vergleich zu ihren männlichen Kollegen wenig von sich Preis geben durfte. Um aus feministischem Blickwinkel nicht zu sagen: Wenig, das nicht in Zusammenhang mit persönlichen Bindungen zu Bruce, Clint, Steve oder Tony steht.

Schicksal: vollkommen bekannt

Eine zweite Herausforderung ergibt sich konzeptionell: Auch für ein in die Handlung eingeschobenes Prequel ist das Schicksal der Figur bereits bekannt. Wir wissen, dass Black Widow die dritte Phase des MCU nicht überleben wird. Ob man es nun so möchte oder nicht: Mit dem Wissen nach Erscheinungsreihenfolge nimmt das dem Film einen großen Teil seiner Fallhöhe. Selbstverständlich ist es höchst unwahrscheinlich, dass die Titelheldin ihren eigenen Film nicht überleben könnte. Nur der fade Beigeschmack, der bleibt. Spekulieren kann man an der Stelle, ob Black Widow nicht vielleicht besser an der Position von Captain Marvel aufgehoben gewesen wäre – mit mehr Involvement für das große Finale von Phase 3 und überhaupt als Huldigung ihrer Leistungen über die gesamte Infinity-Saga hinweg. Aber es ist nun, wie es ist. Und vielleicht muss man auch dankbar sein, dass überhaupt noch ein Solofilm erscheint, wenn die Figur eigentlich längst das Zeitliche gesegnet hat. Die Disney-Maschinerie macht es möglich.

Typischer MCU-Showdown

Während sich viele der MCU-Movies einem bestimmten Subgenre zuordnen lassen, fällt die Einteilung bei Black Widow sehr einfach: Mit seinen Action-und Nahkampf-Szenen gesellt sich der Film ins Fach der Bourne-Reihe oder Codename U.N.C.L.E., die Gadgets erinnern mit einem Masken-Gimmick eher an Mission Impossible. Die Action ist ein Punkt, über den es sich breiter zu diskutieren lohnt. Es gibt nämlich den sich über Jahre haltenden Vorwurf, dass jedes MCU-Finale gleich aussieht. Alles kracht, rumst, stürzt in sich zusammen und spielt sich in der Höhe ab. Diesem Klischee wird Black Widow derart gerecht, als sei es der Archetyp einer solchen Inszenierung. Dazu kommt vor allem aber der Fakt, dass Natasha eben nicht Thor und auch nicht Steve ist. Sie ist ein Mensch, besitzt keine Superkräfte. Dennoch stürzt sie sich souverän und elegant durch Trümmerhaufen, als hätte sie sieben Leben (oder einfach nichts mehr zu verlieren). Das sind Momente, in denen es ärgerlich ist, wie wenig darauf Rücksicht genommen wird. Die Action-Szenen befördern oftmals auch die geliebt-gehasste Wackelkamera zu Tage und geben dem Film in Sachen Kamerafahrt hier und da eine unerwartete Indie-Note. Black Widow fühlt sich in vielerlei Hinsicht anders an, als man es aus den anderen Filmen kennt. Leider auch, was die CGI-Effekte anbelangt, denn in diesem Punkt hinterlässt der Film überhaupt keinen guten Eindruck.

Altes Problem neu aufgerollt: Bösewichte für Beginner

Nicht nur, aber insbesondere im Vergleich zu anderen Ablegern des MCUs offenbaren sich die Schwächen des Films. Da ist zum einen Oberbösewicht Dreykov (Ray Winstone, Departed – Unter Feinden). Eigentlich ein fieser Schurke, für den seine Armee an Assassinen nur Werkzeuge sind, die man gegebenenfalls einfach entsorgen kann. Mit Taskmaster zum anderen hat er außerdem eine rechte Hand, deren Fähigkeiten es in sich haben. Während Taskmaster wenigstens in zwei Szenen mit den Kampfkünsten einen Eindruck hinterlassen kann, gibt es von Dreykov nichts zu sehen. Dreykov aber wird vom Drehbuch derart vernachlässigt, dass er auch keinen besonderen Plan in die Hände gedrückt bekommt und unterm Strich zu den schwächsten Bösewichten des MCUs gehört, wenn nicht sogar der schwächste Obermotz eines Films.

Erzählerische Paukenschläge bleiben aus

Secretary Ross ist die einzige weitere Figur aus dem bisher bekannten MCU, ansonsten ist Black Widow ein reines Stand-Alone-Abenteuer, auch wenn einige Zusammenhänge erst durch Kenntnis der anderen Filme so richtig klar werden. Die Handlung beginnt mit einem Rückblick auf Natashas Kindheit, die in eine Montage zu einer Meditativ-Version von „Smells Like Teen Spirit“ überleitet, deren Sound im Gegensatz zu Bildern von Gewalt und Menschenhandel steht. Mit dem Sprung in die Gegenwart erweist sich Black Widow dann als erschreckend geradlinig. Waren die MCU-Titel vor allem ab Phase 2 besonders darauf bedacht, hier und dort Nebenhandlungsstränge zu eröffnen, gibt es nur ein Ziel: Das Finden des Red Rooms. Dafür werden die ehemaligen Familienmitglieder rekrutiert und eingesammelt, dann geht es auch schon überraschungsarm auf das Ziel zu. Black Widow kennt keine Abzweigungen oder Nebenhandlungen. Alles bleibt ein klarer Weg geradeaus durch Gegnerhorden. Natasha kommt zwar auf der Weltkarte ein wenig herum (Norwegen, Marokko, Budapest), aber einen größeren Einfluss auf die Handlung hat das Location-Hopping nicht. Im Hintergrund stehen ernste, durchaus realweltliche Themen wie Menschenhandel und die Rekrutierung von Kindern. Damit handelt es sich vielleicht um den unter diesem Gesichtspunkt dramatischsten Stoff bislang. Yelena teilt in einer Szene dabei ihre Erfahrungen. Dass die Tragweite nicht ganz so drückend ist, wird eben dadurch relativiert, dass alles so modelliert ist, dass es noch in einen Superheldenkosmos passt. Aus dem Grund bleibt das Konzept nett gemeint, kann in der Praxis aber auch keine großen Akzente hinterlassen.

Staffelstab-Übergabe

Die stärksten Momente des Films liegen dort, wo es ruhig ist. Nämlich auf der wiedervereinten Familie und den Beziehungen zueinander. Alexei als Red Guardian ist sozusagen das russische Gegenstück zu Captain America und fällt mit seiner Macho-Attitütde auf. Dabei bleiben die Comic-Hintergründe (Natasha war dort mit ihm verheiratet) mal schön im Schrank. Das MCU schreibt wieder eine eigene Geschichte aus der Vorlage. Das große Ausrufezeichen des Teils ist aber Yelena Belova, die – wie die Post-Credits es verlauten lassen und es ohnehin bereits denkbar war – sich auch über den Film hinaus für eine größere Rolle im MCU empfiehlt. Sonst schaut aber kein Hawkeye und auch kein Captain America um die Ecke. Black Widow steht in vielerlei Hinsicht einfach für sich selbst. Mit leichten Anpassungen wäre der Plot auch außerhalb des MCU verwertbar und in Konkurrenz zu Produktionen wie Red Sparrow laufend, was sich über praktisch keinen anderen Beitrag sagen lässt. Florence Pugh darf neben Scarlett Johansson als Cast-Highlight betrachtet werden – auch wenn ihre Figur bislang nur das hergibt, was man von coolen Marvel-Charakteren mit sarkastischen Sprüchen so gewohnt ist. Nette Akzente setzt O-T Fagbenle (Looking) als Ausrüstungsbeschaffer, während Olga Kurylenko (James Bond 007: Ein Quantum Trost) trotz prominenter Nennung in den Credits nur einen besseren Cameo in zwei Szenen hinlegt.

Fazit

Nach all den epischen Auswüchsen der Vergangenheit liegt der filmische Beginn von Phase 4 in einer neuen Bescheidenheit, technisch wie erzählerisch. Es handelt sich um einen Actionfilm, dessen eigentliches Herzstück eine Familienübereinkunft ist. Dem Film fehlt bewusst der Druck, das Erzähluniversum weiterankurbeln zu müssen. Unter diesem Gesichtspunkt tut es tatsächlich gut, mal wieder einen entschleunigteren Titel zu sehen, der den Hang zum Gigantismus zurückschraubt, zumindest, wenn man den Showdown einmal ausklammert. Sieht man von dieser Facette und der Familienzusammenführung einmal ab, bleibt allerdings wenig Überzeugendes: Die lineare Erzählweise, die kaum beeindruckenden Action-Szenen und Bösewichte (Taskmaster bleibt vollständig hinter den Möglichkeiten zurück) wie aus der Anfangszeit trüben den Spaß an Black Widow gehörig. Konzeptionell und tonal schwankt das Ergebnis und sitzt nicht so fest im Sattel, wie das Publikum es mittlerweile gewohnt ist.

© Disney


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Ayres

Ayres ist ein richtiger Horror- & Mystery-Junkie, liebt gute Point’n’Click-Adventures und ist Fighting Games nie abgeneigt. Besonders spannend findet er Psychologie, deshalb werden in seinem Wohnzimmer regelmäßig "Die Werwölfe von Düsterwald"-Abende veranstaltet. Sein teuerstes Hobby ist das Sammeln von Steelbooks. In seinem Besitz befinden sich mehr als 100 Blu-Ray Steelbooks aus aller Welt.

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Ayla
Redakteur
4. August 2021 18:27

Ich kann die Kritikpunkte wirklich sehr gut verstehen. Es ist fast verrückt, wie sich Black Widow einerseits so tonal anders anfühlt als andere MCU-Titel, andererseits aber auch das übliche Konzept (besonders eben das Finale, bei dem es wirklich nur an allen Ecken Krach und Bumm gemacht hat xD) ohne Nuancen bedient. Obwohl ich die Action-Einlagen allesamt auch sehr cool fand, muss ich auch sagen, dass man einfach gar nicht merkt, dass Natasha nur ein Mensch ohne Superkräfte sein soll … Das was sie alles in dem Film abgekriegt hat, hätte ihr im Normalfall sehr viel zugefügt als nur ein paar Blessuren. Ich erwarte von einem MCU-Action-Spektakel jetzt keinen Realismus, aber das war doch fast etwas too much, hab fast erwartet, dass noch rauskommt, dass die Widows auch eine Art Serum gekriegt haben.

Na, mir hat der Film aber dennoch ausgesprochen gut gefallen. Das liegt aber auch daran, dass Natasha mein absolut liebster Avenger ist und ich finde, dass sie eine der spannendsten, aber auch tragischsten Backstorys hat. Das merkt man auch hier, mit Thematiken wie Menschenhandel, Menschenexperimenten und Gedankenkontrolle könnte man einen sehr ernsten, düsteren Film machen. Dass Black Widow dennoch eher Popcorn-Kino ist, ist wohl den humorvollen Szenen zu verdanken. Die Familiendynamik zwischen Natasha, Yelena, Alexei und Melina ist das absolute Highlight, wobei ich zumindest von Melina gerne mehr gesehen hätte, die blieb etwas arg blass.

Ich bin jedenfalls gespannt, wie es mit Yelena weitergeht. Ich hab sie mit ihrer sarkastischen Art ja schon irgendwie ins Herz geschlossen. Schade aber, dass es wohl keine weiteren Auftritte mit ihr und Natasha geben wird, ich finde sie waren ein echt cooles Schwestern-Duo.