Mosquito State
Ein echter Alptraum. Man liegt nachts im Bett, versucht zu schlafen und … surr! Den Blutsauger jagen oder ihn einfach machen lassen, in der Hoffnung, dass er danach schon abhauen wird? Nach Mosquito State des polnisch-amerikanischen Regisseurs Filip Jan Rymsza (Dustclouds) werdet ihr die zweite Option nie wieder in Erwägung ziehen. Versprochen! Der ungewöhnliche Titel ist eine bizarre Mischung aus Wallstreet-Satire vor echtem Hintergrund und abstrusem Body Horror à la Die Fliege. Das Ergebnis lässt sich in einem Wort beschreiben: Sogwirkung! Davon können sich Interessierte auf dem Fantasy Filmfest 2021 ein Bild verschaffen.
Ständig surrt irgendwo ein Moskito in Richards (Beau Knapp, No One Lives – Keiner überlebt!) Penthouse. Der Datenanalyst hat das Verhalten von Bienen studiert und darauf basierend einen Algorithmus entworfen. Seinem Chef Edward Werner (Olivier Martinez, Taking Lives) hat er damit ein Vermögen eingebracht. Sonst hat Rich wenig zu melden im Leben, denn trotz Anerkennung auf der Arbeit steht er auf Partys eher am Rande herum und bleibt unbeachtet. Doch eben ist Lena (Charlotte Vegas, The Lodgers) in sein Leben getreten. Während sich ihm eine Moskito-Plage immer stärker annähert und für merkwürdige Auswüchse auf seinen Körper sorgt, nähert sich unaufhaltsam ein großes Ereignis, das sich 2007 an der Börse zutrug und zu einem großen Crash führen wird …
Surrende Metapher
Originaltitel | Mosquito State |
Jahr | 2020 |
Land | Polen, USA |
Genre | Drama, Horror |
Regie | Filip Jan Rymsza |
Cast | Richard Boca: Beau Knapp Lena del Alcázar: Charlotte Vega Beau Harris: Jack Kesy Edward Werner: Olivier Martinez Sally: Audrey Wasilewski Abigail Grant: Daisy Bishop |
Laufzeit | 100 Minuten |
FSK | unbekannt |
Titel im Programm des Fantasy Filmfest 2021 |
Mosquito State ist ein Film, der im Grunde auf einer einzigen Metapher fußt: Alles Blutsauger an der Börse! Die Stiche der Branche setzen nicht nur der Welt und ihren Märkten zu, sondern auch den eigenen Beteiligten. Und Richard steckt mittendrin. Er sieht die Gefahr, doch keiner hört auf ihn. Wer will einem Weirdo, der die Verkörperung eines Mr. Burns zu sein scheint, schon Vertrauen schenken? Und so beginnt der Rückzug in die eigenen vier Wände. Umgeben von gedimmten Licht, einkehrender Depression und einer Transformation, die man so nicht kommen sieht. Die Erkenntnis, nur für wenige Menschen wertvoll zu sein, sitzt wie ein tiefer Stachel und schmerzt. Auch eine kleine Metapher auf den Klimawandel ist vorhanden: Richard hat Bienen studiert, Lena interessiert sich für das Meer. Beides sind Indikatoren für das Ökosystem, das langsam einbricht. So wie Richards Welt.
Gedicht auf den Kapitalismus
Rymsza hat seinen Film in Akte gegliedert, die als Sinnbild für den Lebensweg einer Mücke stehen: Ei, Larve, Puppe, Imago. Mit jedem Kapitel beginnen sich Rich und seine Behausung zu verändern. Ursprünglich fühlt Richard sich von den tierischen Plagegeistern gestört. Doch dann dringen sie in sein Zuhause ein, beflügeln seine Gedanken und sein Finanzmodell. Kontrolle und Kontrollverlust. Mentale Erkrankung. Verfall. Ein schleichender (und stechender) Prozess und immer sind die Moskitos nahe. Ab der ersten Sequenz schon, in der wir im Stile von HR Giger eine Mücke in ihrem Sturzflug begleiten, sind die Blutsauger omnipräsent. Der Mückenstaat erhebt sich allmählich.
Nicht kratzen, wenn es juckt
Knapps Performance des Wall Street-Schluffis ist beeindruckend. Sein schiefes Gesicht, seine hochgestochene Sprache und stolzen Ausbrüche verleihen ihm ein quasimodohaftes Auftreten. Eine wahrhaft abstoßende Figur, die nicht ans Herz wächst und deshalb alles andere als viel Distanz auch gar nicht zulässt. Trotz aller Widerstände zieht es ihn immer wieder an den Schreibtisch. Eine Beinahe-Doku auf das Leben eines Mannes, der einfach funktioniert, aber nicht lebt. Eric Koretz‘ Kamera erschafft dafür hypnotische Bilder, die dem Film zu einer echten Sogwirkung verhelfen. Ob das nun die Moskitoschwärme sind oder die ungewöhnlichen Einstellungen in Richs Penthouse: Hier ist jeder Schuss ein Treffer und wird mit dank aufgedrehter Farbsättigung zu einer stimmungsvollen Leinwand.
Arthouse Horror trifft auf Body Horror
Was Mosquito State im Horror-Bereich verankert, sind die Spuren, die die Begegnungen zwischen Mensch und Moskito-Schwarm zurücklassen: Hässliche Beuteln, fiese Auswölbungen und der menschliche Körper als Nährboden. Der Vergleich zu David Cronenbergs Werk ist zutreffend und lässt sich auch nicht von der Hand weisen. Mit diesen Body Horror-Anleihen ist der Film auch nur Personen zu empfehlen, die mit einer Verunstaltung des menschlichen Körpers umgehen können. Alles andere führt nur zu einem Trauma, das durch die nächste Mücke im Schlafzimmer ausgelöst werden könnte. Sieht man davon ab, findet sich der Horror vor allem im Menschlichen wieder: Die Angst des Versagens, vor dem gesellschaftlichen Abstieg und dem Vertrauensverlust in eigene Fähigkeiten.
Fazit
Auf dem Papier ist Mosquito State ein cleverer Film. In der Praxis ist er das nicht, punktet aber mit einer atmosphärisch dichten und eindringlichen Inszenierung. Die Sound-Effekte gehen unter die Haut, die Bildkompositionen sind teilweise magisch und der elektrisierende Soundtrack hält einen nah am Geschehen. Die benebelte Traumatmosphäre hat Rymsza drauf wie kaum ein anderer. Was nicht funktioniert, ist die Handlung selbst: Im Grunde hat der Film wenig zu erzählen, vernachlässigt die eigentlichen Plotpoints irgendwann und ist dabei gewollt arthousig. Der langsame Erzählstil und die obskuren Metaphern sind nichts für die breite Masse. Cineasten werden allerdings die audio-visuelle Stilsicherheit lieben, die Rymsza in jeder Szene abfeiert und mit der er sein Regie-Talent unter Beweis stellt.
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