Westworld (Folge 3×01)

Westworld ist zurück und der Stammtisch der TV-Philosophen jubelt auf. Die erste Staffel von HBOs Sci-Fi-Serie, in der reiche Schnösel in Androiden-Parks ihre wildesten Fantasien ausleben können, gilt als wahre Perle der Serien-Landschaft, dicht erzählt, mit intensiven Plots und sehr viel Brainteasing. Das zu toppen hat die zweite Staffel zwar versäumt, doch die dritte Staffel „The New World“ verlässt (endlich) den Wilden Westen und verfrachtet das Publikum in die Welt der Menschen. Mit dabei: Breaking Bad-Star Aaron Paul als missverstandener Bauarbeiter und Ex-Soldat. Ist das der bitter nötige Neuanfang, den es gebraucht hat, oder nur eine weitere Illusion?

Episode 1 „Parce Domine” setzt 30 Tage nach dem Massaker im Westworld-Park an. Dolores, unser Racheengel-Host, hat es in die reale Welt geschafft und versucht über investigatives Anbiedern an den Sohn des Mitbegründers der KI-Firma Incite Inc. heranzukommen. Bernard gilt mittlerweile als gesuchter Massenmörder, da man ihm das Delos-Massaker anlastet, wohingegen Charlotte Hale den Vorstand von Delos übernommen hat, da William als vermisst gilt. Viele alte Gesichter, doch unter ihnen auch ein neues: Der melancholische Ex-Soldat Caleb (Aaron Paul) versucht über den Verlust seines Kameraden hinwegzukommen und vertreibt sich die Zeit mit Crime-Jobs. Bei einem davon kommt er den Kreisen von Incite Inc. gefährlich nah und erlebt, wie Incite sich einer blonden Frau entledigen will – Dolores. Er beschließt ihr zu helfen. Wird Caleb der neue Teddy, der Dolores bei ihrem Kreuzzug unterstützt?

Der Neue

Wir treffen auf Caleb, einen müden Ex-Soldaten mit PTBS, der als Bauarbeiter seine Brötchen verdient und nebenbei Crime-Jobs über seine Crime-App „Rico“ annimmt. Starke Black Mirror-Vibes, die hier am Schwingen sind, denn man stelle sich das mal vor: Kriminalaufträge, die auf einer Plattform wie Quests angeboten werden, samt Attribut-Icons und Accept-Button. Darüber hinaus gibt es neben der Crime-App auch eine Sozialstatus-App und eine Therapie-App. Denn Caleb befindet sich in Therapie, und da der Therapeut nicht viel Zeit hat, unterhält sich Caleb den Rest des Tages mit besagter Therapie-App, die seinen verstorbenen Freund Francis simuliert. Hier hat Westworld das Black Mirror-Bingo quasi gewonnen. Caleb wird als Außenseiter porträtiert, als nicht normaler Mensch – und vielleicht ist er auch kein richtiger. Denn seine Mutter behauptet: „Du bist nicht mein Sohn“. Vielleicht, weil sie Alzheimer hat, ok. Vielleicht aber auch nicht, denn er wacht jeden Morgen im Bett bei Sonnenlicht auf… klingelt da was?

Algorithmen regieren die Welt

Unterdessen ist Dolores „Wird sie die neue Daenerys Targaryen?“ Abernathy eifrig dabei, Incite Inc. zu infiltrieren, eine Firma, die im Besitz von Rehoboam ist. Rehoboam heißt die riesige, kugelförmige KI, die offenbar die Geschicke der Städte, der Regierungen, der gesamten Menschheit lenkt und auch die Kriminalität kontrolliert (mithilfe besagter „Rico“-App). Die Welt lebt nach dem Motto „Jeder Mensch soll sein ihm eigenes Potential ausleben und auf Kurs gebracht werden“. Das trifft auch auf naturgegebene Kriminelle zu. Rehoboam stoppt die Kriminalität also nicht, sondern lenkt sie. Im Laufe der Folge sehen wir immer mehr von dieser durch Algorithmen getriebenen Welt und stellen fest, dass es Caleb aufgrund dessen untersagt bleibt, einen gescheiten Job zu finden. Auf diese Weise bringt Westworld gleich zu Beginn große Konzepte wie Determinismus und Big Data hervor. Wann wird das „Tracken von Daten“ zu „Determinieren von Leben“?

Have you ever seen anything so full of splendor?

Nachdem Game of Thrones nun abgefrühstückt ist, scheint das gesamte Budget in Westworld zu fließen. Die dritte Staffel schwelgt in seiner wunderprächtigen futuristischen Szenerie, die alle technischen Extras bietet, auf die man nur hoffen kann – von Kommunikationsarten über fancy Autos, Roboter und Hosts bis hin zu fortschrittlicher Virtual Reality. Kein Dauerregen wie bei Blade Runner, sondern groß, offen und lichtdurchflutet. Und das Beste: die Architektur. Und daran wiederum das Beste: die Architektur ist echt. Folge 1 ist quasi ein einziger Image-Film der Stadt Singapur. Alle Orte sind real existent, selbst die U-Bahn-Station, selbst die Inneneinrichtung der U-Bahn-Wagons. Ästhetik pur, man könnte jede Szene einrahmen.

KI vs. KI

Am Ende von Staffel 2 haben die Hosts von Westworld diese Welt verlassen und sind in das Große Tal hinüber gegangen, eine virtuelle Realität fernab des menschlichen Zugriffs. Dolores aber sagte sinngemäß: „Da draußen gibt’s ne viel größere Welt und sie gehört den Menschen. Die will ich.“ Und so betreibt sie Wirtschaftsspionage vom Feinsten (sie ist quasi James Bond), um an die KI von Incite Inc. heranzukommen. Sie will auf diese Weise Kontrolle erlangen und die Menschheit dominieren. Es wäre witzig, wenn sie im Verlauf der Staffel herausfände, dass die 8 Billionen Menschen, die noch nie die Parks besucht haben (weil sie keine abgewrackten Millionär-Snobs sind), ein den Hosts gar nicht unähnliches Leben führen: Gefangene ihres Schicksals. Und wer ist daran Schuld? Kein Mensch, sondern eine KI. Die reale Welt ist im Grunde das komplette Spiegelbild der Parks.

Und was macht der Rest vom Fest?

Charlotte Hale geht zurück an die Arbeit als vorläufige CEO von Delos. Wir erinnern uns: Hale ist eigentlich tot und wurde durch einen Host ersetzt (mit dem Bewusstsein von Dolores). Hale will die Produktion der Hosts voran treiben und ihr eigenes Ding durchziehen, sehr zum Missfallen des Vorstands, der nach dem Massaker den Park nur noch loswerden will. Doch der Einzige, der Hale aufhalten könnte (der Man in Black William), wird vermisst. Dem Untergetauchten Bernard geht es in seiner Rolle als „Fleischer“ unterdessen nicht ganz so gut. Er muss sich gegen Kopfgeldjäger behaupten und tut das, indem er per Knopfdruck seinen Host-Killermodus aktiviert. Aber (!) er findet immer noch die Zeit, seine Identität in Frage zu stellen – guter alter Bernard. Getreu dem Motto „Back to the roots“ macht er sich am Ende der Folge wieder auf nach Westworld. Und Maeve? Maeve ist nach ihrem „Tod“ nun Part einer anderen Park-Anlage geworden: Nazi-World. Huiui.

Fazit

Also, ich behaupte immer noch, das Staffel 1 das bei weitem Beste war – quasi vollendet – und bezweifle die Notwendigkeit von Staffel 2 (oder 3). Die erste Folge ist zwar wunderbar anzuschauen, interessant und unterhaltsam, aber es fehlt halt dieses Mysterybox-Flair. Doch vielleicht ist das auch Vorsatz. Um aus dem Schatten der ersten Staffel heraustreten zu können, muss halt wirklich was Anderes her, weg vom Western-Korsett, das bereits in Staffel 2 nicht mehr so gut saß, hin zu…. naja, hin zur neuen Welt eben. Lassen wir uns drauf ein.

Meine persönlichen Highlights in dieser Folge: Bernards Killmodus-Knopf, Aaron Paul als Caleb, Dolores’ „Zisch ab“-Szene (Social Distancing done right), dieses unfassbar geniale Emotions-T-Shirt von Giggles und… die Post-Credit-Szene mit Nazi-Deutschland. Obwohl ich da erst einmal laut loslachen musste. „Nä! Hitler-Deutschland? Euer Ernst? So ausgelutscht!“ Aber… mittlerweile bin ich gespannt, zugegeben. Unsere Maeve unter Nazis. Maeve vs. Host-Hitler. In Westworld werden alle noch so billigen Fan Fiction-Träume wahr, huh?

Totman Gehend

Totman ist Musiker, zockt in der Freizeit bevorzugt Indie-Games, Taktik-Shooter oder ganz was anderes und sammelt schöne Bücher. Größtes Laster: Red Bull. Lieblingsplatz im Netz: der 24/7 Music-Stream von Cryo Chamber auf YouTube.

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