Beastars (Staffel 2)

Staffel 1 von Netflix’ Beastars ist nicht unbedingt die typische Einstiegsdroge für Anime-Anfänger. Es ist eine CGI-Serie, die Murder Mystery mit Highschool-Drama verbindet und dabei so skurril, triebgesteuert, brutal und philosophisch ist, dass sie wie ein experimentelles Kunstwerk anmutet. Staffel 2 (seit dem 15. Juli 2021 auf Netflix erhältlich) treibt die Handlung um dem ominösen »Verschlingvorfall« voran, ist an manchen Stellen auch immer noch skurril, lässt aber so manch andere Qualität vermissen.

Nachdem Legoshi seine geliebte Häsin Haru aus den Klauen der Löwenmafia »Shishigumi« befreien konnte, kehrt etwas Ruhe in das Schulleben des grauen Wolfes ein. Eine Ruhe, die nicht lange währt, denn bald verdichten sich die Gerüchte, dass der Geist des ermordeten Alpacas Tem in den Schulgängen spuken soll. Währenddessen kehrt der totgeglaubte Rothirsch Rouis zurück, nur um seinen Rücktritt aus dem Theaterclub zu verkünden. Ein heißer Anwärter auf den Titel des »Beastars« ist damit also passé. Doch Legoshi hat keine Zeit, seinem Freund nachzutrauern, denn auf einmal trifft er auf die wahre Gestalt des Geistes: eine riesenhafte Schlange namens Rokume, die als Schulwächterin versteckt in den Wänden lebt. Sie beauftragt Legoshi mit der Aufklärung des Mordfalls an Tem, doch Legoshi merkt bald, dass er dafür noch lange nicht gerüstet ist …

Endlich mehr Detektiv-Arbeit?

Originaltitel Beastars
Jahr 2021
Episoden 12 in Staffel 2
Genre Slice of Life, Psychological, Drama
Regie Shinichi Matsumi
Studio Orange
Veröffentlichung: 15. Juli 2021

Wenn wir uns zurückerinnern, dann wurden die Geschehnisse von Beastars ursprünglich durch den »Verschlingvorfall« angestoßen, jenen schrecklichen Mordfall, bei dem Alpaca Tem ums Leben kam. Wirklich verfolgt oder gar aufgeklärt wurde dieses Verbrechen jedoch nie. Diese Aufgabe nimmt sich nun die zweite Staffel zur Brust, indem sie Legoshi auf Rokume treffen lässt, eine überdimensionierte Schlange, die als Schulwächterin arbeitet und den Fall trotz ihrer offensichtlichen Omnipotenz und -präsenz nie lösen konnte. Also delegiert die Schlange diese Aufgabe an unseren Wolf. Die Motivationen für Legoshi sind in dieser Staffel demnach geklärt, doch die Serie versäumt es, einen Kreis zu ziehen. Rokume taucht nie wieder auf, was dem Erzählstrang ein unbefriedigendes Nicht-Ende verpasst. Stattdessen beobachten wir Legoshis Entwicklung zum verhärmten Einzelgänger, der sich – um sich dem Täter stellen zu können – einem abgeschmackten Batman-Training unterzieht und dabei zu erleuchtenden Einsichten gelangt, die so essentiell sind, dass er sie späterhin komplett über den Haufen wirft – ebenfalls sehr unbefriedigend.

Bye bye, Figuren …

Optisch orientiert sich die Serie weiterhin am neuen CGI-Standard, den Studio Orange bereits bei seiner Serien-Adaption von Das Land der Juwelen eingeführt hat. Auch die typischen visuellen Kniffe wie Splitscreens oder neonfarbene Outlines sind wieder mit dabei – visuell schippert die zweite Staffel also im gewohnten Gewässer. Was die narrative Sogkraft und die triebhaften Spannungen angeht, hat die Staffel jedoch stark nachgelassen. Das liegt daran, dass die Figuren vernachlässigt werden. Nehmen wir als Beispiel die Häsin Haru, die ursprünglich eine überaus interessante Figur ist; eine promiskuitive »Schlampe«, die bis zum Ende der ersten Staffel kein Interesse am Protagonisten und in seiner Gegenwart natürlicherweise mit Fluchtreflexen zu kämpfen hat. Sie ist witzig, eigenständig, aber auch traurig, da sie am Boden der sozialen Hierarchie herum schnorchelt. Kurzum: Sie ist der Augenstern in Staffel 1. In Staffel 2 dagegen ist sie nur eine Hülle ihres früheren Ichs, in die Ecke des traditionellen Love Interests gedrängt. Ihre Angst vor Legoshi ist verschwunden, ihre Rolle ganz unten in der Nahrungskette sowie allgemein ihre Präsenz verpufft – und das ist ein herber Verlust.

Legoshi vs. Killer – zäh wie Kaugummi

Da mit Haru also der Fokus auf die spannende Frage »Ist das Liebe oder Jagdinstinkt?« wegfällt, rückt wie bereits erwähnt die Suche nach dem Mörder in den Vordergrund. Doch auch hier legt die Staffel ein irritierendes Pacing an den Tag. Der Täter selbst ist für die aufmerksame Zuschauerschaft schnell gefunden und auch Legoshi kommt schon bald auf den Trichter, was die kommende Konfrontation unausweichlich macht. Die Konfrontation als solche ist aber nicht mit einem Mal abgehakt, sondern zieht sich über viel Mini-Kämpfe, die immer wieder aufgeschoben werden und extremen tonalen (und motivationsmäßigen) Schwankungen unterworfen sind. Aus tödlichem Ernst wird in Sekundenschnelle eine chilläxte Kaffeepause, in der sich die Kontrahenten Geschichten erzählen. Selbst der »megafinale Finalkampf« wird von einer Pause unterbrochen, die in ihrer Deplatziertheit rein gar nichts für die Serie tut.

Wer wird denn jetzt der Beastar?

Gehen wir nach dem Serientitel, dann handelt Beastars von der Suche nach dem nächsten »Beastar« – ein Titel, dessen Träger quasi als schuldreiner Heiland das Gleichgewicht zwischen Fleisch- und Pflanzenfressern bewahrt. In Staffel 2 wird dieses Thematik kurzzeitig sogar ungewohnt eindringlich behandelt, da in Folge 2 ganze fünf Minuten lang diskutiert wird, nach welchen Kriterien der nächste Beastar ernannt werden soll. Konklusion: Von jetzt auf gleich soll es nicht mehr derjenige sein, der die beste Leistung beim Schultheater erbringt (so wie in Staffel 1), sondern jener, der den brutalen Killer dingfest macht (der – wir erinnern uns – seit 14 Episoden komplett ignoriert wird). Den Rest der Staffel wird die Beastar-Thematik allerdings nie wieder erwähnt. Die Häsin Haru glänzt wie gesagt durch Abwesenheit und ihre Beziehung zu Legoshi durch Irritationen. Jedes Treffen zwischen den beiden endet in einem verbalen Mess-Up, bei dem das Pendel hart zwischen den Extremen »Heirat« und »Trennung« schwingt. Legoshis wesensbestimmende Motivation, sie beschützen zu wollen – eine Motivation, die er am Ende der ersten Staffel für sich entdeckt hat – scheint nun irrelevant, weil Haru keine Rolle mehr ausfüllt, in der sie gefährdet wäre. Insgesamt tritt sie nur vier Mal auf. Die einzig interessante Figur bleibt der manipulative Rothirsch Rouis und sein skurriler Werdegang im Gangmilieu, auch wenn er als philosophisches Sprachrohr von »provokante Beobachtungen über die Natur der Welt« hinüber gewechselt ist zu »Tumblr-Sinnsprüche mit Bildern aus dem Jahre 2012«. Seine Rivalin (und möglicher Beastar) Juno geht ebenfalls unter. Die Charaktere zehren also allesamt von ihrem Momentum aus der ersten Staffel, und das ist furchtbar schade.

Fazit

Staffel 2 von Beastars ist wirklich ein großartiger Turndown. Viele Figuren bleiben auf der Strecke, manchen Handlungssträngen bleibt ihr Ende versagt, die Detektivarbeit ist nicht der Rede wert, der Kampf gegen den bösen Buben ist ein ewiges Hop-On-Hop-Off und die komplette Entwicklung des Protagonisten scheint für die Katz. Fans, die Beastars vor allem aufgrund der angespannten Romantik zwischen Wolf und Hase schätzen, werden in dieser Staffel enttäuscht. Das groteske Faszinosum aus Staffel 1 war einmal. Kurz zusammengefasst könnte man den Werdegang von Beastars auch anhand der Openings beschreiben. Zuerst ein einzigartiges, thematisch schräges Stop-Motion-Intro, dessen handwerkliche Machart im Kontext des ganzen CGI eine echte Bedeutung hat, und späterhin nur ein generisches Romance-Intro mit Protagonisten, die im Refrain typischerweise das Laufen beginnen. Irgendwie lahm und enttäuschend. Aber was soll’s – die bestätigte dritte Staffel von Beastars geb’ ich mir auch noch.

© Netflix

Totman Gehend

Totman ist Musiker, zockt in der Freizeit bevorzugt Indie-Games, Taktik-Shooter oder ganz was anderes und sammelt schöne Bücher. Größtes Laster: Red Bull. Lieblingsplatz im Netz: der 24/7 Music-Stream von Cryo Chamber auf YouTube.

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