Der letzte Schatten

Das Verweben von Mystik und harter Realität – eine Methode, die vor allem der manchmal altbacken wirkenden Historik so manch neue und aufregende Drehung zu verpassen vermag. Eines der bekanntesten Beispiele für diesen erzählerischen Kniff dürfte Guillermo del Toros Film Pans Labyrinth sein, der das Schicksal eines Mädchens zur Zeit des Franco-Regimes porträtiert. Doch auch im Comic-Bereich kann man in dieser Hinsicht fündig werden. In Der letzte Schatten entfaltet Autor Denis-Pierre Filippi ein Szenario, welches von Kindern und seltsam grotesken Wesen vor dem Hintergrund des Ersten Weltkrieges erzählt. Band 1 des zweiteiligen Fantasy-Dramas ist seit Dezember 2021 im Splitter-Verlag erhältlich.

 

Eine zersprengte Gruppe russischer Soldaten und Zivilisten schleppt sich durch den Schnee, Destination unbekannt. Hauptsache weg von der Front des Ersten Weltkrieges. Unter ihnen auch Truppenarzt Petrov mit seinen zwei Töchtern Natalja und Irina. Um ihre Verwundeten versorgen zu können, sucht die Gruppe Zuflucht auf einem Gutshof. Die Baronin empfängt sie bereitwillig und gewährt ihnen Kost und Logis. Doch sie hütet ein Geheimnis: Oben auf dem Dachboden versteckt sie vier Kinder aus dem nahegelegenen Dorf. Als Natalja eines Nachts von den Kindern aus einer misslichen Lage gerettet wird, schließen sie schnell Freundschaft. Gleichzeitig verbreitet sich unter den Soldaten das Gerücht, dass eine grausige Kreatur unter ihnen aufgetaucht sei: der letzte Schatten.

Was ist real, was nicht?

Originaltitel La Dernière Ombre
Jahr 2021
Ursprungsland Frankreich
Band 1 / 2
Genre Historie, Fantasy
Autor Denis-Pierre Filippi
Zeichnungen Gaspard Yvan
Verlag Splitter
Veröffentlichung: 15. Dezember 2021

Manchmal sind Schrecken und Gräuel so groß, dass man ihnen nur mit Fantasie begegnen kann – eine Bewältigungsstrategie, wie sie auch schon in Guillermo del Toros Film Pans Labyrinth angewendet wird. Wo dort die Schrecken durch das Franco-Regime hervorgerufen werden, ist es hier der Erste Weltkrieg, der für Angst und Grausen sorgt. Ähnlich wie Pans Labyrinth, vermischt auch Der letzte Schatten einen historischen Schauplatz mit dezent eingesetzten, fantastischen Elementen. Diese zeigen sich, wenn die Geschichte aus der Perspektive der Dachboden-Kinder wahrgenommen wird; dann nämlich erscheint ein Großteil der Erwachsenen als dunkle ausgemergelte Gestalten, die den Mumien-Geistern aus dem Manga Ajin nicht unähnlich sind. Die Erwachsenen selbst perzipieren ihre Umwelt auf normale Weise, so dass die Lesenden nicht ganz einschätzen können, wer hier den Knick in der Optik hat und wer nicht. Aber genau darin liegt das Geheimnis, mit dem Autor Filippi seine Geschichte umwebt, und das es in Band 2 freilich zu lüften gilt. Leider werden die Kreaturen im Vergleich zur prominenten Aufmachung auf dem Cover nicht ganz so spektakulär in Szene gesetzt. Die Fantastik-Elemente lassen also das Eindrückliche und Faszinierende zur Zeit noch etwas vermissen.

Mehr Drama als Fantastik

Wer generell auf Fantasy aus ist, der wird hier eher enttäuscht (so wie auch all diejenigen, die seinerzeit nach dem Trailer zu Pans Labyrinth das neue Narnia erwartet hatten). In Der letzte Schatten geht es vordergründig um das Überleben einer geschundenen russischen Truppe, um das Bestreben eines Arztes, trotz der ganzen Kriegsgräuel seine eigene Unschuld, vor allem aber jene seiner Töchter zu bewahren und um das Aufrechterhalten der Truppenmoral, welches wiederum durch Verrat und Tod erschwert wird. Festgehalten wird das ganze Drama von Zeichner Gaspard Yvan, der mit Der letzte Schatten sein Debüt feiert. Sowohl die frostige Waldeskälte als auch das gemütliche Interieur des Anwesens sind detailliert auskoloriert und die Gesichter mit Mimiken versehen, zu denen man leicht Zugang erhält. Das Mysterium um den letzten Schatten gewinnt jedoch erst gegen Ende des 47 Seiten kurzen Bandes allmählich an Relevanz. Cliffhanger eben, gell?

Fazit

Wie es sich für einen Auftakt gehört, bietet Band 1 von Der Letzte Schatten vor allem Andeutungen und Geheimnisse und erzeugt bei der geneigten Leserschaft Fragen, die sie lieber gestern als heute beantwortet haben will. Die Geschichte kleidet sich mehr als Drama denn als überbordende Fantastik, dürfte mit dieser dezenten Hybridform aber gerade etwas für Fans von Pans Labyrinth sein. In beiden Geschichten versucht man der menschlichen Gewalt mit leiser Fantastik eine Form von Hoffnung entgegenzusetzen, die zuweilen zwar gruselig wirken kann, in ihrer gruseligen Form aber immer noch besser als gar keine Hoffnung ist.

© Splitter


Veröffentlichung: 15. Dezember 2021

 

Totman Gehend

Totman ist Musiker, zockt in der Freizeit bevorzugt Indie-Games, Taktik-Shooter oder ganz was anderes und sammelt schöne Bücher. Größtes Laster: Red Bull. Lieblingsplatz im Netz: der 24/7 Music-Stream von Cryo Chamber auf YouTube.

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