Westworld (Staffel 1)

Westworld von Jonathan Nolan (Interstellar, Memento) und Lisa Joy (Burn Notice) vermischt auf einzigartige Weise den Western mit der Sci-Fi. Die Serie hält der menschlichen Gesellschaft den Spiegel vor, gibt jeder sexuellen Orientierung ihren Raum und macht Religion obsolet, indem sie das Bewusstsein an erste Stelle setzt. Westworld bricht also die Grenzen in Sachen Genre, menschliches Selbstverständnis, Sexualität und Pietät. Eine moderne Parabel, die es sich anzugucken lohnt.

    

Das kleine Städtchen Sweetwater. Täglich fährt hier der Zug ein, aus dem die so genannten „Gäste“ steigen – Männer, Frauen, Kinder jeden Alters. Die einheimische Farmerstochter Dolores geht wie jeden Tag in der Stadt einkaufen, und wie jeden Tag lässt sie beim Verladen der Taschen eine Dose fallen. Ihr weiteres Leben hängt nun davon ab, ob und vor allem welcher der Gäste diese Dose aufhebt. Sehr oft endet es für Dolores in Vergewaltigung und Tod. Und am nächsten Tag? Da geht sie wieder einkaufen und lässt die Dose fallen, als wäre nichts gewesen – eine endlose Schleife.
Denn Dolores ist nicht echt, sondern ein Host – gebaut und konzipiert, um den Gästen ein unvergessliches Abenteuer zu bereiten. Sweetwater bildet dabei nur einen winzigen Teil einer riesigen Parkanlage namens Westworld. Die Gäste zahlen viel Geld um hier ihre Wünsche und Fantasien ausleben zu können – stets überwacht von den Parkbetreibern, deren 100-stöckiges Hauptquartier versteckt in einem Hochplateau liegt. Das System scheint perfekt, bis es nach einem Update zu Fehlverhalten bei einzelnen Hosts kommt. (Dieses Fehlverhalten ist übrigens nicht gleichzusetzen mit einem plumpen „going rogue“, so wie bei iRobot, à la „Ich lebe und haue alles zu Schrott, denn ich will frei sein!“. Nein, das Fehlverhalten ist viel diffiziler gestaltet und die Bewusstseinswerdung noch lange nicht erreicht.)

Durchdachtes World Building

Wenn man sich Westworld so anschaut, sieht man erst einmal nur den Wilden Westen in scheinbarer Perfektion. Astreine Western-Kulissen mit astreinem Western-Feeling, der Soundtrack bestehend aus verstimmtem Bar-Piano, in der Hitze flimmernden Streichern und schrubbelnden Gitarren. Wenn diese Westernkulisse dann zerrissen wird und die Sci-Fi-Elemente durchscheinen, dann ist man als Zuseher ein bisschen geflasht – es wirkt so verkehrt, und passt dennoch so gut zusammen. Dass die Hosts sich nicht ebenfalls „Irgendwie verkehrt…“ denken, liegt an einer entsprechenden Programmierung, durch die sich die Parkbetreiber vergewissern, dass die Androiden diese fremden technischen Elemente nicht wahrnehmen. Daneben gibt es eine weitere und völlig analoge Sicherung, um möglicher Realitätsskepsis vorzubeugen: Die Elemente werden in der Western-Welt als Mythen eingebaut – als „heiliger Indianerkram“, mit dem man sich sowieso nicht befassen sollte, da viel zu fremdartig. Doppelt abgesichert, gut durchdacht.

Genrell scheint in Westworlds Weltenkonstrukt scheinbar nichts zu existieren, was die Serienmacher nicht berücksichtigt hätten. Man lernt sowohl den Alltag der Hosts kennen (die sogenannten Storylines), als auch den Alltag der Angestellten dahinter. Was macht der Verhaltensprogrammierer, was der Fleischer und was der Qualitätssicherer und was halten diese drei Sektionen voneinander? Was passiert, wenn es irgendwo brutal und absolut nicht jugendfrei zugeht, sich dann aber eine Gastfamilie mit Kindern nähert? Der Zuseher erfährt, dass es Sicherheitsbestimmungen gibt. So dürfen z.B. nur ausgewählte Hosts Holz hacken. Und sollte einer von denen zufällig von einem Gast umgenietet werden, kann das Auswirkungen auf die gesamte Storyline haben, in die er involviert ist. Denn sollte das Holzhacken essentiell für den Fortgang der Geschichte sein, dann stecken die restlichen involvierten Hosts in einer Schleife fest, da niemand mehr Holz hacken kann.
Das alles sind Details, Kleinigkeiten, aber das macht die Serie sehenswert. Wie sagt der Parkchef Dr. Ford sinngemäß? „Die Gäste kommen nicht zurück wegen der groß angelegten Storylines… sondern wegen der Details. Kleine Gesten, kleine Dinge, von denen sie denken, dass nur sie sie wahrgenommen haben.“

Der Cast: durch die Bank wichtig

Originaltitel Westworld – The Maze
Jahr 2016
Land USA
Episoden 10 (1 Staffel)
Genre Science-Fiction, Western, Drama
Cast Dolores Abernathy: Evan Rachel Wood
Theodore „Teddy“ Flood: James Marsden
Mann in Schwarz: Ed Harris
Maeve Millay: Thandie Newton
Bernard Lowe: Jeffrey Wright
Dr. Robert „Bob“ Ford: Anthony Hopkins
Theresa Cullen: Sidse Babett Knudsen
William „Billy“: Jimmi Simpson
Elsie Hughes: Shannon Woodward
Lawrence „El Lazo“: Clifton Collins junior

In Westworld verfügt jede Figur über das Potential, ein richtig dicker Fisch zu werden. Selbst so vermeintliche Klischeefiguren wie die Puffmutter, die man als erfahrener Zuschauer sofort (und fälschlicherweise) als reinen Fan-Service für das männliche Publikum entlarvt, gehören späterhin zu den spannendsten. Daneben gibt es noch etliche andere: den schwarzen Cowboy, der mordlüstern durch die Wüste zieht und nach dem tieferen Sinn sucht; den Fleischer, der beginnt, Sympathien für die Hosts zu entwickeln; die Vorstandsfrau, die den Profit im Sinn hat; der Verhaltensprogrammierer, der nach dem Verlust seines Sohnes die Gesellschaft von Hosts der der Menschen vorzieht; die Assistentin, die einer großen Verschwörung auf der Spur ist; der kleine Junge, der sich von seinen Eltern abgekanzelt hat und scheinbar sinnfrei durch den Park spaziert; Dolores, die (in ihren Träumen?) ständig mit einem ominösen Arnold spricht; der alternde Chef (dargestellt von Großmeister Anthony Hopkins), der den Park mit einem letzten großen Knall verlassen will und irgendwie eine sehr zwiespältige Beziehung zu seinen Geschöpfen führt.
Jede Figur scheint mehr in petto zu haben und den Zuseher früher oder später zu überraschen. Und wenn denn mal eine Figur ihren großen Twist bekommen hat – und damit in der gewöhnlichen, unambitionierten TV-Landschaft weg vom Fenster gewesen wäre, da Potential verbraucht — kriegt sie noch einen zweiten hinterhergeschoben. Westworld schöpft hier alles aus was geht. Nichts wird verschwendet.

Philosophisch anregend

Was weiterhin sehr positiv auffällt, ist die philosophische Stringenz hinter Westworld. Präsentiert die Serie zunächst nur eine Theorie bezüglich der Bewusstseinserlangung, kommt späterhin eine zweite dazu. Beide Modelle sind kompatibel zueinander und decken sich in gewisser Weise. Beide machen u.a. die Zeit und das Leid zu wichtigen Faktoren bei der Bewusstwerdung. Es ist quasi wie beim Nonnenspiel: Man braucht unzählige Anläufe, um die richtigen Züge herauszufiltern und das Spiel zu beenden. Try and error. Meistens ist ein Sieg purer Zufall – so wie die Geburt eines Bewusstseins.
Darüber hinaus verarbeitet die Serie auch das Konzept der bikameralen Psyche aus dem Jahre 1976, die den Wandel vom religiösen zum selbstbewussten Menschen beschreibt. Westworld legt das Konzept so für sich aus, dass es wie angegossen passt. Wer sich also für das Thema K.I. Und Bewusstseinsbildung interessiert, der kriegt hier sehr Anregendes aufgetischt.

Ich wüsste nichts, was ich an dieser Serie bemängeln könnte. Gut, manchmal gibt’s a bissel viele Close Ups, in denen die Protagonisten vor sich hinstarren, weil mal wieder etwas nicht stimmt. Aber eigentlich ist die Kritik ziemlich unerheblich, denn die Schauspieler sind richtig gut im Starren. Ich war der Serie gegenüber bei ihrem Erscheinen 2016 sowieso absolut wohlwollend eingestellt. Vermutlich, weil das serienmäßig ein riesiger Sprung für mich gewesen ist. Ich kam quasi direkt von den 90er-Oldskool-Vertretern King of Queens und Stargate, hab die ganze Entwicklung in den 2000ern übersprungen und bin bei Westworld gelandet, diesem auf 11 Stunden gestreckten Film mit komplett anderer Ästhetik und Qualität. Für mich quasi Kulturschock – dem ich komplett zugetan war.
Und auch beim Rewatch der Serie hat sich nichts geändert. Es gibt immer noch viel zu entdecken, denn die Handlungsstränge sind sehr spannend mit einander verwoben. Westworld bleibt für mich ein Träumchen. Staffel 2 soll angeblich Anfang 2018 starten… Junge!

Totman Gehend

Totman ist Musiker, zockt in der Freizeit bevorzugt Indie-Games, Taktik-Shooter oder ganz was anderes und sammelt schöne Bücher. Größtes Laster: Red Bull. Lieblingsplatz im Netz: der 24/7 Music-Stream von Cryo Chamber auf YouTube.

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Misato
Redakteur
7. April 2018 19:01

Vielen Dank für diesen genialen Artikel. Da Staffel 2 ENDLICH Ende des Monats beginnt, versuche ich ein wenig Zeit zu finden, um wenigstens noch mal ein paar Highlights und vor allem das Finale von S1 zu schauen und mir richtig ins Gedächtnis zu rufen. Bei den meisten Serien findet man schnell wieder rein, aber bei Westworld befürchte ich, viele kleine Dinge vergessen zu haben, die alle noch von Bedeutung sein könnten.

Ich liebe Stories mit KI, ich mag Genre Mash-Ups, und die Figuren hier sind alle so vielschichtig gearbeitet, dass ich bereit bin ihnen überall hin zu folgen. (Wenn mich die Charaktere nicht berühren, nutzt die beste Geschichte und das spannendste Mysterium bei mir nichts.) Vor allem Dolores hat es mir angetan, was ich nicht nur dem Skript, sondern zu einem großen Teil Evan Rachel Wood zuschreibe. Sie spielt die Figur ja auch in verschiedenen Entwicklungsstadien und kitzelt eine Menge raus.

Einige Dinge, die mich beim Ansehen zunächst lange störten, entpuppten sich am Ende als wichtige Reibungspunkte und alles griff perfekt ineinander über. Super erzählt! Da zeigt sich aber auch, dass man manchmal mit Kritik abwarten sollte, denn die Macher können noch einen Plan in der Hinterhand haben. Wirkte hier super schlüssig.