Black Jack OVA

Mangas und Animes wurden nicht von einer einzigen Person geschaffen, aber wenn es einen Mann gibt, der großen, wenn nicht sogar den größten Einfluss auf ihre Entstehung hatte, dann ist es Osamu Tezuka. Damals, in den 1950ern, war er einfach nur Osamu Tezuka. Heutzutage gilt er als »Vater/Gott des Mangas«. Ihm ist die weltweite Popularität dieser Branche zu verdanken – dabei wollte er eigentlich nur Arzt werden. Diesen Wunsch erfüllte er sich schließlich in seiner Manga-Serie Black Jack – eine Geschichte über den titelgebenden Dr. Black Jack, seines Zeichens bester Arzt der Welt, allerdings ohne Lizenz. Das heißt, er agiert im Schatten und operiert nur, wenn man bereit ist, horrende Geldsummen zu blechen. Hardball Films hat sich die Lizenz für Dr. Black Jacks lizenzfreien Abenteuer gesichert und brachte sie am 7. Juni 2024 als Blu-ray-Gesamtausgabe heraus – im schicken Pappschuber mit Postkarten und Booklet inklusive zweier bisher in Deutschland unveröffentlichter Episoden.

Black Jack kurz umrissen

Black Jack gilt nach Astro Boy als Tezukas zweitwichtigste Mangaschöpfung. Die zwischen 1973 und 1983 entstandene Serie erzählt die Geschichte eines talentierten Schwarzmarkt-Arztes mit fragwürdigem Wertesystem, der radikale und manchmal übernatürliche Techniken anwendet, um die seltensten und tödlichsten Krankheiten zu behandeln, die der Mensch je gesehen hat. Eine zeitlose Thematik, die noch aus Tezukas ärztlicher Ausbildung stammt, und häufig aufgegriffen wurde, um zeitgemäß interpretiert zu werden. Die erste Adaption ist die hier besprochene zehnteilige OVA-Serie (OVA = Original Video Animation, eine japanische Form von Direct-to-Video-Produktionen), die zwischen 1993 und 2000 veröffentlicht wurde und unter allen Adaptionen von Black Jack die düsterste und härteste Interpretation darstellt. Regie führte Tezukas ehemaliger Schützling Osamu Dezaki, der ein Händchen für Düsternis, Noir und Standbilder hat. Space CobraLady Oscar: Die Rose von Versailles und Ashita no Joe sind nur eine kleine Auswahl aus Dezakis Portfolio. Nicht verwunderlich also, dass er der richtige Mann war, um die dunkle Welt, die unseren lizenzfreien Arzt umgibt, zum Leben zu erwecken. Zwei weitere Episoden wurden 2011 veröffentlicht. Da Dezaki zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben war, wurde er in den Credits als »Ehrenregisseur« genannt, was dazu führte, dass die Episoden als Teil der ursprünglichen OVA angesehen wurden. Hardball Films hat dies bei der Blu-ray-Veröffentlichung berücksichtigt und die Episoden aus 2011 als OmU in die Gesamtausgabe mitaufgenommen. Nice!

Hach, dieser 90er-Charme …

Originaltitel Black Jack OVA
Jahr 1993–2011
Episoden 12
Genre Mystery, Drama
Regie Osamu Dezaki
Studio Tezuka Productions
Veröffentlichung: 7. Juni 2024

Black Jack ist sichtbar ein Kind der 90er. Die Animes, die in dieser Zeit entstanden sind, haben diesen ganz besonderen Retro-Vibe. Dezaki ist ein begabter Regisseur, dem mit Black Jack die Chance geboten wurde, sich mit einem OVA-Budget zu beweisen. Der Stil ist derselbe wie in seinen anderen Werken; mit starken Hell-Dunkel-Kontrasten und ausdrucksstarken Gesichtern. Ein Design, das auf manche vielleicht abweisend oder gestelzt wirken mag, das aber durchaus seine Fans hat und für die besondere, stimmungsvolle Atmosphäre sorgt, die für die düstere, psychologische Note notwendig ist, die Black Jack auszeichnet. Nur bei den Action-Folgen (z. B. Folge 2 »Marias Orden«) bricht der Art-Style deutlich ein. Hier ist man von Action-Shounen-Titeln Besseres gewohnt – aber Black Jack will ja auch kein Shounen sein. Dezaki setzt den Fokus auf andere Dinge: auf den sorgfältigen Einsatz von Licht, das die Figuren vor Wäldern, Neon-Skylines oder chirurgischen Leuchten in Szene setzt; auf dramatische, aquarell-artige Standbilder, die der Szene ein explosives Ausrufezeichen verpassen; auf die zahlreichen Blutstropfen, die beim ersten Skalpellschnitt wie rote Schneeglöckchen aufplopppen; und auf die flüssige Animation, gerade im Bezug auf die kleine Pinoko, wenn sie dem Doktor pirouettendrehend auf die Nerven geht. Da die Episoden über einem Zeitraum von sieben bzw. 18 Jahren entstanden sind, ist ihnen eine Entwicklung in der Animationstechnik anzumerken. Vor allem die Episoden 11 und 12 aus dem Jahre 2011 sind an moderne Sehgewohnheiten angepasst, orientieren sich dabei aber immer noch an Dezakis Stil.

Ernst und grumpy + klein und silly

Wie bereits erwähnt, hat die OVA einen sehr düsteren und ernsten Touch, der in starkem Kontrast zur originalen Mangavorlage steht. Dort ist Black Jack ein gerissener, manchmal rachsüchtiger, manchmal aber auch cartoonesk und komödiantisch wirkender Mann. In der OVA hingegen ist er ein poetischer, grüblerischer Schatten und Herzensbrecher, dem die Frauen egal welchen Alters – hauptsächlich in den ersten drei Folgen – mit hartem Cringe-Faktor um den Hals fallen. Trotz dieser ernsthaften 90er-Interpretation, kann sich die OVA dennoch nicht ganz von ihrer nicht ganz so ernshaften Vorlage lösen, denn auch die bereits erwähnte Pinoko taucht in der OVA auf – eine Figur, die untrennbar mit Black Jack verbunden ist. Pinoko ist ein kleines Mädchen mit einem infantilisierten Körper, das aussieht wie 6, aber darauf besteht, 18 zu sein. Sie fungiert als Black Jacks Hausmutter/Geliebte/Tochter/Assistentin und knallt mit ihrem Erscheinungsbild und ihrer überdrehten Albernheit aus dem dunklen Tonus der OVA heraus. Das ist auch der Grund, warum Pinoko in einigen Episoden – etwa in solchen, die in Kriegsgebieten spielen – nicht zu sehen ist. In der ursprünglichen OVA wurde nie erklärt, was es mit Pinoko auf sich hat. Doch mit der nachträglich beigefügten Episode 11 erfahren wir in Hardball Films Gesamtausgabe nun auch ihre Herkunftsgeschichte. Berechtigterweise, denn wir dürfen nicht vergessen: Als das Manga-Museum Osamu Tezuka seinerzeit eine Kunstausstellung zu Tezukas Heldinnen veranstaltete, stand unter anderem Pinoko im Mittelpunkt.

Mystery of the Week

Storytechnisch ist Black Jack rein episodisch aufgebaut – passend zu einem Manga, der aus einer unendlichen Anzahl von Einzelgeschichten besteht. Bei dieser Art des Erzählens neigen die Episoden dazu, ein »Hit or Miss« zu sein – so auch bei Black Jack. Es gibt Folgen, die sich mit medizinischer Innenpolitik befassen und vor allem das bodenständigere Publikum ansprechen. In anderen Folgen wird Black Jacks fundiertes medizinisches Wissen von übernatürlichen Phänomenen in Frage gestellt, die nicht für jedefrau/jedermann etwas sind. Sprechende Tumore, geysierartiges Erbrechen oder eine Reise ins feudale Japan – bei der Black Jack-OVA ist mit allem zu rechnen. Oft stehen die Symptome und Diagnosen der Patienten im Mittelpunkt (Dr. House nicht unähnlich), manchmal wird Black Jack aber auch zum Nebendarsteller seiner eigenen Serie, wenn fallspezifische Nebencharaktere oder politische Verwicklungen ins Rampenlicht rücken. Die OVA ist also eine wilde Mischung, die zwar erzählerisch nicht immer den Nagel auf den Kopf trifft, dies aber durch die Atmosphäre und den Augenaufschlag von Black Jack (hach …) wieder wettmacht.

Fazit

Black Jack OVA ist ein düsterer und spannender Blick auf einen Mann, der sich auf dem Scheideweg zwischen medizinischer Wissenschaft, Moral und dem Übernatürlichen bewegt. Dank Osamu Dezakis sorgfältiger Inszenerung kann die Serie auch heute noch mithalten und weiß zu überzeugen. Black Jack OVA ist eine gute Arzt-Mystery-Serie, die zwar ihre kleinen Schwächen im Erzähldepartment aufweist, diese aber durch tollen Animationen, die typisch düstere Atmosphäre der 90er Animejahre und Dr. Black Jacks eigener Geschichtsträchtigkeit wieder geradebiegt.

© Hardball Films

Totman Gehend

Totman ist Musiker, zockt in der Freizeit bevorzugt Indie-Games, Taktik-Shooter oder ganz was anderes und sammelt schöne Bücher. Größtes Laster: Red Bull. Lieblingsplatz im Netz: der 24/7 Music-Stream von Cryo Chamber auf YouTube.

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Hero Kage
Redakteur
3. September 2024 15:06

Die Black Jack OVAs sind immer noch einer meiner Lieblings-Animes. Dieser etwas ernstere Ton im Vergleich zur Vorlage bzw. auch zu den früheren Adaption gefällt mir richtig gut. Die deutsche Synchro ist ebenfalls ausgezeichnet.
Deswegen finde ich es auch ein bisschen schade, dass sie die beiden finalen Episoden nicht ebenfalls eine Snychro bekommen haben. Trotzdem bin ich froh, dass sie auch endlich bei uns erschienen sind und jetzt habe ich die Serie halt einmal als DVD und einmal als Blu-Ray im Regal stehen. Gibt schlechtere Serien dafür.