3 Body Problem

David Bennioff und D. B. Weiss sind zurück. Nach ihrer Erfolgsserie (die einen sagen so, die anderen so) Game of Thrones wagen sich die beiden Showrunner in die Gefilde der Science-Fiction und bringen mit Netflix’ 3 Body Problem Cixin Lius Trisolaris-Trilogie auf die Bildschirme. Eine Buchvorlage, von der schon Barack Obama schwärmte, doch auf die Frage, ob er eine Rolle in 3 Body Problem übernehmen würde, antwortete der Ex-Präsident nur »Wenn es jemals eine echte Alien-Invasion geben sollte, sollte ich mich lieber für diese Krise aufheben.« Schade. Und so müssen Bennioff und Weiss ohne Obama dem Bestseller aus China, in dem sich die Menschheit auf besagte Alien-Invasion in 300 Jahren vorbereitet, gerecht werden. Schauen wir mal rein, ob ihnen das geglückt ist.

1960 während der chinesischen Kulturrevolution: Die Physikerin Ye Wenjie (Zine Tseng) sitzt in einer abgelegenen Forschungseinrichtung der Mao-Regierung fest und arbeitet an einem ehrgeizigen Ziel: Signale ins All zu senden und als erste Nation Kontakt mit einer außerirdischen Kultur aufzunehmen. 50 Jahre später geschehen seltsame Dinge. Wissenschaftler sehen einen ominösen Countdown auf ihrer Netzhaut und begehen Selbstmord. Nachdem sich auch die Physikerin Vera Ye (Vedette Lim) in den Tod gestürzt hat, treffen sich fünf ihrer ehemaligen Studenten (Auggie, Jin, Jack, Will und Saul) um die Sache aufzuklären. Dabei entdecken sie ein hochentwickeltes VR-Game, das ihre Professorin zuvor gespielt hat. Doch die Zeit drängt, denn auch Auggie (Eiza González, Baby Driver) beginnt, den Countdown zu sehen.

Nicht die erste Adaption

Originaltitel 3 Body Problem
Jahr 2024
Land USA
Episoden 8 in Staffel 1
Genre Science-Fiction, Drama
Cast Augusta Salazar: Eiza González
Jin Cheng: Jess Hong
Jack Rooney: John Bradley
Will Downing: Alex Sharp
Saul Durand: Jovan Adepo
Thomas Wade: Liam Cunningham
Shi Quiang (Clarence): Benedict Wong
Ye Wenjie (alt): Rosalind Chao
Mike Evans (alt): Jonathan Pryce
Veröffentlichung: 31. März 2024 auf Netflix

Die Adaption von Cixin Lius Trisolaris-Trilogie galt von Anfang an als schwieriges Unterfangen. Die mit dem Hugo Award ausgezeichnete Serie ist ein äußerst komplexes Werk, das Jahrhunderte umspannt und zahlreiche wissenschaftliche Ideen und Dilemmata untersucht. Dennoch ist Netflix nicht das erste Unternehmen, das sich an diesem Projekt versucht. Bereits 2022 wurde für die chinesische Streaming-Plattform BiliBili eine Animationsserie produziert, die allerdings das gesamte erste Buch der Trilogie überspringt. Möglicherweise wollte man so vermeiden, Cixin Lius Vision der Kulturrevolution im heutigen medienrechtlichen Umfeld darstellen zu müssen. Möglicherweise war man aber auch der Meinung, das erste Buch sei zu öde für die Leinwand. So oder so: Als Umsetzung ist die Animationsserie schlicht gesagt Asche. Anders verhält es sich mit der Live-Action-Serie von Tencent Video aus dem Jahre 2023: Mit einem Umfang von 30 Episoden gilt Tencents Three-Body als Paradebeispiel in Sachen Vorlagentreue. Auch David Bennioff und D. B. Weiss, die bereits Game of Thrones zu einem Phänomen (im Positiven wie im Negativen) gemacht haben, erkannten, dass der Trisolaris-Stoff ideal für eine aufwändige Netflix-Adaption wäre.

Aus 1 mach 5

Staffel 1 von 3 Body Problem ist eine Adaption des ersten Bandes, greift aber in einigen Punkten bereits vor. Elemente wie der Sternenkauf oder »der Treppenplan«, die erst in Band 3 auftauchen und dadurch eher »drangepappt« wirken, werden auf diese Weise frühzeitig und homogener in die Geschichte integriert. Pluspunkt für die Adaption. Die Hauptfigur des Romans ist Wang Miao, ein Professor für Nanotechnologie, der genötigt wird, mit Kommissar Shi zusammen zu arbeiten, um den Selbstmordtrend unter Wissenschaftlern zu untersuchen. Dabei stößt er auf ein hochentwickeltes VR-Game, das die Wissenschaftler vor ihrem Tod gespielt haben. Die Spieler:innen stehen darin vor der Aufgabe, das Geheimnis eines fremden Planeten zu lösen. Für den weltweiten Netflix-Markt wurde die Figur des Wang Miao auf die »Oxford 5« aufgeteilt: Fünf Freunde, die gemeinsam Physik studiert haben und nach dem Selbstmord ihrer ehemaligen Professorin wieder zusammenkommen. Auggie, eine Expertin für Nanofasern, die darunter leidet, einen omnipräsenten Countdown auf der Netzhaut zu sehen. Jin (Jess Hong), eine Physikerin, die das VR-Game untersucht. Jack (John Bradley, Game of Thrones), der Funny Guy, der ein millionenschweres Snack-Unternehmen aufgebaut hat. Will (Alex Sharp), der krebskranke Dozent, blass und hoffnungslos in Jin verliebt. Und schließlich Saul (Jovan Adepo, Operation: Overlord), der Assistent der verstorbenen Professorin, der kifft und eher im Hintergrund herumdümpelt, ehe er am Ende der Staffel zum heißen Scheiß avanciert (Saul übernimmt die Rolle von Lou Ji aus Band 2).

Menschlicher als die Buchvorlage

Die Entscheidung für den breiten Cast ist nachvollziehbar. Dadurch wird die extrem chinesische Perspektive für den internationalen Markt geöffnet und auch die starke Konzentration auf Wang Miao aufgelockert. Jeder der Oxford 5 repräsentiert eine andere Facette, verbunden mit einem inneren Kampf. Auf diese Weise erhält die Geschichte, die im Original manchmal sehr steif und gestelzt wirkt (was die zwischenmenschlichen Beziehungen und die Dialoge betrifft) eine gute Portion Herz und saloppe Menschlichkeit; ein weiterer Pluspunkt. Und dennoch: Die Erzählung wechselt so schnell zwischen den Oxford 5 hin und her, dass es schwer fällt, sich emotional zu binden. Durch den Wegfall von Wang Miao geht auch die Beziehung zu Kommissar Shi verloren. In der Adaption ist Clarence Shi zwar immer noch vorhanden, führt aber keine besondere Beziehung zu den Oxford 5. Trotzdem ist Clarence, gespielt von Benedict Wong (Doctor Strange in the Multiverse of Madness), fraglos der Augenstern der Serie. Auf Wong ist halt Verlass. In seiner Rolle als sardonisch nuschelnder Pragmatiker wertet er jede Szene auf. Clarence arbeitet unter Thomas Wade, dem charismatischen Anführer des weltbesten Geheimdienstes und wunderbar schnittig gespielt von Liam Cunningham (Game of ThronesCrime Game). Auch bei Wade handelt es sich um eine Vorwegnahme. Taucht er doch eigentlich erst in Band 3 auf, ist er nun bereits in Staffel 1 zugegen, wesentlich gealtert. Wade hat immer das große Ganze im Blick und schiebt die Menschen wie Bauern über das Schachbrett, doch seine Strategien zahlen sich meistens aus – auch wenn das zu einer der kontroversesten Szenen der Serie führt, bei der sowohl Erwachsene als auch Kinder den Kopf verlieren.

Speedy Gonzales

Man muss Bennioff und Weiss zugute halten, dass sie durch die frühe Einbindung späterer Elemente einen besseren Blick fürs Ganze vermitteln. Möglicherweise sind sie auch dazu gezwungen, da Netflix ihnen nicht so viel Zeit zur Verfügung stellt. Die Adaption von Tencent Video umfasst 30 Episoden, Netflix nur acht. Dadurch fühlt sich Staffel 1 wie ein Speedrun an, der die wichtigsten Stationen simplifiziert abhakt. Im Original nimmt sich Cixin Liu viel Zeit, um die Streigkeiten zwischen den Regierungen zu zeigen, die eine gemeinsame Antwort auf eine Invasion beeinträchtigen. In 3 Body Problem wird das gestrafft: Die Verteidigung liegt allein in den Händen von Thomas Wade. Zack, fertig. Die Wissenschaftssekte ETO verliert an Substanz, da es keinen internen Bürgerkrieg zwischen den Flügeln gibt. Das VR-Game bekommt in der Netflix-Fassung einen Multiplayer-Modus, der es Jack und Jin ermöglicht, das Mysterium viel zu schnell zu lösen. Und auch Ye Wenjie, die Frau der Stunde, hat gerade Mal zwei Folgen, um sich von einer verängstigten Heranwachsenden zur Richterin über eine ganze Rasse aufzuschwingen. Das muss man der Tencent-Adaption hoch anrechnen: Dort gibt es mehr Raum zum Atmen. Die Figuren können zu Persönlichkeiten werden und selbst solche Gedankenexperimente wie der Truthan-Wissenschaftler bekommen ihren Sendeplatz. Leider hat die Netflix-Adaption mit ihren acht Episoden für solche Kinkerlitzchen keinen Platz und generiert damit ihren größten Schwachpunkt.

Fazit

Alles in Einem kann man viel Gutes über Netflix’ 3 Body Problem sagen. Dialoge, Cast, Effekte, Musik, Binge-Flow und die allgemeinen Schauwerte sind tippitop und es ist bemerkenswert, wie viel von der Mammut-Vorlage Benioff und Weiss in nur acht Episoden gepackt haben. Aber wie könnte es anders sein: Genau darin liegt das Problem. Die erste Staffel von 3 Body Problem fühlt sich an wie eine Blinkist-Zusammefassung (keine Werbung beabsichtigt): Sie enthält die wichtigsten Kernelemente, verpasst es aber, ein tiefergehendes Verständnis zu erzeugen. Handwerklich wie gesagt chef’s kiss, aber durch das Bestreben der Showrunner, aus der doch recht eigenwilligen Story ein zugängliches, allgemeintaugliches Spektakel zu machen, wirkt 3 Body Problem seltsam gehetzt und verpasst es dadurch, wirklich gut zu sein. Sehenswert ist die Staffel jedoch allemal.

© Netflix

Totman Gehend

Totman ist Musiker, zockt in der Freizeit bevorzugt Indie-Games, Taktik-Shooter oder ganz was anderes und sammelt schöne Bücher. Größtes Laster: Red Bull. Lieblingsplatz im Netz: der 24/7 Music-Stream von Cryo Chamber auf YouTube.

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