Die Erdsee-Saga (Band 1): Ein Magier von Erdsee

Ursula K. Le Guin galt bis zu ihrem Tod im Januar 2018 (und darüber hinaus) als Grand Dame der Fantasy und Sci-Fi, die zuletzt sogar mit dem National Book Award für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wurde. Sie entwarf einen riesigen Kosmos für den in ferner Zukunft liegenden Hainish-Zyklus, übersetzte sogar das Tao-Te-King des Laotse, dessen philosophische Essenz in all ihren Werken wiederzufinden ist, und erschuf die fantastische Erdsee-Welt, die mit der bis dato für das Fantasy-Genre typischen Verklärung und Schwarz-Weiß-Mentalität aufräumte. Ein Magier von Erdsee handelt vom jungen Ged, der auf seinem Weg zum Dasein als Erzmagier unter großem Schmerz lernen muss, dass Demut und Versöhnung wichtiger sind als wütende Arroganz und Gewalt.

Der Junge Duny wächst auf seiner Heimatinsel Gont als Sohn eines Bronzeschmieds auf. Seine Tante, eine Hexe, sieht das magische Talent, das in ihm schlummert, und fördert es. Als Duny es schafft, sein Dorf mithilfe von Magie vor einer Gruppe wildernder Marodeure zu schützen, nimmt sich der Gont’sche Magier Ogion des Jungen an und verleiht ihm seinen wahren Namen: Ged. Ged aber ist ein leichtsinniger, störrischer und machthungriger Schüler und so schickt Ogion ihn zur Zauberschule auf die Insel Rok. Dort unterläuft Ged ein fataler Fehler: Um seinen Mitschülern zu imponieren, beschwört Ged aus Versehen einen mächtigen Schatten, einen Gebbeth, der ihn von da an verfolgt und nach seinem Leben trachtet. Damit beginnt für den jungen Magier eine gefährliche Zeit.

Über die Erdsee

Originaltitel A Wizard of Earthsea
Ursprungsland USA
Jahr 1968
Typ Roman
Bände 1
Genre Fantasy
Autor Ursula K. Le Guin
Verlag Fischer Tor

Die Erdsee ist ein Archipel aus hunderten von Inseln. Sie ist die Heimat von Magie, Drachen und eigenen Mythen, doch die Drachen ähneln in ihrer Verkopftheit eher gefährlichen chinesischen Weisen als George R. R. Martins Drogon und die Magie ist mit Metaphysik durchsetzt. Die Magie, wie sie in Erdsee praktiziert wird, ist Teil einer Ethik, in der Natur, Elemente und Mensch im Gleichgewicht zueinander stehen. Wird etwas per Magie verändert (was nur geschehen kann, wenn man den „wahren Namen“ des zu verändernden Dinges kennt), wird auch alles andere beeinflusst. Deswegen vermeiden Magier so gut es geht das Abfeuern von Zaubersprüchen oder das Abhalten sportmagischer Großereignisse (Heyho, J. K. Rowling!). Die menschliche Welt dagegen ist geprägt von Handel, lokaler Politik, Klassenhierarchien, Kindersterblichkeit, Missbrauch, Sucht und Sklaverei. Ein Magier von Erdsee ist keine Utopie, enthält jedoch utopische Elemente, denn die Welt bildet genug Raum für die verschiedensten Glaubensrichtungen wie Animius, den Glauben an die Reinkarnation oder an ein Leben nach dem Tod. Trotzdem gibt keine religiöse Symbolik wie Moscheen oder Kirchen. Von den kriegerischen Religionsfanatikern auf Kargad einmal abgesehen, ist Erdsee also eine friedlichere Welt als unsere. Und was die Sklaverei betrifft: Sie existiert, ja, hat aber nichts mit der Hautfarbe zu tun, denn es gibt keinen Rassismus.

Über Ged als Nicht-Weißer (und über die Frauenfrage)

In der Zeit, als Ein Magier von Erdsee entstand, war das mit dem Rassismus noch so eine Sache. „Ein Großteil der weißen Leserschaft war im Jahre 1967 noch nicht bereit, einen dunkelhäutigen Helden zu akzeptieren“, schrieb Ursula K. Le Guin 2012 in einem Nachwort zu ihrer Geschichte. „Sie haben auch keinen erwartet. Ich habe kein großes Thema aus Geds Hautfarbe gemacht. Man musste schon sehr tief in der Geschichte voran geschritten sein, bevor man realisiert, dass Ged – sowie die meisten anderen Charaktere – nicht weiß sind.“ Es ist interessant zu sehen, dass die Geschichte um Ged mit seiner umgedrehten Rassendynamik so fresh ist, in anderen Belangen aber wieder total abgedroschen. Denn Ein Magier von Erdsee handelt nicht von Frauen, sondern allein von Männern – davon, was Männer tun und was Männer für richtig halten. Nachträglich wurde sich Le Guin dieses Missstandes bewusst, und es brauchte 18 Jahre ehe sie verstand, eine weibliche Perspektive einzunehmen und den vierten Band des Erdsee-Zyklus Tehanu zu veröffentlichen.

Über Ged als Magier

Ged ist ein Magier, mit dem man sich als Otto Normalleser leicht vergleichen kann, denn er wurde fernab des klassischen Magier-Klischees konzipiert. So sind Gandalf und Dumbledore Abkömmlinge der klassischen Merlin-Schablone – kaukasische Gelehrte und/oder Aristokraten mit weißem Bart, langen Roben und unendlicher Weisheit, voll ausgebildet und ohne nennenswerte Charakterentwicklung. Ged aber ist noch eine kleine Hanswurst, die erst wachsen muss. Er startet als Dorflümmel namens Duny auf seiner Heimatinsel Gont, wird zum ungeduldigen und machthungrigen Lehrling in Re Albi, dann zu einem snobistischen Lehrling auf der Insel Rok, zum Überlebenden auf Pendor, zum Gefangenen auf dem winterlichen Osskil, zum Flüchtling, der nach Gont zurückkehrt und – zu guter Letzt – zum Jäger, der bereit ist, in den Tod zu gehen. Die Erzählung wird von Geds Lastern und Tugenden angetrieben und diese Verflechtung von Charaktermomenten und Handlung fühlt sich auf jeder Seite richtig an. Auch wenn Ein Magier von Erdsee “nur” die bereits gekannte Heldenreise beschreibt, ist die Geschichte trotzdem eine Folge unerwarteter, aber zufriedenstellender Etappen.

Über Le Guins Philosophie

Es gibt sicher viele Menschen, denen es verhasst ist, falsch zu liegen. Sich einzugestehen, dass jemand aufgrund des eigenen Fehlverhaltens sauer auf einen ist, ist eine schwer zu nehmende Hürde. Auch unser Magier Ged liegt falsch, und zwar so richtig. Zwar ist er der Held der Geschichte, doch die Existenz des Schattens, der ihn verfolgt, hat er selbst verschuldet. Er hat ihn ins Leben gerufen – und nur er allein kann das wieder deichseln. Ursula K. Le Guin hatte ein klares Verständnis der menschlichen Natur und schaffte es, auf gerade mal 200 Seiten (je nach Ausgabe) ein nuanciertes Porträt eines komplizierten und fehlerbehafteten jungen Mannes zu zeichnen. Wäre Ged der Erzmagier geworden, wenn er nicht diesen unfassbar großen Fehler begangen hätte? Und heißt das, dass unsere Fehler essentieller Teil unseres Werdegangs und unserer Identität sind und nicht immer gleich Hopfen und Malz verloren ist? Le Guins Antwort darauf: Ja. Ein Magier von Erdsee ist eine Geschichte über das Scheitern und darüber, dass Fehler vergänglich sind und einen nicht limitieren. Man muss nur den Mut haben, sie als seine zu akzeptieren.

Über die Buchausgaben

Ursula K. Le Guin hatte vor allem in ihren frühen Jahren stets mit Buchumschlägen zu kämpfen, die den Lesern falsche Vorstellungen von Erdsee und ihren Bewohnern vermittelten. Die Verlage ignorierten ihre Bitten, die Cover mit sinnvollen und bezugnehmenden Bildern auszustaffieren und setzten stattdessen auf generische Allzweck-Fantasycover, denn immerhin wüssten sie ja was sich verkaufe. Erst als das Ansehen der Bücher stieg, wurde Le Guin Mitspracherecht eingeräumt, und mittlerweile gibt es viele wunderprächtige Ausgaben der Erdsee-Bücher.

Eine der teuersten (und schönsten, Anm. der Red.) ist die englische Ausgabe des The Folio Society-Verlages mit Illustrationen von David Lupton. Dessen dunkle Interpretation von The Wizard from Earthsea gibt es für 55 Euro käuflich zu erwerben (z. B. über die Büchergilde). Darüberhinaus hat Fischer Tor anlässlich des 50-jährigen Jubiläums im Jahre 2018 sämtliche Erdsee-Romane und Erzählungen in einem Band herausgebracht, vollständig neuübersetzt, im Hardcover, mit Lesebändchen und ungezählten Illustrationen des Fantasy-Künstlers Charles Vess. Ursula K. Le Guin zeigte sich sehr glücklich über diese neue Prachtausgabe.

Fazit

Ein Magier von Erdsee ist ein relativ dünnes Buch mit umso mehr Inhalt. Es geht und Mut und Macht, Abenteuer und Tod, aber nie um Krieg, Schwertkämpfe und hirnlose Gewalt. „Krieg als moralische Metapher ist beschränkt, einschränkend und gefährlich. Die Handlungsoptionen werden reduziert sowie die ethische Komplexität und der moralische Reichtum unseres Lebens“, schrieb Le Guin im Nachwort – und das ist eine sehr sehr angenehme Abwechslung im Fantasy-Genre. Sowohl in der Magie als auch in der Geschichte selbst liegt die Sprache im Mittelpunkt; alles wird durch Sprache beschworen. Jedes Wort scheint perfekt und die Sätze so straff und sauber und führend wie das Schiffssegel von Geds Nussschale. Ein Magier von Erdsee ist der Auftakt zu einer der einflussreichsten und schönsten Fantasy-Zyklen.

 

© Fischer Tor

Totman Gehend

Totman ist Musiker, zockt in der Freizeit bevorzugt Indie-Games, Taktik-Shooter oder ganz was anderes und sammelt schöne Bücher. Größtes Laster: Red Bull. Lieblingsplatz im Netz: der 24/7 Music-Stream von Cryo Chamber auf YouTube.

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