Sarazanmai

Good Morning! Ist es Begierde oder Liebe? In Form von Universum Animes erstem Anime-Simulcast via Anime on Demand kehrt Regisseur Kunihiko Ikuhara das erste Mal seit Revolutionary Girl Utena wieder in deutschsprachige Gefilde zurück. Sarazanmai heißt sein neuster Streich. Kappas, die niedlichen grünen Maskottchen japanischer Folklore, werden veredelt mit einer verrückten Mischung, die nicht nur Teller, Kappa(ma)zon-Kartons, Otter-Abstrakte, Crossdressing oder Selfie-Horoskope beinhaltet. Doch so skurril sich Sarazanmai (“drei Teller”) auch erst einmal gibt, lassen die Ikuhara-typischen Metaphern und Sozialkommentare nicht lange auf sich warten. Lasst uns eine Tür öffnen!

   

Die Mittelschüler Kazuki, Tooi und Enta leben in Asakusa, einem Stadtviertel Tokios, in dem Lokal-Idol Sara Azumas eine Newssendung und ein Selfie-Horoskop unterhält. Kazuki trägt immer eine Box mit sich herum, um eine Verbindung aufrecht zu erhalten. Tooi begeht Kleinverbrechen, um eine Verbindung für die auch er alles aufgeben würde, aufrecht zu erhalten. Enta ist Kazukis bester Freund und möchte daran glauben, dass Verbindungen nicht so einfach zerbrechen. Alle drei besitzen sie einen Kappazon-Karton, in denen Wichtiges verborgen ist. Doch seltsame Dinge passieren in Asakusa: Alle Kartons fliegen plötzlich gen Himmel. Am gleichen Tag geht eine Kappa-Statue durch Tooi und Kazuki versehentlich zu Bruch. Der daraus erwachte Kappa-Thronerbe Keppi verwandelt die drei Jungs in Kappas und bringt sie in eine Welt zwischen den Lebenden und den Toten. Fortan sollen sie ihm helfen, Kappa-Zombies unschädlich zu machen. Inkarnationen von Begierden Verstorbener, deren “Shirikodama”, ein mystisches Organ, entfernt werden muss. Da die drei Jungs nebst ihrer Rückverwandlung in Menschen auch unbedingt ihre Kartons wiederhaben wollen, müssen sie dem Zombie das Shirokodama aus dem Allerwertesten des Zombies herauspflücken und das “Sarazanmai”-Ritual vollziehen. Dabei werden Geheimnisse offen gelegt, die jeder der drei lieber für sich behalten hätte. Doch Keppi hat die Fähigkeit, die Shirikodama in Hoffnungsteller zu verwandeln, die bei genügender Menge Wünsche erfüllen können. Kazuki und Tooi sind sofort fest entschlossen, die Teller um jeden Preis zu bekommen und auch Enta hat einen leicht komplizierten Wunsch. Dem Trio stehen Reo und Mabu entgegen. Normalerweise Polizisten, produzieren sie insgeheim für Keppis Feinde, das Otter-Imperium, Kappa-Zombies aus Kriminellen mit einem sonderbaren Fetisch.

Verrückt, zeitlos und doch sehr modern

Originaltitel Sarazanmai
Jahr 2019
Episoden 11
Genre Drama, Fantasy, Comedy
Regisseur Kunihiko Ikuhara
Studio MAPPA

Geht man vollkommen unbedarft an die Serie heran, präsentiert sie sich zunächst nachdenklich und bodenständig, wenn gleich auch etwas abstrakt. Um “Verbindungen” geht es, im Sinne von Beziehungen in allerlei Arten. Doch lässt ein “Was zum…”-Effekt in der Serie nicht lange auf sich warten. Die Jungs verwandeln sich in kleine Kappas, indem eine Parodie von Mochi-förmigen Kappaprinz sie in den Hintern beißt, buchstäblich schluckt und aus dem Allerwertesten wieder ausscheidet. Dinge fliegen einfach so in den Himmel zum Themen-betreffenden Zombie während in lokales Idol sie kommentiert. Kämpfe gegen die Zombies werden mit einer Gesangseinlage, einem Stich in den Hintern und anschließender Wireless-Telepathie-Sitzung ausgefochten. Das Setup der Serie bewegt sich zwischen mutiger Originalität und einem gewissen Maß an Fragwürdigkeit. Das betrifft auch sämtliche Zombies-der-Woche, die zu Lebzeiten alle mit einem Fetisch daherkommen, der illegale Ausmaße angenommen hat. Nichts davon lässt sich von der melancholischen Stimmung der Trailer oder der Eingangsszene auch nur entfernt erahnen. Und doch ist alles thematisch verheiratet: Das Protagonisten-Trio wie auch die Zombies haben etwas, dass sie nicht einfach in Worten kommunizieren können, bis das Sarazanmai-Ritual und dessen gedankliche Wireless-Verbindung sie zur Offenlegung zwingt. Und Akzeptanz ist nicht unbedingt der erste Gedanke, den die Gesellschaft für die Geheimnisse übrig hätte. Seien es die sexuellen Vorlieben der Zombies, Kazukis Crossdressing oder Entas erster Schwarm, der sich als Kazuki rausstellt. Als Sahnehäubchen gibt es noch Seitenhiebe auf Themen wie etwa Materialismus oder Social Media.

Kunihiko “Ikuni” Ikuhara

Im Diskurs mit seinen Produktionen kommt man nicht ganz umhin über den Regisseur selbst so einige Worte zu verlieren. Kunihiko Ikuhara begann seine Karriere bei dem Studio Toei Animation, wo er für den Bärenanteil von Sailor Moon die Regie übernahm, bis er nach der SuperS-Staffel dazu überging, Revolutionary Girl Utena das Licht der Welt erblicken zu lassen. Zwischen dieser Serie, die als sein Magnus Opus gilt und Sarazanmai liegen noch Mawaru Penguindrum und Yuri Kuma Arashi, doch bei beiden müssen hiesige Interessenten noch auf englische Veröffentlichungen ausweichen. Allen Titeln ist gemein, dass sie an der Oberfläche sehr bizarr erscheinen und mit Metaphern sowie Wortspielen überquellen. Womit jedoch auch zahlreiche Sozialkommetare verpackt werden. Bei Revolutionary Girl Utena ist es feminine Emanzipation, bei Mawaru Penguindrum das eigene Schicksal in die Hand zu nehmen und bei Yuri Kuma Arashi soziale Oppression lesbischer Minderheiten. Sarazanmai reiht sich da ohne Weiteres ein und verglichen mit den Vorgängern gibt es sich deutlich einfacher – verrät die Serie ihr Hauptthema schließlich schon gleich zu Beginn. Visuell schreckt Ikuhara auch hier nicht davor zurück, unbeschrittene Wege zu betreten. Etablierte Erzählmuster weiß er gekonnt zu subvertieren und die obligatorischen Maskottchen sind ebenfalls wieder von der Partie. Allerdings lässt sich nicht von der Hand weisen, dass einige erzählerischen Elemente, die ihm von Toei Animation zu Sailor Moon Zeiten eingetrichtert wurden, sich nicht besonders gut stellen mit dem gegenwärtig bevorzugtem Anime-Format kurzer Staffeln. Das betrifft vornehmlich seinen Hang zu episodischen Einleitungen in denen die Figuren vorgestellt werden. In denen ist auch das Muster der Wiederholung sehr prominent. Sarazanmai variiert sie zwar ausnahmslos. Doch in Anbetracht der kurzen Folgenzahl wird es sich für viele unweigerlich wie schlecht ausgenutzte Sendezeit erscheinen. Während es Yuri Kuma Arashi fast das Genick bricht, weiß Sarazanmai damit deutlich besser damit umzugehen. Die Serie findet in elf Folgen auch einen Abschluss für die Haupthandlungsstränge. Dennoch verbleibt einiges in wenig ausgefeilt und bestenfalls angestreift.


Technisch eine Augen- und Ohrenweide

Sarazanamai ist definitiv etwas fürs Auge. Metaphern und Symbole sind bei Ikuhara Standardrepertoire, aber auch darüber hinaus versteckt sich schon viel Handlung in den Bildern, lange bevor sie benannt wird. Wie etwa bei Kazuki daheim im ganzen Haus Schienen angebaut sind, um dem querschnittsgelähmten Haruka den Alltag zu erleichtern. Auch Charakterisierung erfolgt oftmals ohne Worte. Ernste Szenen werden meist mit lustigen Keppi-Einlagen aufgelockert. Saras Sendungen sind ebenfalls vornehmlich leichtherzig und doch nehmen sie stets das Thema der Folge schon voraus. Die Serie erstrahlt in leuchtenden Farben und je nach Sequenz kann auch das Design etwas in andere Stilrichtungen gedehnt werden. Nacht-Sequenzen handhabt sie genauso gut wie Tag-Sequenzen oder die nicht seltenen Surrealitäten. Musikalisch wartet Yukari Hashimoto (Mawaru Penguindrum) sowohl für die humoristischen wie dramatischen Aspekte mit einem passendem Stück auf, bei dem jede Figur mehrere Themenlieder hat. Die musikalische Komponente ist definitiv kein unwichtiger Teil des Gesamtwerks, da die Kappa-Kämpfe der Jungs einem Musical gleichen und auch die Choreographie des Ottertanz darauf abgestimmt ist. Während beides in den Lyrics inhaltliche Bezüge schafft, nehmen sie sich mit ihrer Überspitztheit und Absurdität gleichzeitig auch nicht zu ernst. Infolgedessen brauchen die Synchronsprecher hierfür gar nicht die hochgradig professionellen Gesangstalente, da es zum Humor beiträgt. Für die Vertonung der Figuren siedelt sich die Serie jedoch definitiv im oberen Bereich an. Mit von der Partie sind Branchenveteranen wie Junichi Suwabe (Archer in Fate/stay night), Mamoru Miyano (Rintato Okabe in Steins:Gate), aber auch der Rest vom Main Cast hat mit Yoshimasa Hosoya (Sousuke Yamazaki in Free!), Ayumu Murase (Shouyo Hinata in Haikyu!!) und Kouki Uchiyama (Yuu Otosaka in Charlotte) namhafte Besetzung erhalten. Mit Saras Rolle hat die Serie daneben auch Raum für ein Newcomer-Debut geschaffen. Sarazanmai gehört sicher zu den Animetiteln, die ein breites emotionales Spektrum abdecken, das seinen Sprechern einiges entlockt. Darauf wurde viel Wert gelegt, übernahm Ikuhara nicht zuletzt höchstpersönlich die Sound-Regie.

Lost in Translation

Sarazanmai ist eine sehr japanische Produktion und sie macht keinen Hehl daraus. Sprachliche wie visuelle Referenzen gibt es zuhauf und selbst für Japaner braucht es mehr als einen Blick. Praktisch alle ikonischen Lokalitäten vom Anime-Asakusa wie z.B. die Azuma-Brücke existieren auch real. Das spiegelt das Ending wieder, das die Figuren auf Live-Action-Schauplätze bannt. Der Titel “Sarazanmai” selbst ist ein Wortspiel, das entweder “drei Teller” bedeuten kann oder “in Teller versunken sein”. Obendrauf reimt es sich noch auf “Sushizanmai”, einer Sushi-Kette in Japan. Die Serie quillt über mit Wortspielen, die sich unmöglich alle übersetzen und adaptieren lassen. Seien es die omnipräsenten Teller (“sara”) oder Sara Azumas “~dish” (“Teller” auf Englisch) Satzsuffix oder eine sehr wörtlich umgesetzte Redewendung. Saras Horoskop-Sendungen begleiten Sätze im Romaji-Format, wo selbst Japaner einmal den Griff auf die Pausetaste walten lassen müssen. Die Rückblendesequenzen beginnen mit einer Title Card, die wie ein Multiple Choice-Kanjitest aufgebaut ist. Auf dem Weg zu den Kämpfen fährt Keppis Kutsche stets an wechselnden Graffitis an den Wänden vorbei. Angekommen, verstecken sich Worte in den blauen Neon-Streifen. Das mystische Organ “Shirikodama” (“kleine Kugel im Allerwertesten”) und dessen Entnahme sind aus der japanischen Folklore entliehen und datiert auf die Edo-Epoche zurück. Das im Kontext mit Reo und Mabu laufend fallende “kein Anfang, kein Ende, keine Verbindung” erinnert sehr an “keine Klimax, keine Pointe, kein Sinn” (“yama nachi, ochi nashi, imi nashi”) – oder abgekürzt Yaoi. “Yaoi” beschreibt ursprünglich Inhalte über homosexuelle Figuren für eine weiblicher Zielgruppe, die ohne Umschweife den Fokus auf Pornografie legen. Ein Großteil bewegt sich noch immer in dem Rahmen, wenngleich sich mittlerweile seriöse Geschichten daraus entwickelt haben. Dass das Wortspiel nicht so recht Zufall sein kann, legt Sarazanmai schon in der zweite Folge nahe: Wie Reo beim Ottertanz Mabu das mechanische Herz herausreißt, hat schon eine gewisse erotische Komponente. Doch was erstmal noch als Queerbaiting-Fanservice durchgehen könnte, findet im Laufe der zweiten Serienhälfte eine sehr eindeutige Sprache, die bei allen Referenzen zwar das Vorhandensein einer sexuellen Komponente unmissverständlich aufzeigt, aber dennoch dessen Klischees aus dem Weg geht.


Es gibt da noch ein etwas mehr als den Anime…

Die Serie startet mit dem Mittelschüler-Trio, doch Reo und Mabu nehmen zunehmend mehr Präsenz ein. Als Erwachsene bilden sie ein Gegenpol zu den Schülern, haben aber genauso mit Kommunikationsproblemen zu kämpfen. Während die jüngeren eher nicht wissen, wie sie am Besten kommunizieren sollten, ist es bei Reo und Mabu genau andersherum: Sie wissen es eigentlich, aber können nicht recht. Beziehungsweise nicht mehr. Wie es die Beziehung zwischen den beiden stresst, bringt der Anime in deren Verhalten herüber: Mabu versucht sich anders auszudrücken, aber es erreicht nicht Reo, der das Alte erwartet. Wie das dereinst aussah, macht Reo mit seinen Reaktionen indirekt sehr deutlich, aber mit viel Ausführlichkeit wird es weniger ausgelotet. Nicht im Anime jedenfalls. Direkt vor dem Start der Erstaustrahlung im April 2019 erschien zu den beiden noch Zusatzmaterial. Von Mai 2018 bis März 2019 wurde der Spin-off Manga Reo to Mabu: Futari wa Sarazanmai publiziert, der Reo und Mabus Polizistenalltag verfolgt, nachdem sie ein Baby auf einem Teller finden ihr den Namen Sara geben. Weiteres Zusatzmaterial findet sich mit Reo und Mabus Twitter-Account, indem die beiden von November 2018 bis Ende März mehrmals am Tag über ihren Alltag twitterten. Der Manga erschien erwähnenswerterweise im Boys Love-Magazin RuTile. Für einen BL-Titel ist der Manga aber ausgesprochen handzahm, da es weder eine romantische noch erotische Komponente gibt und sich mehr um Slice of Life-Comedy dreht. Gleiches gilt für den Twitter-Account. Man braucht die Inhalte nicht wirklich um der Handlung des Animes zu folgen und schon gar nicht finden sich Antworten auf die offenen Fragen, die der Anime hinterlässt. Doch baut es Reo und Mabu als Figuren und deren Beziehung ordentlich aus und so manch eine visuelle Komponente im Anime gibt klare Referenzen darauf.

Fazit

Full Disclosure: Mawaru Penguindrum ist einer meiner All-Time-Anime-Favoriten. Alleine aus Designperspektive ist Sarazanmai dadurch schon ein Leckerbissen für mich. Als jemand, der alle Ikuhara-Serien gesehen hat, dachte ich eigentlich, ich wäre auf alle Bizarrheiten vorbereitet. Aber Überraschungen blieben definitiv nicht aus. Vieles ist auf den ersten Blick sehr gewöhnungsbedürftig und einiges bleibt es wohl auch bis zuletzt. Von singenden Synchronsprechern bin ich ja wahrlich kein Fan, aber hier ist das Spektrum zwischen lachaft von gar nicht mal so schlecht breit. In Sachen Sprecherleistung ist schon die von Mamoru Miyano alleine einen Blick wert, doch der Rest des Casts deckt ein breites Spektrum ab. Von der letzten Folge bin ich inhaltlich zwar immer noch nicht wirklich begeistert, da sich einen thematischen Sprung hat. Aber audiovisuell lässt sie sich genauso wenig lumpen wie der Rest. Vor und während der Ausstrahlung bei den Social Media Kanälen dabei gewesen zu sein, muss auch ein Erlebnis für sich gewesen sein. Zu Twitter bin ich selbst erst im letzten Drittel der Serie gestoßen, aber das Drumherum war gar so unterhaltsam wie die Serie selbst. Der Reo-Mabu Spin Off-Manga ist inhaltlich eher bedeppert, aber irgendwie niedlich. Ihr Twitter-Account ist erzählerisch definitiv ein unorthodoxer Ansatz, den man besser live genossen hat. Bei denSocial Media-Themen obendrein auch gar nicht so unpassend. Die Beziehung der beiden empfinde ich als jemand, der über Boys Love-Fanservicebaiting sonst eher die Augen rollt, unerwartet einnehmend. Dass um den Queer-Anteil selbst nicht das geringste Trara gemacht wird, ist genauso erfrischend wie einmal eine Beziehung von Erwachsenen in einem Anime zu sehen, die sich nicht erst zu einem Paar zusammenfinden müssen. Der Veröffentlichung auf Blu-ray schaue ich definitiv schon entgegen.

© Universum Anime

Luna

Luna residiert auf dem Mond mit ihren beiden Kaninchen. Als solche hat sie eine Faible für flauschige Langohren und ist auch nicht um die ein ums andere Mal etwas entrückte Sicht auf die Weltordnung verlegen. Im Bestreben, sich verständigt zu bekommen, vertreibt sie gerne die Zeit mit dem Lernen und Erproben verschiedener Sprachen und derer Ausdrucksformen.

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