Ame & Yuki – Die Wolfskinder
Wölfe haben in der Literatur einen schlechten Ruf: Sie sind oft Antagonisten und werden selbst in Märchen am Ende getötet (Rotkäppchen lässt grüßen). Ähnlich verhält es sich mit Wolfsmenschen, die sich angeblich bei Vollmond in Bestien verwandeln. Alles böser Aberglaube! Zumindest in dem Anime-Film Ame & Yuki – Die Wolfskinder, in dem sich eine junge Frau in einen Wolfsmann verliebt und nach dessen Tod ihre beiden gemeinsamen Kinder alleine aufziehen muss. Das ist bei zwei kleinen Wolfskindern, die zwischen der Identität als Mensch und Wolf stehen, noch deutlich schwerer als ohnehin schon. Das fantasievolle Familien-Drama von Regisseur Mamoru Hosoda (Summer Wars) erschien 2012 und wurde von Studio Chizu produziert. Warum der Film ein wunderschönes und emotional bewegendes Meisterstück ist, lest ihr in unserem Review.
Die 19-jährige Studentin Hana trifft an ihrer Universität eines Tages einen geheimnisvollen Mann, mit dem sie sich anfreundet. Aus der Freundschaft und gemeinsamen Gesprächen wird schnell Liebe, doch der Mann hat ein Geheimnis, das er ihr eröffnet: Er ist ein Wolfsmensch! Überrascht, aber nicht abgeschreckt, geht sie mit ihm eine glückliche Beziehung ein, die bald darauf von Nachwuchs gekrönt wird. Erst wird Tochter Yuki (“Schnee”, geboren an einem verschneiten Tag) und ein Jahr später Söhnchen Ame (“Regen”, geboren an einem regnerischen Tag) geboren. Das Familienglück scheint perfekt, doch dann passiert das Unmögliche: Hanas Freund, der Wolfsmann, stirbt kurz nach Geburt des zweiten Kindes durch einen Unfall. Hana ist nun am Boden zerstört und noch dazu ganz alleine mit zwei kleinen Kindern. Schließlich darf niemand wissen, dass sich auch Yuki und Ame in Wölfe verwandeln können. Hana ist fest entschlossen, allen Widrigkeiten zu trotzen und ihrer kleinen Familie ein schönes Leben zu bieten …
Hana und ihr Wolfsmann: kurz erzählt und doch berührend
Originaltitel | Ookami Kodomo no Ame to Yuki |
Jahr | 2012 |
Laufzeit | 117 Minuten |
Genre | Fantasy, Drama |
Regie | Mamoru Hosoda |
Studio | Studio Chizu |
Veröffentlichung: 26. Juli 2013 |
Die Liebesgeschichte zwischen Hana und dem Wolfsmann (der über den gesamten Film namenlos bleibt) bildet nicht den Fokus der Geschichte und bleibt letzten Endes natürlich auch Mittel zum Zweck, um zur eigentlichen Handlung, nämlich Hanas Leben mit den beiden Wolfskindern, zu kommen. Das hindert die Drehbuchautoren Mamoru Hosoda und Satoko Okudera aber nicht daran, der Beziehung der beiden genug Raum einzuräumen, um eine große Sympathie für den Wolfsmann aufkommen zu lassen. Zunächst lernen sie sich kennen, führen Gespräche und verbringen viel Zeit miteinander, bevor er ihr seine Identität als Wolfsmensch preisgibt. Erst danach werden die Ereignisse anhand dialogloser Bilder erzählt, die aber tatsächlich genau so viel aussagen, wie sie auch sollen. Die Liebe zwischen den beiden ist absolut spürbar und der Wolfsmann wird so charakterisiert, dass absolut nachvollziehbar ist, warum sich Hana so in ihn verliebt hat. Er wird quasi als märchenhafter, idealer Partner und Vater dargestellt. So wird auch an liebevollen Szenen der kleinen Familie nach Yukis Geburt nicht gespart. Umso mehr leidet man als Zuschauer:in mit, wenn Hanas Partner in Wolfsform stirbt und einfach herzlos als Wildtier entsorgt wird. Diese Szene ist zwar nur kurz zu sehen, transportiert aber viele Gefühle: Trauer und Sorge, kurz darauf Entschlossenheit, beide Kinder möglichst gut aufzuziehen.
Modernes Märchen vs. realistisches Leben als junge Mutter
Die Probleme, mit denen sich Hana konfrontiert sieht, sind so weltlich und nachvollziehbar, wie sie nur sein könnten. Als alleinerziehende Mutter muss sie ihr Studium pausieren und für das Jobben bleibt mit einem einjährigen Kind und einem Baby keine Zeit mehr. Denn wie Kinder nun einmal so sind, sorgen sie für allerhand Trubel: Yuki hat etwa oft Trotzanfälle und das Baby weint Nächte durch. Die Nachbarn haben dafür kein Verständnis mehr und Hana ist sichtlich ausgebrannt. Dazu kommen aber die Konflikte, die mit ihnen als Wolfskinder einhergehen. So hat Hana eben nicht nur zwei kleine Kinder, sondern gleichzeitig zwei Welpen zu Hause, die ihr schon einmal das ganze Zimmer verwüsten. Als Yuki einmal Trockenmittel isst, weiß sie nicht, wohin sie soll: Kinderarzt oder Tierarzt? Die Kinder können ihre Verwandlung nicht kontrollieren. Es ist einfach natürlich für sie, beides zu sein. Doch in Hanas Mietwohnung sind Tiere verboten, sodass sie auch dabei Probleme bekommt, wenn Yuki und Ame bellend durch die Wohnung tapsen. Dazu darf niemand erfahren, was ihre Kinder sind, sodass Hana sehr zurückgezogen leben muss und im Park schon in Verlegenheit gerät, wenn sich Yuki vom süßen Kleinkind plötzlich in einen bellenden Wolf verwandelt. Letzten Endes fällt Hana die Entscheidung, mit den Kindern aufs Land zu ziehen und dabei möglichst isoliert in einem Bauernhaus zu wohnen. Dabei lernt sie dann aber auch, dass sie gar nicht so alleine leben muss, denn nach und nach freundet sie sich mit den Dorfbewohnern an. Aus Angst aufzufallen möchte sie sich eigentlich fernhalten, doch die Menschen zeigen sich hilfsbereit. Aber während viele dieser Momente sehr lebensnah und dementsprechend bitter sind, präsentiert sich der Titel dennoch ein wenig wie ein Märchen. So bleibt offen, warum der Umzug aufs Land auch Hanas Probleme mit dem Jugendamt löst und der Film versprüht bis zum Schluss eine positive und optimistische Atmosphäre.
13 Jahre in einem Film
Insgesamt begleitet Ame & Yuki – Die Wolfskinder Hana und ihre Kinder über zwölf Jahre, wobei die Geschichte selbst natürlich früher einsetzt und damit eher etwa 13 Jahre abdeckt. Tatsächlich schafft es der Film aber unglaublich gut, diesen langen Zeitraum und das Aufwachsen der Kinder in den nur zwei Stunden Laufzeit einzufangen. An keiner Stelle fühlt sich der Titel gehetzt an, obwohl manchmal das Vergehen mehrerer Jahre nur anhand weniger Bilder gezeigt wird. Die größte Screentime wird auf Yuki und Ame als kleine Kinder und junge Teenager verwendet, die natürlich auch einen größeren Kontrast darstellen. Eine erwachsene Yuki führt als Erzählerin durch die Geschichte, was den märchenhaften Touch unterstreicht. Ohnehin besitzt der Titel aber drei zentrale Protagonisten: Hana, Ame und Yuki. Die beiden Geschwister sind dabei vollkommen unterschiedlich. Während Yuki wild, aufgeschlossen und mutig ist, ist Ame zunächst ein ängstliches, schüchternes und sehr sensibles Kind. Doch beide wachsen an neuen Erfahrungen und gehen letzten Endes ihren eigenen Weg, der für sie als Wolfskinder zwischen zwei Welten deutlich komplexer ist, als für reguläre Kinder. Auch für Hana ist es dabei stellenweise schwierig, zu sehen, wie ihre Kinder selbstständiger werden und sie nicht mehr so stark brauchen. Schließlich fungieren die Drei für viele Jahre als eine Einheit.
Eine Hommage an Familie und das Elternsein
Regisseur Mamoru Hosoda erzählte in Interviews, dass er zu dem Film inspiriert wurde, als immer mehr Paare in seinem Umfeld Eltern wurden und er beobachtete, wie viel mehr Lebensfreude sie (und insbesondere die Mütter) daraufhin ausstrahlten. Dementsprechend wollte er mit Ame & Yuki – Die Wolfskinder einen Film schaffen, der zeigt, wie eine junge Frau zur Mutter wird und sich dadurch verändert. Aber auch die Kinder sollen eigenständige Figuren sein, die ihren eigenen Weg gehen, der vor allem von zunächst klein erscheinenden Entscheidungen geprägt wird. In jedem Falle ist dies absolut gelungen, denn dem Werk ist in jeder Szene anzumerken, wie viele Gedanken in das Projekt geflossen sind. Das Leitmotiv ist eindeutig Hanas grenzenlose Liebe zu ihren Kindern und ihrer Familie. Sie ist bereit, alles hinter sich zu lassen und als Stadtmensch weit weg aufs Land zu ziehen, um ihren Kindern so zu ermöglichen, frei die Welt als Mensch und Wolf zu entdecken. Aber durch Ame und Yuki ist der Film auch ein Coming-of-Age-Titel, da beide ihre eigene Identität finden müssen. In diesem Zusammenhang gibt es auch starke Konfliktsituationen, mit denen sie sich auseinandersetzen müssen. In jedem Falle ist der Film auf eine authentische Weise ausgesprochen emotional und rührt an vielen Stellen zu Tränen.
Entführung in wunderschöne Landschaften
Ame & Yuki – Die Wolfskinder präsentiert sich als ein farbenfrohes Animationskunstwerk. Die Kulissen sind nicht nur abwechslungreich, sondern auch einfach wunderschön. Sei es die lebendige Großstadt, die Berge im Wald oder – ein besonderes Highlight – eine von Schnee überzogene Landschaft, durch die Hana mit ihren jungen Kindern tollt. Dabei sind die Landschaften natürlich nichts, was man nicht auch im realen Leben sehen könnte (bis auf die Existenz von Wolfsmenschen spielt der Film quasi ganz in der normalen Welt), aber sie sind einfach unfassbar detailreich umgesetzt. Zudem gibt es einige Traumsequenzen, in denen Hana ihren verstorbenen Wolfsmann sieht, da er selbst nach seinem Tod noch als ihre Motivation und Stütze fungiert. Das Charakterdesign trägt ohne Frage die Handschrift von Yoshiyuki Sadamoto (Neon Genesis Evangelion) und sieht ausgesprochen niedlich aus. Gerade die beiden Wolfskinder möchte man am liebsten selbst in den Arm nehmen, so süß wie sie sind. Der Soundtrack von Masakatsu Takagi (Mirai – Das Mädchen aus der Zukunft) besteht aus eher ruhigen und melodischen Klängen, die sehr gut zu der Atmosphäre passen. Die Geschichte des Films wurde zudem auch noch in einer gleichnamigen Manga-Reihe und einer Light Novel umgesetzt, die beide beim Verlag Tokyopop erhältlich sind.
Fazit
Ame & Yuki – Die Wolfskinder ist eine emotional aufgeladene und berührende Liebeserklärung an die Familie und die Lebensfreude, für die Kinder von dem Moment ihrer Geburt an sorgen können. Mamoru Hosoda gelingt es, die alltägliche Handlung um eine alleinerziehende Mutter mit der Wolfsmensch-Thematik aufzupeppen. Beide Themen gehen Hand in Hand, sorgen dafür, dass sich der Film wie ein modernes Märchen anfühlt und doch auch reale Probleme einer so jungen Mutter zeigt. Gerade dass der Film eine Zeitspanne von mehr als zehn Jahren abdeckt, macht ihn so besonders, da man so die Entwicklung aller drei Protagonisten beobachtet. Schon allein Yuki und Ame aufwachsen zu sehen, ist auf eine eigene Art berührend, weil man so hautnah daran teilnehmen darf. Persönlich ist Ame & Yuki – Die Wolfskinder mein liebster Anime-Film, den ich immer wieder sehen kann und der mich immer wieder zum Weinen bringt und zum Nachdenken anregt.
© Kazé Anime
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