Summer Wars

Sommer in Japan: Feuchte Hitze, große Ferien, Familie besuchen. So gar nicht die Kulisse für ein Science-Fiction-Abenteuer um die Macht der sozialen Netzwerke und eine außer Kontrolle geratene K.I., doch in dem fröhlich-bunten Anime-Film Summer Wars von Mamoru Hosada (Ame & Yuki – Die Wolfskinder) treffen diese so unterschiedlichen Welten aufeinander und ergeben eine Liebeserklärung an die traditionelle Großfamilie mit erheblichem Wohlfühlfaktor.

 

Japan in der allernächsten Zukunft. In der kunterbunten Welt des sozialen Netzwerks “Oz” kann man nicht nur niedliche Avatare erstellen, chatten und spielen, sondern auch einkaufen, arbeiten, Firmen gründen … eigentlich alles, was man mittels eines Computers tun kann, läuft über Oz. Oberschüler Kenji, schüchterner Nerd und Mathegenie hat gerade einen Ferienjob bei Oz an Land gezogen, als Mitschülerin Natsuki ihm einen anderen Vorschlag macht: Er soll sie zum Geburtstag ihrer Großmutter aufs Land begleiten. Nicht verraten hat sie ihm, dass sie ihn dort als ihren Verlobten vorstellen wird, um die Erwartungen der Großmutter und des ganzen traditionellen Familienclans zu erfüllen. Als wäre das nicht schon kompliziert genug, bekommt er in der Nacht eine mysteriöse Email mit einer ellenlangen Zahlenreihe. Da er die Botschaft für ein mathematisches Rätsel hält, knobelt er die Lösung aus und schickt sie ab, nur um am nächsten Morgen festzustellen, dass sein Oz-Account gehackt wurde und von einer künstlichen Intelligenz namens “Love Machine” benutzt wird, um Oz und damit ganz Japan ins Chaos zu stürzen. Schuldbewusst macht Kenji sich daran, Love Machine zu stoppen und erhält unversehens Unterstützung von Natsukis zahlreichen Familienmitgliedern.

Das Netzwerk

Originaltitel Summer Wars
Jahr 2009
Laufzeit 114 Minuten
Genre Science-Fiction, Komödie
Regie Mamoru Hosoda
Studio Madhouse
Veröffentlichung: 26. November 2010

Oz trägt seinen Namen nicht umsonst. Wie die märchenhafte Traumwelt von Der Zauberer von Oz ist das Oz von Summer Wars farbenfroh, mit einem ordentlichen Stich ins Phantastisch-Psychedelische und mit Unmengen putziger anthropomorpher Tierchen und anderer Fabelwesen bevölkert: Offenbar mögen die Nutzer von Oz ihre Avatare niedlich und plüschig, auch, wenn sie in Oz durchaus ernsthafte Dinge abwickeln. Denn diese Themenpark-ähnliche virtuelle Welt, über der als Beschützer ein blauer und ein rosa Wal mit den Namen John und Yoko kreisen, sorgt nicht nur für Teeniespaß, sondern auch dafür, dass Handys und Navis funktionieren, die Polizei und die Feuerwehr reibungslos arbeiten oder dass Ärzte über den Gesundheitszustand ihrer Patienten auf dem Laufenden gehalten werden. Ein absoluter Augenschmaus und zugleich ein erhobener Zeigefinger, der vor den Gefahren einer völlig vernetzten Welt warnt. Aber sehr hoch erhebt sich der Zeigefinger nicht, denn dass Oz prinzipiell eine gute Sache ist und alles mit einem Happy End schließen wird, ist den ganzen Film hindurch ziemlich klar.

Die K.I.

Als ein mysteriöser Übeltäter Kenjis Avatar kapert und aus der unauffällig-niedlichen Maus eine böse Maus macht, ist noch nicht klar, wer sich dahinter verbirgt: In einer Welt, in der jeder als Avatar auftritt, ist nicht auszumachen, wer die Maus steuert, ob nun Mensch oder Maschine. Der Film verrät es alsbald: Es ist eine K.I. namens Love Machine. Wo andernorts künstliche Intelligenzen beunruhigend menschlich werden, hat Love Machine kaum menschliche Züge. Sein Schöpfer hat ihm nur zwei Eigenschaften mitgegeben: Wissensdurst und Freude am Spiel. Eigentlich sympathische Wesenszüge, doch menschlich machen sie Love Machine nicht. Angetrieben von der Gier nach noch mehr Information tobt Love Machine in seiner nächsten Gestalt als eine Art asiatische Gottheit durch Oz, reißt immer mehr Accounts an sich und probiert aus, was er alles kaputtmachen kann. Wie gut, dass der Spaß am Spiel auch seine Schwachstelle sein wird. Aber dass es nicht der Nahkampf eines “Immer in die Fresse rein”-Spiels ist, der Love Machines Untergang besiegelt, sondern das traditionelle japanische Kartenspiel Koi Koi, dessen Regeln für den unbedarften Zuschauer absolut nicht nachvollziehbar sind, überrascht dann doch.

Die Familie

Natsukis Familie, die sie mit ihrem vorgeblichen Vorzeige-Freund beeindrucken will, ist bei weitem nicht nur eine ländliche Großfamilie. Es ist ein adeliger Familienclan, der seine Wurzeln bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen kann und immer noch von dem Glanz zehrt, einst heroisch gegen die Tokugawa verloren zu haben. Nach außen archaisch und stockkonservativ, im Inneren stramm matriarchalisch regiert vom Fmilienoberhaupt Großmutter Sakae. Die Art von vormoderner Familienstruktur, die sonst gern als Kulisse für den Konflikt “Träume und Sehnsüchte des Einzelnen gegen erdrückende Traditionen” herhalten muss. Hier ist diese Welt, wo der Einzelne in der Gemeinschaft aufgeht und etwa Partnerwahl keine individuelles Vorrecht ist, sondern ein Thema, in das sich alle hemmungslos einmischen dürfen, gar nicht erdrückend. Gewöhnungsbedürftig schon, aber dann ist sie kuschelig warm und voller Hilfsbereitschaft und Herzensgüte. Und zum Kampf gegen die K.I. hat jeder etwas beizutragen: Oma Sakae ihr Adressbuch, ihr Festnetztelefon und ihr Verwandschaftsnetzwerk bis hinauf zum Polizeichef, der kleine Stubenhocker-Enkel seine E-Sport-Skills, alle anderen das, was sie gerade auftreiben können, vom Großrechner bis zu Dutzenden von Eisblöcken. Sodass alles in Harmonie enden kann: K.I. besiegt, Junge und Mädchen werden ein Paar.

Fazit

Summer Wars ist zuckerniedlich, quietschbunt und ordentlich sentimental. Aber der Film hat Tempo, Spannung, den einen oder anderen spektakulären Kampf und genug psychologische Authentizität, um die Sentimentalität auszugleichen. Die futuristische Welt der K.I. und ihres Schlachtfelds in der virtuellen Welt von Oz ist schräg und skurril, aber unterm Strich bleiben vor allem die humorvoll und charmant geschilderten Family Values im Gedächtnis. Da möchte man doch gleich in eine japanische Großfamilie einheiraten und lange, heiße Sommertage mit allen Schwägerinnen, Onkeln und Cousinen beim gemeinsamen Essen und Kartenspiel verbringen. Das ist wahrscheinlich so fern der Realität wie ein Ritt in den Sonnenuntergang, aber genauso schön.

© Kazé Anime


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wasabi wohnt in einer Tube im Kühlschrank und kommt selten heraus.

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Aki
Aki
Redakteur
12. Juli 2021 18:39

Nachdem ich letztens im Spiel Touken Ranbu Online ein Hanafuda-Event (So heißt das Kartenspiel und Koi Koi ist nur ein Spielzug) hatte und dort auch Karten sammeln musste und jedes Mal bei “Drei Lichtern” an den Film dachte, wurde es Zeit Summer Wars wieder anzuschauen. Ich mag den Film. Es ist die lustige, lebendige Familie und vor allem die Oma. Gott die greift ja echt zur Naginata und geht in Angriffsstellung! Und ja ich saß wie Kenji beim ersten Mal da und hab Hanafuda Null kapiert XD Raffe es immer noch nicht ganz aber immerhin drei Lichtern sind toll und geben schön viele Punkte!

Bei der Welt Oz denke ich nur immer an Mamoru Hosoda Vorwerk, dem Digimon Film, von dem hier sehr viel visuelle wiederzufinden ist. Wer mir nicht glaub, einfach mal beide Filme nacheinander schauen. Aber egal: Oz ist ein witziger Ort, der zum Pausetastendrücken einläd, um auf Endeckung zu gehen.

Summer Wars macht Spaß.