Ready or Not

Man schleicht nichts ahnend eine Treppe hinauf und just in dem Moment, als man um die Ecke linst, haut einen der laute Schuss des Gegners aus dem Stuhl. Diese Schreckmomente können schlimmer sein als jedes Horrorspiel und beschreiben ziemlich gut den Nervenkitzel von Ready or Not. Seit Dezember 2021 befand sich der Taktik-Shooter aus dem Hause VOID Interactive im Early Access und erschien Dezember 2023 endlich in seiner Release-Version. Ein teambasierter Taktik-Shooter, bei dem es auf Planung und das Delegieren seiner Swat-Kameraden ankommt. Im Koop-Modus hat sich Ready or Not bereits als echte Perle etabliert. Das vorliegende Review befasst sich jedoch mit der Solo-Kampagne. Kann man Ready or Not auch alleine genießen?

   

Der fiktiven Stadt Los Sueños geht’s gar nicht gut. Während die politische und ökonomische Lage äußerst instabil ist, steigt die Rate der Gewaltverbrechen massiv an. Die Reichen sitzen (moralisch bankrott) in ihrem Penthouse, während für den Großteil der Bürger die schönen Dinge zunehmend unerreichbar werden. Perfekter Nährboden für den kriminellen Untergrund. Als neu zuversetzter Swat-Commander David »Judge« Beaumont liegt es nun ans uns zu verhindern, dass das zerbrechliche soziale Gefüge unter dem Druck dieses Chaos zusammenbricht.

(Hyper-)Realismus

Originaltitel Ready or Not
Jahr 2023
Plattform Microsoft Windows
Genre Taktik-Shooter
Entwickler VOID Interactive
Publisher VOID Interactive
Spieler 1 bis 5
Veröffentlichung: 13. Dezember 2023

Taktik-Shooter sind Nischen-Shooter für ein ganz besonderes Klientel. Sie setzen verstärkt auf Realismus und verlangen den Gamer:innen einiges an Geduld ab. Gerade Ready or Not dürfte in dieser Hinsicht für manchen Halo-Haudegen ein Kulturschock sein. Denn: Es gibt keinen Sprint und keinen Jump. Es gibt kein permanentes Fadenkreuz und auch keine Munitionsanzeige (stattdessen muss man sein Magazin manuell checken). Haben wir uns das Bein verletzt, können wir keine Türen eintreten, und tragen wir eine schwere Metallweste, bewegen wir uns spürbar träge. Regen und Lichtverhältnisse beeinflussen unsere Sicht durch den ballistischen Schild und nach jedem Schuss fliegt uns die Patronenhülse um die Ohren. Ready or Not inszeniert sich unfassbar realistisch und erzeugt dieserart eine selten erlebte immersive Aufregung.

Ich packe ein: Teleskopkamera, CS, Türkeil, Stinger …

Dort mit hinein spielt auch, dass das Spiel fast keine Fehler verzeiht. Der One-Shot-Kill lauert um jede Ecke. Deswegen ist in Ready or Not Planung das oberste Gebot. Während man Hotel, Posthalle oder Pornoring infiltriert, muss man genau abwägen, welche der umfangreichen taktischen Mittel man einsetzt. Türen sprengen, Stinger-Granaten werfen, das gesamte Gelände vergasen, mit aufgeteiltem Team oder nicht – alles kann, nichts muss. Manchmal gibt es Geländekarten, die einem das Vorgehen erleichtern. Schleicht man sich aber durch die unterirdischen Tunnelsysteme von Schmugglern, ist man völlig blind. Wie wir vorgehen stellt uns das Spiel völlig frei und übertrifft mit seiner Anzahl an Möglichkeiten sogar die seines Urvaters SWAT 4 (2005). Dazu kommt das breite Waffenarsenal an MGs, Schrotflinten und MPs. Feuerrate, Modifikationen, Waffenhaltung, Kaliber – alles wählbar mit einem spürbaren Unterschied in der Handhabung. Das Gunplay ist ausgefeilt und macht Spaß.

Not ready: Die Stressmechanik

Mit dem Launch 1.0 wurde für die Solo-Kampagne auch der »Commander-Modus« eingeführt. In diesem Modus suchen wir uns aus einem Roster vier Jungs für das eigene Team aus und müssen zusehen, dass diese bei Laune bleiben. Laufen die Missionen aus dem Ruder, dann hat das negative Konsequenzen, die in Therapie oder Ausmusterung gipfeln. Schließen wir die Missionen erfolgreich ab, schaltet das passive Fähigkeiten frei. Diese Mechanik gibt der Kampagne eine gewisse Würze, wirkt im Ganzen aber auch recht rudimentär. Wir können jederzeit und ohne Kosten neue Officer anwerben, warum also in das bestehende Team investieren? So richtig spürbar sind die passiven Perks nämlich nicht. Andere Games integrieren ihre Stressmechanik wesentlich durchdachter (Darkest Dungeon). Wem das alles ohnehin zu blöd ist, der kann im »Practice-Modus« die Levels auch ganz ohne Stressmechanik durchackern.

Beauty or Not

Auffällig an Ready or Not ist seine Schönheit. Neben der prächtigen Grafik punktet das Game vor allem mit wunderschön kuratierten Maps voller visueller und auditiver Details. Perlen vor die Säue, wenn man da durchrushen würde wie bei jedem anderen Shooter (gleichzeitig stirbt man, wenn man stehen bleibt und einfach nur gucken möchte). Je tiefer man in das Areal vordringt, desto mehr spitzt sich das Enviromental Storytelling zu bis man schließlich diese einen finalen Raum erreicht und man sich denkt »Oh shit«. Dazu kommt der Soundtrack von Zach Barrow, der es genau versteht, Angst, Gefahr und Creepyness in seine Klangkollagen zu packen. Trotz aller »Wow«-Inszenierungskunst können aber einige Areale für manche Gamer:innen auch hart an der Grenze sein (Unischießerei, Kinderpornoring, Club-Massaker).

Und wie ist die Story so?

Wichtig für eine Solo-Kampagne ist ja immer die Geschichte, aber das gleich vorweg: In RoN gibt es keine vordergründig erzählte Story. Kein Intro, kein Outro, keine Cutscenes. Nur wer sich die Briefings anhört, auf die Voicelines der NPCs achtet und sich Zeit nimmt, die verschwenderisch detaillierten Maps zu erkunden, der entdeckt die roten Fäden zwischen den einzelnen Missionen. Es ist klar, dass nicht das Inszenieren der Story Priorität hatte, sondern der Spielspaß. Der Fokus liegt also auf dem realistischen Gameplay, der Taktik sowie der großen Levelvielfalt. Anime-Furry-Höllen, Containerhäfen, idyllische Holzhütten feministischer Todeskulte: Alles und noch mehr gibt es ins insgesamt 18 Missionen zu erleben. Für Abwechslung ist also gesorgt.

Streitpunkt: Die vermaledeite KI

Als Solospieler:in ist das eigene Erlebnis verstärkt von der KI abhängig, und genau jene KI ist ein in der Community heiß diskutierter Streitpunkt. Die Gegner-KI ist aggressiv und sehr aufmerksam; sie reagiert auf ferne Rufe (aber nicht immer auf Schüsse), zieht Kreise um das Swat-Team, stellt sich tot oder nimmt Geiseln. Das macht sie fordernd und realistisch. Dann aber gibt es auch völlig absurde Momente, in denen zugedröhnte Methheads nach einer 180°-Wende auf 50 Meter einen Headshot hinlegen. Das auffälligste Problem hierbei ist die übermäßig schnelle Reaktionszeit von 0,25 Sekunden, die weit über das hinausgeht, was realistisch ist. Informationen verarbeiten, Waffe heben, zielen, Abzug betätigen, und das alles in komplexen Situationen, in denen man sich an Einsatzregeln halten und Situationen jederzeit neu einschätzen muss? In 0,2 Sekunden? Puh. Zum Glück kann aber auch die Swat-KI etwas. Die Kollegen reagieren ebenso schnell und zielsicher. Manchmal tragen sie uns sogar durch die Hälfte des Levels, ohne dass wir je einen Schuss abgegeben hätten. Ein guter Anführer weiß eben gut zu delegieren, nech?

Fazit

Für alle, die seit SWAT 4 auf dem Trockenen sitzen: Ready or Not ist euer Game. Der Commander-Modus könnte zwar noch etwas Feinschliff vertragen sowie auch die KI nochmal eine Überholung bräuchte, aber davon abgesehen ist Ready or Not eine wahre Offenbarung. Wundervoll kuratierte, abwechslungsreiche Maps, immersiver Realismus, spaßiges Gunplay, Nervenkitzel ohne Ende (inklusive Momente realer Verwirrung und Panik) und ein ganzer Sack voller taktischer Möglichkeiten. Und was die KI anbetrifft: Die hab ich letztendlich einfach als persönliche Challenge begriffen. Mit Ready or Not haben wir nach langer Durststrecke endlich wieder einen teambasierten Taktik-Shooter auf dem Markt, der das Wörtchen Taktik auch verdient. Kuss geht raus.

© VOID Interactive

Totman Gehend

Totman ist Musiker, zockt in der Freizeit bevorzugt Indie-Games, Taktik-Shooter oder ganz was anderes und sammelt schöne Bücher. Größtes Laster: Red Bull. Lieblingsplatz im Netz: der 24/7 Music-Stream von Cryo Chamber auf YouTube.

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