Scream

Mitte der 90er belebte Wes Craven (A Nightmare on Elm Street), eine Regie-Legende aus dem Horrorfach,  ein Genre, das seine besten Zeiten längst hinter sich hatte: Mit Scream – Schrei! gelang ihm dabei ein Volltreffer, der in vielerlei Hinsicht ein zeitloses Stück Popkultur werden sollte.  Es folgten zwischen 1997 und 2011 drei Fortsetzungen, 2015 verstarb Craven. Fortan ging Scream vor allem in Serie, zunächst war Netflix mit zwei nicht abgeschlossenen Staffeln am Start, dann fuhr MTV die Reihe mit Scream: Ressurection gegen die Wand. Doch das sollte noch nicht das Ende sein: Mit einem fünften Teil der Hauptreihe kam Scream am 28. April 2022 in die deutschen Kinos. Auf eine Nummerierung wurde verzichtet, um auch neue Fans in das mittlerweile immerhin 25 Jahre alte Franchise einzuführen. Natürlich ist nicht nur die Frage nach der Identität des Killers spannend, sondern vor allem, wie sich ein zeitgenössischer Meta-Slasher schlägt. Soviel darf gesagt sein: Scream ist sich in seiner fünften Runde mehr als nur bewusst, was es bedeutet, in den Fußstapfen des Originals unterwegs zu sein.

Während die Morde in Woodsboro vor Jahren aufgehört haben, wird das “Stab”-Filmfranchise weiterhin bedient. Der achte Film der Reihe scheitert an den Kinokassen und es sieht danach aus, als sei die “Stab”-Ära nun vorbei. Da klingelt bei der jungen Tara (Jenna Ortega, The Babysitter: Killer Queen) eines Abends das Telefon und ein unbekannter Anruf offenbart ihr nach ein wenig Smalltalk, dass sie in den nächsten Minuten sterben wird.
In ihren schlimmsten Stunden stehen ihr ihre Schwester Sam (Melissa Barrera, In the Heights) und das alteingeschworene Trio Sidney Prescott (Neve Campbell, House of Cards), Gale Weathers (Courteney Cox, Friends) und Dewey Riley (David Arquette, Cougar Town) bei. Es scheint, als habe es Ghostface auf Tara und ihre Clique abgesehen …

1996 bis 2011: Der Aufstieg und Fall eines Meta-Slashers

Originaltitel Scream
Jahr 2022
Land USA
Genre Horror
Regie Matt Bettinelli-Olpin, Tyler Gillett
Cast
Sidney Prescott: Neve Campbell
Dewey Riley David Arquette
Gale Weathers Courteney Cox
Deputy Judy Hicks Marley Shelton
Sam Carpenter Melissa Barrera
Richie Kirsch Jack Quaid
Amber Freeman Mikey Madison
Tara Carpenter Jenna Ortega
Liv McKenzie Sonia Ben Ammar
Chad Meeks-Martin Mason Gooding
Laufzeit 115 Minuten
FSK
Veröffentlichung: 28. April 2022

In weniger als drei Tagen soll der junge Drehbuchautor Kevin Williamson (Dawson’s Creek) in den 90ern das Skript zu Scream – Schrei! verfasst haben. Damaliger Arbeitstitel: “Scary Movie” (was daraus letztlich wurde, ist bekannt). Unter der Regie von Wes Craven entstand ein globaler Hit, der wegbereitend für nachfolgende Werke war. Eine Satire auf das Slasher-Genre, die im Vorfeld mit Drew Barrymore als vermeintliche Protagonistin warb ‒ und sie dann direkt in der ersten Szene sterben lässt. Keine Frage: Scream war revolutionär. Denn es ging niemals nur um die Handlung des Films, sondern auch immer um die eigene Existenz als Horrorfilm. Viele Trittbrettfahrer wie die Ich weiß was du letzten Sommer getan hast-Reihe, Düstere Legenden oder Schrei, wenn du kannst gaben dem Erfolg Recht, gelangten aber qualitativ wie kommerziell nie in ähnliche Sphären. Dass Scream 4 (auch: Scre4m) 2011 realisiert wurde, grenzte nach elf Jahren Pause schon an ein kleines Wunder. Da die Reihe bereits in ihren Anfängen mit der Zeit ging, war es nur konsequent, Social Media und Smartphone-Verbreitung zu einem Kernthema der Handlung werden zu lassen. Wurden in den 90ern noch Fortsetzungen kritisch kommentiert, waren es nun Remakes und Reboots. Ein zeitgenössischer Kommentar auf Hollywood. Nur an den Kinokassen konnte der vierte Teil wenig reißen. Es war der letzte Film Wes Cravens und er verabschiedete sich beinahe prophetisch mit Blick auf die Zukunft des Horrorfilms. Scream durchlebte also als Vierteiler so einiges und war dabei immer am Puls der Zeit. Mobiltelefone wie Backsteine, Gale Weathers’ schrill-gelber Anzug, Videothekenkind Randy und eine Angelina Tyler, die mit einem Produzenten schlafen musste, um an ihre Rolle in “Stab 3” zu kommen. Bitter-ironisch, dass ausgerechnet diese Form der Hollywood-Kritik von Bob und Harvey Weinstein durchgewunken wurde.

Die Lösung: Requel

Was Ghostface seiner Konkurrenz aus anderen Slashern voraus ist: Seine Identität ist wechselhaft. Das macht eine Scream-Fortführung zu einer weniger kritischen Geschichte als andere Horror-Reihen, welche die Existenz ihrer Killer kaum noch erklären können. Egal wie oft sie umgebracht wurden oder ob sie schon längst kein Teil der Reihe mehr sind (Saw lässt grüßen) ‒ irgendein Plot Point findet sich immer, um nachträglich nochmal alles zu erklären. Dazu kommt natürlich, dass es im Gegensatz zu Jason Vorhees oder Michael Myers auch keinerlei Mythos zu zerstören gibt. Nun könnte man es sich leicht machen und einfach den nächstbesten Grund finden, um einen Killer loszuschicken. Nichts anderes macht der Film unter der Regie von Matt Bettinelli-Olpin (Ready or Not) und Tyler Gillett auch. Nur mit dem entscheidenden Unterschied, dass Scream sich seiner Aufgabe als Meta-Produktion durchaus (weiterhin) bewusst ist. Die Drehbuchautoren James Vanderbilt (The Amazing Spider-Man) und Guy Busick (Ready or Not) waren sich ihrer Verantwortung ziemlich im Klaren und haben die Vorgängerfilme genaustens studiert. Ihre Lösung ist übrigens Teil der Handlung selbst und nennt sich Requel. Eine Mischung aus Reboot und Sequel. Oder kurz gesagt: Eine Fortführung für ein neues Publikum mit einem Legacy-Cast, um die alten Fans ebenso bei Laune zu halten. Ghostbusters und Halloween fühlen sich unangenehm ertappt, aber die werden ohnehin schon zitiert. So wie übrigens auch viele andere Titel der letzten Jahre. So steht Tara beispielsweise auf anspruchsvollere Horror-Titel wie Der Babadook. Scream weiß, dass es dort nicht dazugehört.

Neue Opfer für Woodsboro

Mit dem Cast gelang dem Regie-Duo jedenfalls der große Glücksgriff. Nein, die Rede ist hierbei nicht in erster Linie von Campbell, Cox und Arquette. Die erledigen ihren Job gewohnt solide, aber der Generationenwechsel greift und somit stehen Jenna Ortega, Melissa Barrera und Jack Quaid (The Boys) im Mittelpunkt, während die Clique rund um Tara den Kreis der Verdächtigen bildet: Amber (Mikey Madison, Once Upon a Time … in Hollywood), die Zwillinge Mindy (Jasmin Savoy Brown, Sound of Violence) und Chad (Mason Gooding, Love, Victor), Wes (Dylan Minnette, Don’t Breathe) und Liv (Sonia Ammar, Jappeloup – Eine Legende). Dazu kommen ein paar weitere Charaktere der Vorgängerfilme, die ebenso ihren (Cameo-)Auftritt erhalten. Der Cast macht mitunter am meisten Spaß, weil die Darsteller:innen ihre Rollen mit viel Leben füllen und wie üblich für die Reihe junge Talente sind, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen, man aber schon in der einen oder anderen (Serien-)Produktion erleben durfte. Das ist angenehm: Die alten Hasen sind routiniert gut, doch es hätte sie nicht zwangsweise gebraucht, da die neuen Cast-Mitglieder weit über dem üblichen Horror-Standard agieren. Konstruiert ist nur das Drumherum, welches  Sidney in die Handlung drängt. Ein sechster Teil würde auch ohne sie funktionieren, doch das Drehbuch öffnet ein Hintertürchen, indem erwähnt wird, dass Sidney zweifache Mutter ist. Egal wie man es auch dreht und wendet: Die Vergangenheit lässt die Figuren niemals los.

Die Akzeptanz des Regelwerks

Im Eiltempo prescht die Handlung voran. Perfekt getaktet wird keine Minute mit nebensächlichen Details verschenkt. Jede Szene ist von Bedeutung und hilft dabei, das ewige Whodunit-Rätsel am Laufen zu halten, falsche Fährten zu legen oder neue Personen in den Kreis der Verdächtigen zu erheben. Das Murder Mystery-Rätsel macht wie immer Spaß, auch wenn es weitaus einfacher als in Scream 3 und Scream 4 zu lösen ist, die ganz besondere Asse im Ärmel trugen. Scream in seiner fünften Inkarnation ist dabei weniger originell: Mittels Ausschluss-Verfahren wird schnell ausgesiebt, man muss lediglich vor Augen behalten, wann welcher Charakter wo mit wem (oder auch nicht) unterwegs war. Dafür wird das Publikum mit vielen klassischen Einstellungen und kurz darauf folgenden Ach-doch-nicht-Momenten an der Nase herumgeführt. Dieses Prinzip wird an manchen Stellen durch eine gekonnt eingesetzte Musikuntermalung auf die Spitze getrieben. Aufgestellte Regeln wollen eben hinterfragt werden, eine der ersten Franchise-Lektionen. Apropos: Der Horrorfilm hat sich weiterentwickelt und natürlich kommen auch neue Regeln ins Spiel. Der Film übernimmt die DNA der Reihe perfekt. Das bedeutet auch, dass die Situationskomik wie immer auf den Punkt ist. Wer sich am Meta-Diskurs der Reihe störte, macht besser einen weiten Bogen um diesen Teil.

Fazit

Scream ist abermals ein gelungener, zeitweise sogar intelligenter Horror-Vertreter, der es versteht, seinen Kern zu wahren und trotzdem mit der Zeit zu gehen. Das selbstbewusste Drehbuch brilliert, der Cast trägt die Handlung mit viel Freude und dank perfekten Timings kommt auch keine Minute Langeweile auf. Der einzig fade Beigeschmack ist die Weise, mit der Scream an sein Publikum herantritt: Es wird über Fan-Hörigkeit geurteilt und Drehbücher, die darauf abzielen, die größtmögliche Nähe zu den Fans zu erreichen. Nichts anderes ist aber dieser Teil von Scream. Aber nur, weil immer wieder betont wird, dass das alles doch eine Meta-Ebene ist, wird man auch nicht frei davon. Ein doppelter Boden, der dem Spaß an der Handlung keinen Abbruch tut. Nur ist ein Film, der sich seiner Bedeutung besonders bewusst ist, eben auch nicht vor der Kritik geschützt. Am Ende ist der Film eben das, was er kritisiert: Eine Geisel das eigenen Fan-Echos. Die meisten Erwartungen sollte die Produktion allerdings übererfüllen. Nur eben nicht die von Tara aus dem ersten Akt, denn die empfiehlt lieber Der Babadook und The Witch.

© Paramount Pictures


Veröffentlichung: 28. April 2022

Ayres

Ayres ist ein richtiger Horror- & Mystery-Junkie, liebt gute Point’n’Click-Adventures und ist Fighting Games nie abgeneigt. Besonders spannend findet er Psychologie, deshalb werden in seinem Wohnzimmer regelmäßig "Die Werwölfe von Düsterwald"-Abende veranstaltet. Sein teuerstes Hobby ist das Sammeln von Steelbooks. In seinem Besitz befinden sich mehr als 100 Blu-Ray Steelbooks aus aller Welt.

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