Homecoming (Staffel 2)

Während die erste Staffel von Amazon Prime Videos Homecoming – unter der Regie von Sam Esmail (Mr. Robot) und mit Julia Roberts als Zugpferd – durchtränkt ist von den Einflüssen der Paranoia-Thriller aus den 70ern, gehört die im Mai 2020 erschienene zweite Staffel eher zu jenen psychologischen Werken, in denen die Protagonisten zusammenklamüsern müssen, wer sie sind und wie zum Teufel noch eins sie in diese verfahrene Situation geraten konnten (siehe Memento). Julia Roberts überreicht den Staffelstab des Zugpferds dabei der Sängerin und Schauspielerin Janelle Monáe, die in ihrer Rolle als Ex-Soldatin Jacky Calico an die ominöse Geist Corp. gerät und dabei nicht einmal weiß, wer sie eigentlich ist.

Jacky Calico (Janelle Monáe, Moonlight) wacht inmitten eines Sees in einem kleinen Ruderboot auf. Sie weiß nicht, wer sie ist und was sie getan hat – jede Form von Erinnerung ist verschwunden. Am Ufer steht ein Fremder, der sie beobachtet und davoneilt, als sie ihm zuruft. Fortan auf sich alleine gestellt versucht sie zu verstehen, was passiert ist. Die einzigen Hinweise auf ihre Identität sind ein Ausweis und ein Tattoo, die sie als Veteranin der Air Force auszeichnen. Daneben findet sie noch eine kleine leere Ampulle mit rotflüssigen Rückständen, die einer gewissen Geist Corp. gehört. Calico macht sich auf, dem Konzern einen Besuch abzustatten …

Ein kleiner Rückblick

Originaltitel Homecoming
Jahr 2020
Land USA
Episoden 7 in Staffel 2
Genre Psycho-Thriller, Drama
Cast Jacky Calico: Janelle Monáe
Audrey Temple: Hong Chau
Walter Cruz: Stephan James
Leonard Geist: Chris Cooper
Colin Belfast: Bobby Cannavale
Seit dem 22. Mai 2020 auf Amazon Prime Video verfügbar

Die erste Staffel von Homecoming ist ein spannender Psychothriller, der in zehn Folgen das zentrale Geheimnis hinter dem zwielichtigen Homecoming-Programm der Geist Corp. enthüllt. Ein Programm, das offiziell darauf ausgelegt war, heimgekehrten Soldaten mit PTBS bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu unterstützen. Die Staffel endet damit, dass ein bebrillter Gutachter des Verteidigungsministeriums (und gleichzeitig der nerdigste Detektiv der Welt) das Rätsel löst. Neben der vollständig aufgelösten Handlung und der Tatsache, dass Julia Roberts in ihrer Rolle der Heidi Bergman nicht wieder zurückkehren würde, schien es, als würden die Showrunner Horowitz und Bloomberg aus Homecoming nun eine Anthologie-Serie machen.

Die Abenteuer der braven Soldatin Jacky

Doch anstatt eine völlig neue Geschichte zu erzählen, baut die zweite Staffel auf die früheren Ereignisse auf, wagt sich dabei dennoch über den Podcast (dem eigentlichen Ursprungsmaterial für Homecoming) hinaus und erzählt davon, wie es nach dem Ende des Homecoming-Programms weitergeht. Denn die Geist Corp. existiert bekanntermaßen immer noch. Horowitz und Bloomberg haben eine herausragende Besetzung rekrutiert, die ihr Bestes tut, um die Magie der ersten Staffel erneut heraufzubeschwören. Da hätten wir zuallererst Janelle Monáe als Jacky Calico, jene Frau, die dement in einer Nussschale aufwacht. Augenscheinlich handelt es sich bei ihr um eine weitere Soldatin, die dem Homecoming-Programm zum Opfer fiel. Sie trägt ein Foto bei sich, das ihre alte Einheit zeigt und aufgrund der durchgestrichenen Gesichter wie eine „to kill“-Liste wirkt. Erster Gedanke: Die Geist Corp. will Jacky und ihre Einheit loswerden, ehe sie Geists Geheimnis auf die Schliche kommen. Klingt zunächst gewöhnlich, denn Institutionen, die einen unliebsamen Killer umbringen wollen, der ehemals für sie gearbeitet hat, sind nicht selten (siehe das Bourne-Franchise). Aber Homecoming wäre nicht Homecoming, würde sich das Ganze nicht völlig anders entwickeln. Blöd nur, dass Amazon Prime Video diesen Twist unbeabsichtigt verrät, wenn man während der Folge den Cast inkl. Rollenzuweisung abruft.

Die Monster, die wir schufen

Auch Hong Chau (Watchmen) als Audrey Temple ist wieder mit dabei, jene Tresendame, die es am Ende von Staffel 1 geschafft hat, ihren Vorgesetzten Colin (Bobby Cannavale) auszubooten. Ein Großteil der Geschichte von Homecoming konzentriert sich auf Temple und ihren verzweifelten Versuchen, in der Geist Corp. Macht zu erlangen. Sie ist eine Frau, die belächelt, toleriert und beiseitegeschoben wird. Eine verwandte Seele findet Temple in Francine Bunda (herrlich schrullig: Joan Cusack, In & Out), einer hochrangigen Beamtin des Verteidigungsministeriums, die endloses Potential in Geists Drogenformel zum Stehlen von Erinnerungen sieht und mit ihrem rustikalen Charme wie eine böse Schwester von Professor McGonagall wirkt. Durch ein Gefühl der Schwesternschaft gelingt es Bunda, Temple an sich zu binden. Ohne dass es Temple mitbekommt, stolpert sie also von der Bevormundung durch Männer in die Bevormundung durch eine Frau. Und nun sitzen diese beide Frauen auf ihren hohen Positionen und sind zu denselben Monstern geworden wie ihre männlichen Chefs davor. Temple und Bunda pervertieren ihren Firmen-Feminismus zu einer neuen Form der eigennützigen Ausbeute.

Die Rückkehr von Walter

Die Untersuchung, wie Frauen den Firmen-Sexismus mit absoluter Rücksichtslosigkeit kompensieren, ist aber nur eines der Spielfelder, auf denen sich Homecoming austobt. Natürlich geht es auch wieder um die Frage der eigenen Identität; ob unser Umfeld samt Erfahrungen uns zu dem macht, was wir sind, oder ob wir ein unabänderliches Kernwesen haben. Was uns gleich zu unserem dritten Protagonisten bringt: Auch Walter Cruz (Stephan James, Zeit für Legenden) sitzt wieder mit im Boot und darf sich in der Prä-Homecoming-Ära durch einen Salvation Arc arbeiten, der ihn sogar bis zu dem mysteriösen Gründer Leonard Geist (Chris Cooper, 11.22.63 – Der Anschlag) führt – eine Persönlichkeit, die ganz anders ist, als man sie sich vielleicht vorgestellt haben mag.

Homecoming erlangt musikalische Identität

Zwischen der Frage nach Identität und Schuld und dem Paycheck für Sexismus, erzählt Homecoming auch von einer toxischen Bürokultur und einem entarteten Firmengetriebe, welches von Leonard Geist treffenderweise als „unkontrollierbarer Riese“ bezeichnet wird. Einem derartigen Kontrollverlust wollte der neue Regisseur Kyle Patrick Alvarez bei seinem eigenen Homecoming-Baby entgegenwirken, vor allem im Bereich der Musik. Anders als die erste Staffel, die komplett auf entliehene Musik u.a. von Herrmann und Shire setzt (näheres dazu in der Review), liegt für die zweite Staffel eine originale Partitur vor. Komponist Emile Mosseri saugte die von seinen Vorgängern erzeugte Stimmung auf und schuf eine beunruhigende Musik voller Spannung und Bedeutung, die trotz allem modern und melodisch bleibt. Die Hauptthemen bestehen zumeist aus sich wiederholenden Akkordpatterns, die sich wie eine unendliche Wendeltreppe nach oben schrauben und dabei an Intensität gewinnen. Die Musik ist chromatisch und bedrohlich, aber durchaus wunderschön und trägt viel bei zu dem Wiederaufleben der alten Homecoming-Magie.

Fazit

Die zweite Staffel von Homecoming fühlt sich sehr vertraut an. Regisseur Kyle Patrick Alvarez tut alles, um das alte Flair wieder aufleben zu lassen. Er benutzt ähnliche cinematorgraphische Kniffe (Split Screen, Top Shots, individuelle End Credits (die mit der Melone sind die besten!) etc.) und greift auch auf ähnlich nervenaufreibende Musikstücke zurück. Klar, die erste Staffel bleibt in ihrer Einzigartigkeit unerreicht, trotzdem fühlt sich die Geschichte um Calico, Temple und Cruz wie eine natürliche Erweiterung an, die aufgrund ihrer feinen Hitchock-Stimmung, der sehr guten Schauspielerleistung, der wohl portionierten Folgen und dieser interessanten Mischung aus toxischer Bürokultur, Erinnerungsverlust und staatlichem Fehlverhalten nichts an Anziehungskraft und Binge-Potential eingebüßt hat. Hier und da erscheint die zweite Staffel von Homecoming zwar eher wie ein Epilog denn wie eine nötige Fortführung, spannend und sehenswert ist sie aber allemal.

© Amazon Prime Video


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Totman Gehend

Totman ist Musiker, zockt in der Freizeit bevorzugt Indie-Games, Taktik-Shooter oder ganz was anderes und sammelt schöne Bücher. Größtes Laster: Red Bull. Lieblingsplatz im Netz: der 24/7 Music-Stream von Cryo Chamber auf YouTube.

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