The Witcher (Staffel 2)

Die zweite Staffel von The Witcher hat Einzug erhalten und trendet sich kurz darauf durch die Netflix-Charts. Viele Probleme, die an der ersten Staffel bemängelt wurden, sind gelöst: Es gibt keine sich überkreuzenden Zeitlinien mehr, der Sprechanteil des Hexers Geralt wurde angekurbelt und die Rüstung des Kaiserreichs Nilfgaard schaut endlich nach gescheiter Rüstung aus. Dementsprechend hat auch das Tomatometer auf Rotten Tomatoes einen guten Satz nach vorn gemacht. Im Vergleich dazu stürzt allerdings der Audience Score rasant ab, vordergründig wohl aus dem Grunde, da fanatische und enttäuschte Buch-Anhänger einen Kreuzzug begehen. Zwar kann man die zweite Staffel von The Witcher als Buch-Adaption tatsächlich nicht ernst nehmen, doch davon mal abgesehen: Was taugt sie als Fantasy-Serie?

Geralt von Riva (Henry Cavill), von Beruf her genmodifizierter Hexer, der gegen Geld Monster schlachtet, ist zum Adoptivvater geworden und kümmert sich fortan um Cirilla (Freya Allan), eine Prinzessin im Exil, deren mysteriöses Erbe ihr ungeahnte Kräfte verleiht, die niemand so recht versteht. Ciri, so ihr Spitzname, ist immer noch von Trauer und Hass geleitet und es dürstet sie nach Rache dafür, dass das Kaiserreich Nilfgaard in ihre Heimat Cintra eingefallen ist und ihre Familie tötete. Aus diesem Grunde will sie, dass Geralt sie in der Hexer-Festung namens Kaer Morhen in den Kampfkünsten der Hexer unterweist. Währenddessen bebt die Welt im wahrsten Sinne des Wortes. Bauwerke, die Monolithen genannt werden, verursachen Naturkatastrophen und bringen neue Monster auf den Kontinent, während die Nördlichen Königreiche weiterhin mit der Invasion von Nilfgaard zu kämpfen haben. Nilfgaard unterdessen paktiert mit den von Rassismus gebeutelten Elfen, um sie für ihre Sache zu gewinnen.

Neue Erzählstruktur, mehr Spannung?

Originaltitel The Witcher
Jahr 2021
Land USA
Episoden 8 in Staffel 2
Genre Dark Fantasy, Drama
Cast Geralt von Riva: Henry Cavill
Ciri: Freya Allan
Yennefer von Vengerberg: Anya Chalotra
Vesemir: Kim Bodnia
Cahir: Eamon Farren
Fringilla Vigo: Mimi Ndiweni
Rittersporn: Joey Batey
Tissaia de Vries: MyAnna Buring
Triss Merigold: Anna Shaffer
Stregobor: Lars Mikkelsen
Veröffentlichung: 17. Dezember 2021 auf Netflix

Im Review zu Staffel 1 spekulierten wir darauf, dass mit Beginn der zweiten Staffel die originale Geralt-Saga des Autors Andrzej Sapkowski verfilmt werden wird. So ganz daneben lagen wir damit nicht, gleichzeitig sind wir aber auch weit davon entfernt. Als launigen Einstieg setzt Showrunnerin Lauren Schmidt Hissrich auf die Adaption der Nivellen-Story aus der Kurzgeschichtensammlung Der letzte Wunsch. Danach folgt eine eher lose Interpretation des ersten Bandes der Geralt-SagaDas Erbe der Elfen. Man könnte auch sagen ‘eine Abkehr davon’, denn bis auf einige wenige Versatzstücke, die Einzug erhalten haben, handelt es sich bei der zweiten Staffel um ein ziemlich eigenständiges Ding, das einen neu kreierten Antagonisten samt kompletten »Serien only«-Handlungsstrang inklusive Finale einführt. Dadurch verändert sich auch die Erzählstruktur: nicht mehr zerfranst und episodenhaft, sondern chronologisch aus einem Guss. Das Fundament für eine intrigen- und wendungsreiche Handlung, ähnlich Game of Thrones, wäre damit gegeben. Hissrich versucht in diese Richtung hinzuarbeiten, indem sie ein paar Ränkespiele etabliert, doch wo die Intrigen in GoT so fesselnd sind wie ein Kampf auf Leben und Tod, wirken sie in The Witcher wie freistehende Schaufenster-Deko, die einfach nur ablenken soll von dem, was auch immer der Main-Cast gerade treibt. Gerade diese B-Plots sind es, wo die Fäulnis einsetzt, da sie mit Nebenfiguren, die kaum zu begeistern wissen, viel von der Energie der langen Episoden abzapfen.

Kurz mal angeschnitten: Der Cast

Eine weitere Neuheit: The Witcher baut vermehrt auf der Vater-Tochter-Quality-Time zwischen Geralt und Ciri auf. Fans mussten lange warten, ehe sich die Wege der beiden in der ersten Staffel kreuzten, daher ist es kein Wunder, dass das Paar nun viele gemeinsame Szenen teilt. Henry Cavill als Geralt ist und bleibt der Anker der Serie – er versprüht zu gleichen Teilen verdrießlichen Charme und stoische Verletzlichkeit, während er Ciri zur Hexerei führt. Wunderbar auch Kristofer Hivju (Game of Thrones) als verfluchtes Monsters Nivellen; die Dialoge zwischen ihm und Geralt bereiten Freude. MyAnna Buring (Downton Abbey) sticht mit ihrer Performance stets heraus und gibt der Figur der Zauberin Tissaia die nötige Eleganz, auch wenn das Drehbuch sie gleich zu Beginn zwingt, unelegant »YENNEEEEFER!!!« über den Bildschirm zu brüllen. Freya Allan wächst allmählich in ihre Ciri-Rolle hinein, wirkt jedoch im rustikalen Kaer Morhen wie hineingestanzt mit ihrem akkuraten Make-Up; perfekt dreckig und gleichzeitig perfekt schön. Kommt dann mal die typische »Mauerblümchen-Verwandlung« (ausgedrückt durch eine Blume im Haar), fällt das gar nicht weiter auf. Anya Chalotra als Yennefer bleibt ein Schwachpunkt. Sie und Henry Cavill verfügen über keine gemeinsame Chemie. Die Staffel versagt darin, die jahrelang andauernde Hop-On-Hop-Off-Beziehung voller Drama zu porträtieren; in keiner Geste und keiner Mimik kommt diese Verbindung adäquat zum Vorschein. Dafür glänzt Yennefer mit ungezählten »FUCKS« und Variationen davon; Begriffe, die in ihrer Modernität eher negativ auffallen. Durch das Gefluche möchte man möglicherweise den düsteren Charakter der Bücher wahren. Das könnte man im Grunde auch dadurch tun, indem man die Elfen, anstatt sie in ihrer eindimensionalen Opferrolle versauern zu lassen, als die rassistischen und gewaltbereiten Arschlöcher darstellt, die sie sind. Aber die Macher gehen lieber mit den »FUCKS« – okay. Zu guter Letzt sei noch jemand erwähnt, der durch die Bank zu gefallen weiß: Graham McTavish (Der Hobbit: Eine unerwartete Reise) als Spionagemeister Sigismund Dijkstra. Der Mann verfügt – trotz wenig Bildschirmzeit – über eine sehr spezielle Präsenz, von der man nur hoffen kann, dass sie in Zukunft nicht verschwendet wird.

Rittersporn und die vierte Wand

Der Barde Rittersporn (Joey Batey) bildet eine eigene Kategorie. In den ersten sechs Folgen kaum zu sehen und im letzten Akt mehr schlecht als recht inkludiert, ist er zum kosmosinternen Deadpool geworden, der in Folge 4 eine lebenswichtige Mission gefährdet, weil er Kritik an seinen Songs nicht händeln kann und sinngemäß mit »Bevor du kritisiert, versuch erst einmal selber zu schreiben!« pariert. Klarer Bruch der vierten Wand und damit die Antwort der Serienmacher auf Fan-Kritik an der ersten Staffel. Auch Rittersporns »Du riechst wie ein nilfgaardischer ‘ballsack’« ist eine Referenz auf geäußerte Kritik an der nilfgaardischen Rüstung (die mittlerweile durch Metallplatten ersetzt wurde). Lässt Rittersporn dann mal von der vierten Wand ab und agiert innerhalb der Geschichte, etwa wenn Yennefer im finalen Akt versucht, den Laden zu retten, dann platzt er mit Sprüchen über sexuell frustrierte Ziegenärsche und Brustwarzen herein, die rein gar nichts zur Geschichte beitragen. Man bekommt das Gefühl, dass Rittersporn immer nur in seinem eigenen, ganz persönlichen Kontext existiert, und es ist nie so wirklich klar, was man davon halten soll.

Toss a coin to your composer … not.

Visuell setzt die zweite Staffel in Sachen Produktionswerten, Sets etc. zwar noch einen drauf, doch akustisch muss sie herbe Abstriche machen. Man ersetzte die beiden Komponisten Sonya Belousova und Giona Ostinelli durch Joseph Trapanese. Wo man in Staffel 1 nicht lange warte musste bis das erste markante Thema oder der erste Gassenhauer-Song zu hören waren, scheint sich Trapanese lediglich auf generisches Underscoring zu verstehen. So generisch, dass er auch nicht vor der epischen Standard-Rhythmik und den »Bwaaah«-Sounds der Bläser zurückschreckt. Lieber auf Nummer sicher gehen und das altbekannte »Zimmer-Horn« reinfurzen als mit uniquer Folklore-Mucke für Atmosphäre sorgen – okay. Ganz selten erklingt mal Yennefers Thema (Folge 5, seltsamerweise während eines Monologs von Ciri) oder das Thema des Weißen Wolfes (ebenso Folge 5) oder Geralts bzw. das Serienthema (Folge 6), doch immer so zaghaft, als wüsste Trapanese nicht, ob er die Lizenz besitzt, diese Themen zu benutzen. Für das Ohr gibt hier also nichts Schönes zu entdecken. Das macht die Staffel insgesamt zu einem musikalischen Flop.

Zu guter Letzt: Ein Rant-Abschnitt für die Buch-Fans

Butter bei die Fische: Die schlimmste Folge für sämtliche Buch-Fans ist sicherlich Episode 2, in der Hexer Eskel (Basil Eidenbenz) völlig out of character ein ganzes Geschwader Huren nach Kaer Morhen einlädt – mitten hinein in dieses versteckte Heiligtum der Hexer. Als wäre das nicht schon frevelhaft genug, wird seine Figur keine zehn Minuten später komplett verbraten, einzig zu dem Zweck, damit Geralt ein Gefühl des Verlustes und der Einsicht durchlebt. Das Publikum selber wird das aber mit keiner Faser nachfühlen können, da sich Eskels Charakter in den zehn Minuten, in denen er existiert, wie eine notgeile Arschgeige verhält. Auch der Ur-Hexer Vesemir (Kim Bodnia) agiert out of character, indem er bereit wäre, Ciri mit einer Mutagen-Injektion zu opfern und ansonsten blöd aus der Wäsche guckt. Im Grunde könnte man die Story der zweiten Staffel folgendermaßen zusammenfassen: Ein Mädchen ist der Schlüssel zur Herstellung von Super-Soldaten, die dringend dafür benötigt werden, um Monster zu bekämpfen, die aus irgendwelchen Steinen gekrochen kommen, und wir nennen diese Serie: The Witcher. Da stellt sich dann kurz die Frage: Haben die keinen polnischen Nerdy-Super-Witcher-Lore-Experten im Führungsteam?

Freilich stellt die Adaption des geschriebenen Wortes zum bewegten Bild immer einen Kompromiss zwischen den Medienformen dar. Manchmal fußt eine solche Adaption lediglich auf denselben Ideen, während sie in ihrer Interpretation eine völlig neue Gestalt annimmt. Wenn diese gut geschrieben ist, dann kann man das als liebevolle Ergänzung zum jeweiligen Universum begreifen, kein Problem, wäre nicht das erste Mal. Und Fakt ist, dass Sapkowskis Geralt-Saga geradezu nach solch einem Kompromiss verlangt, da seine Art des Erzählens sehr unstet ist und die Geschichte von überall, jedermann, jederfrau und jederzeit handelt. Daher verwundert es nicht, wenn man versucht, den roten Faden zu stärken oder einen neuen hinzuzufügen. Hissrich jedoch hat das fantastische Vorlagenmaterial entkernt und durch eine Story ersetzt, die nicht im Geringsten an die Qualität dessen herankommt, was sie ersetzen soll. Nicht das Neuinterpretieren als solches ist das Problem, sondern der Mangel an Qualität. Dem ganzen fleischigen Konstrukt, das Hissrich hier zusammen panscht, fehlt es an Raffinesse und Qualität.

Fazit

Bewertet man die zweite Staffel von The Witcher als eigenständiges Ding, dann ist die Serie »okay«. Es ist schlicht eine weitere passable Fantasy-Show aus dem Hause Netflix, die sich vor allem auf ein paar gute Performance-Momente seitens der Schauspieler:innen, die Visuals und diverse Monster-Action verlässt. Gleichzeitig leidet die Staffel unter Plot-Elementen von der Stange, dem enttäuschenden Score, dem »Ich reite in zwei Sekunden über den ganzen Kontinent«-Syndrom, einigen fragwürdigen Dialogen sowie den vielen eindimensionalen Nebencharakteren. Kurz gesagt: Wenn nichts anderes läuft, dann kann man halt reinschalten. Als Buch-Adaption ist The Witcher allerdings nicht der Rede wert. Mit offenem Herzen bin ich reingegangen – offen wie ein Scheunentor – und wollte die Serie mögen. Doch Hissrichs Neuinterpretation hinkt vorne und hinten und links und rechts. Hier wurde eine nuancierte Geschichte und ein tolles World-Building durch generische Hollywood-Fantastik ersetzt und das geht mir wirklich ab: wenn ich The Witcher als »generische Hollywood-Fantastik, die man sich angucken kann, wenn nix anderes läuft« beschreiben muss.

© Netflix

Totman Gehend

Totman ist Musiker, zockt in der Freizeit bevorzugt Indie-Games, Taktik-Shooter oder ganz was anderes und sammelt schöne Bücher. Größtes Laster: Red Bull. Lieblingsplatz im Netz: der 24/7 Music-Stream von Cryo Chamber auf YouTube.

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Orderly Creative Creations
Orderly Creative Creations
12. Januar 2022 23:32

Als Buchfan, bin ich von der Serie tendenziell eher enttäuscht, aber ich hab erst die Hälfte der zweiten Staffel geguckt.

Was ich cool finde ist, das Henry Cavill ein absoluter Lore-Nerd ist und den Regisseur anscheinend gelegentlich konfrontiert hat, wenn eine Szene zu sehr von der Lore abgedriftet ist.

Offtopic: das wäre ein Traum, mit einem verboten gutaussehenden Nerd (Henry Cavill) ein paar Runden Warhammer 40K zu spielen (ich sammle lose die Tau) <3