Black Narcissus

Wer Filmklassiker schätzt, erinnert sich vielleicht an das mit zwei Oscars prämierte britische Melodram Die schwarze Narzisse aus dem Jahr 1947. Deborah Kerr (Der König und ich), strahlend schön im strengen Nonnenschleier auf dem geländerlosen Glockenturm vor den majestätischer Bergketten des Himalaya. Die waren zwar aus Sperrholz, erstrahlten aber in magischem Technicolor, wie man es zwei Jahre nach dem zweiten Weltkrieg noch kaum gesehen hatte. Über 70 Jahre später bringt die BBC den Klassiker über unterdrücktes Begehren und unterschwellig brodelnde Konflikte in einem Nonnenkloster als Fernseh-Dreiteiler heraus: Nicht ganz so episch, dafür entstaubt und behutsam an das 21. Jahrhundert angepasst. Seit dem 5. März 2021 ist die Serie auf Disney+ verfügbar.

 

Als in den 30er Jahren ein indischer Provinz-Adeliger einem in Darjeeling ansässigen Orden anglo-katholischer Nonnen ein Palast im Himalaya zur Verfügung stellt, damit die frommen Schwestern dort eine Schule und ein Krankenhaus aufbauen, ist die junge, ehrgeizige Schwester Clodagh (Gemma Arterton, The Girl with all the Gifts) voller Selbstvertrauen, diese Herausforderung mit vier anderen Schwestern meistern zu können. Doch der Ort hat eine merkwürdig destabilisierende Wirkung auf die Schwestern. Die Luft ist zu klar, die Berge zu majestätisch, die Kultur zu fremd, die Isolation zu ungewohnt. Und da ist Mr. Dean (Allessandro Nivola, American Hustle), der einzige Europäer in der Gegend, dessen Hilfe unverzichtbar ist, auch wenn er zu viel rauhbeinigen Charme verströmt, betrunken zur Christmette erscheint und Affären mit einheimischen Frauen hat. Zwischen Schwester Clodagh und Schwester Ruth (Aisling Franciosi, The Nightingale – Schrei nach Rache) spitzt sich die unterschwellige Konkurrenz um Mr. Dean immer weiter zu, bis es zu einer Konfrontation auf dem Glockenturm am Rande des Abgrunds kommt.

Hauptdarsteller: Der Genius Loci

Originaltitel Black Narcissus
Jahr 2020
Land Großbritannien
Episoden 3
Genre Drama
Cast Schwester Clodagh: Gemma Arterton
Mr. Dean: Alessandro Nivola
Schwester Ruth: Aisling Franciosi
Mutter Dorothea: Diana Rigg
Schwester Briony: Rosie Cavaliero
Schwester Blanche: Patsy Ferran
Schwester Philippa: Karen Bryson
Angu Ayah: Nila Aalia
Kanchi: Dipika Kunwar
Dilip Rai: Chaneil Kular
General Toda Rai: Kulvinder Ghir
Veröffentlichung: 5. März 2021

Es sind nicht unüberwindbare Schwierigkeiten, an denen die Schwestern scheitern. Das Projekt “Schule und Hospital in der Wildnis” sieht zunächst ganz hoffnungsvoll aus. General Toda Rai, der dem Orden den Palast überlassen hat, ist voller Bewunderung für die britischen Kultur und unterstützt die Nonnen nach Kräften. Die Einheimischen haben nicht gerade auf die Segnungen europäischer Zivilisation gewartet, sind aber durchaus neugierig. Es ist der Ort, der die Schwestern aus dem Gleichgewicht bringt. Der übel beleumundete Palast, einst das Haus der Frauen des vorigen Herrschers, wo einst eine Prinzessin aus Liebeskummer in den Tod sprang. Hier könnte die Geschichte in Richtung Übernatürliches abbiegen, denn der Geist von Srimati Devi, der toten Prinzessin, ist noch sehr präsent und ganz besonders die labile Schwester Ruth spürt ihre Präsenz. Aber übernatürliche Geschehnisse sind gar nicht nötig, es reicht schon der Abgrund zwischen den rigiden Prinzipien des Ordens und den erotischen Wandmalereien, den verbotenen Spiegeln und den prächtigen Blüten des Palasts, um in den Schwestern unterdrückte Emotionen aufzuwecken. Und da sind auch noch Männer, der sarkastisch-respektlose Mr. Dean und der indische Prinz Dilip Rai, der sich mit Brokat und Perlen schmückt und großzügig ein Parfüm namens “Black Narcissus” auflegt. Kein Wunder, dass die Schwestern abgelenkt sind.

Erotische Spannung ohne Sex-Szenen

Wer jetzt auf verbotenen Sex im Kloster gewartet hat, wird enttäuscht werden. Und auch dramatisch wird es erst zum Schluss. Lange bleibt es bei den ganz kleinen, stimmungsgeladenen Details. Eine winzige Berührung. Ein Blickwechsel. Ein verschenkter Stechpalmenzweig. Die folkloristisch bunten, pelzgefütterten Winterstiefel, die den Nonnen in der Kälte das gerade einen Hauch zu dekadente Wohlgefühl warmer Füße schenken. Da die Schwestern ihre Berufung ernst nehmen, sublimieren sie und dennoch bricht Verschüttetes aus ihnen heraus. Die Schwester Gärtnerin träumt plötzlich von einem Blumenmeer statt Zwiebelbeeten. Die Lehrerin entwickelt eine so intensive Beziehung zu den Kindern, dass da wohl ein unbewusster Kinderwunsch dahinterstecken muss. Schwester Clodagh fühlt sich durch Mr. Dean schmerzhaft an ihre verlorene Jugendliebe erinnert. Schwester Ruth driftet in Eifersucht und Verfolgungswahn ab, aber je mehr sie die Kontrolle verliert, hat sie auch Momente, wo sie die ungeschminkte Wahrheit über das repressive Klosterleben ausspricht.

Klassiker, für das nächste Jahrhundert aufgebürstet

Der BBC-Dreiteiler bleibt recht nah an dem großen Vorgänger. Aber manche Dinge macht man im 21. Jahrhundert einfach anders. 1947 hatte man den Palast am Fuße des Himalaya noch komplett im Studio aufgebaut und man war recht stolz darauf, als Statisten echte, in London ansässige Inder gefunden zu haben. Die Sprechrollen nordindischer Figuren gingen fast alle an weiße Schauspieler mit viel dunkler Schminke im Gesicht. 2020 dreht man in Nepal und besetzt die Rollen von Einheimischen auch mit indischen, bzw. nepalesischen Schauspielern. Was man heutzutage alles anders macht, sieht man besonders, wenn man Kanchi anschaut, das 17-jährige Dorfmädchen, das Mr. Dean zu den Nonnen in Obhut gibt. In der alten Fassung eine stumme Rolle, von der britischen Schauspielerin und Ballettschülerin Jean Simmons (Spartacus) als Inbegriff gefährlicher, exotisch-verführerischer Weiblichkeit mehr getanzt als gespielt. In der neuen Fassung bekommt sie Text, einen ausgefeilteren Handlungsbogen und wird von einer jungen Nepalesin gespielt. Auch das repressive Ordensleben, das von den Nonnen Unterordnung, Demut und Selbstverleugnung fordert und jede Selbstentfaltung im Keim erstickt, bekommt schärfere Konturen. Und insgesamt hat man in einem Dreiteiler mehr Zeit für Details und allmähliche Entwicklungen. Was der der Sache gut tut.

Fazit

Eine Mini-Serie über eine sehr fremde Welt, die trotz all der Konflikte, die aufgeklärte Menschen des 21. Jahrhunderts kaum noch aus eigenem Erleben kennen, dennoch nachvollziehbar bleibt. Bei einer Serie über eine Gruppe Frauen, die an seelischen Konflikten scheitern, hätte man sich vielleicht mehr Gruppeninteraktion gewünscht. Wie entwickelt sich das Zusammenleben einer eng vernetzten Gruppe, wenn alle ihren inneren Dämonen begegnen? Das hätte spannend sein können. So hat jede ihr eigenes Thema, den Garten, den unterdrückten Kinderwunsch, die unverarbeitete Vergangenheit, die Eifersucht. Nur zwei von ihnen begegnen sich in einer direkten Konfrontation. Aber mehr gibt die Vorlage halt nicht her. Trotzdem überzeugt Black Narcissus optisch und erzählerisch mit einer dichten Atmosphäre und einer überzeugenden Schilderung, wie unterdrückte Bedürfnisse schon durch Kleinigkeiten zur Eruption gebracht werden können.

© BBC One

wasabi

wasabi wohnt in einer Tube im Kühlschrank und kommt selten heraus.

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