Under the Silver Lake

Mit seinem stilisierten Horrorfilm It Follows konnte David Robert Mitchell sowohl Kritiker als auch Fans des 80er Jahre Horrorkinos begeistern. Gerade die Fähigkeit, John Carpenters lange Kamerafahrten zu imitieren und gleichzeitig eine noch nie dagewesene Geschichte zu erzählen, machte ihn zu einem vielversprechenden neuen Stern am Regiehimmel. Am 19. April 2018 erschien nach dem nur äußerst mäßigen Kinostart Mitchells neue Regiearbeit auf DVD und Blu-ray. Mit Under the Silver Lake begibt er sich erneut in die Fußstapfen großer Vorbilder, diesmal allerdings in Form eines Neo-Noir Films. So schickt er seinen von Andrew Garfield (Solange ich atme) gespielten Protagonisten Sam auf eine von Paranoia getriebene Schnitzeljagd, die zwar vor Genre-Zitaten nur so strotzt, gleichzeitig aber alle erzählerischen Konventionen hinter sich lässt.

Sam lebt scheinbar sorglos in den Tag hinein. Obwohl seine Miete längst überfällig und er selbst arbeitslos ist, verbringt er seine Tage mit Videospielen, Comics und Gelegenheits-Sex. Bewegung kommt erst in sein Leben, als er bei der Beobachtung seiner Nachbarschaft mit dem Fernglas eine geheimnisvolle Fremde namens Sarah (Riley Keough, Logan Lucky) am Pool seiner Wohnanlage entdeckt. Doch bevor er seine neue Nachbarin näher kennenlernen kann, ist diese plötzlich über Nacht verschwunden. In der leergeräumten Wohnung bleiben nur ein rätselhaftes Zeichen an der Wand und ein kleiner Karton mit Habseligkeiten zurück. Als dieser von einer jungen Frau abgeholt wird, nimmt Sam die Verfolgung auf, in der Hoffnung die geheimnisvolle Schönheit wiederzufinden.

Unkonventionell

Originaltitel Under the Silver Lake
Jahr 2018
Land USA
Genre Neo-Noir
Regisseur David Robert Mitchell
Cast Sam: Andrew Garfield
Sarah: Riley Keough
Allen: Jimmi Simpson
Verschwörungstheoretiker: Patrick Fischler
Die Schauspielerin: Riki Lindhome
Obdachlosenkönig: David Yow
Songwriter: Jeremy Bobb
Laufzeit 139 Minuten
FSK

Was beginnt wie eine übliche Noir-Geschichte, entwickelt sich bald zu einem fiebertraumartigen Paranoia-Film. Denn während Sam nach Antworten sucht, stößt er auf immer neue Rätsel. Bald ist er einer geheimen Gruppierung auf der Spur, welche über in Popsongs und auf Cornflakes- Verpackungen versteckten Codes kommuniziert. Nicht nur das Verschwinden seiner Nachbarin, sondern auch das eines berühmten Milliardärs scheint damit irgendwie in Zusammenhang zu stehen. Gleichzeitig vermischen sich im Film die Ebenen der Realität und der Fiktionalität, da es bald zu einer Mordserie an Hunden kommt, die zu Anfang nur in den Geschichten eines lokalen Schriftstellers existierte. Und auch die Legende einer monströsen Killerin namens Owl’s Kiss, die sich nachts nur mit einer Eulenmaske bekleidet in die Wohnung einsamer Männer schleicht und diese zu Tode beißt, schleicht sich in die Realität des Filmes ein. Während Sams Nachforschungen fallen daher auch immer wieder Sätze wie: „Es könnte einiges dahinter stecken. Sexhandel, Drogenschmuggel, die Sekte des Wals, der Hundemörder, keine Ahnung, in letzter Zeit denke ich immer, dass Owl’s Kiss irgendwie in allem mit drin hängt.“

Paranoia

Das klingt nicht nur ziemlich wirr, das ist es tatsächlich auch. Aber natürlich ist David Mitchell, der hier auch das Drehbuch schrieb, nicht unter die Aluhut-Träger gegangen. Der Film ist sich zu jeder Zeit bewusst, wie versponnen dieser Plot ist. Und tatsächlich ist der Ansatz auch nicht ganz neu, mit den Stilmitteln des Film Noir eine Geschichte zu erzählen, die sich zunehmend in surrealistischen Bildern oder in skurrilen Verschwörungsszenarien verliert. Sofort denkt man dabei natürlich an die Meisterwerke von David Lynch. Noch größere Ähnlichkeit weist der Plot aber mit den Romanen Thomas Pynchons auf, in denen die Figuren immer wieder abstrusen Verschwörungen auf die Spur kommen und dabei durch eine traumähnliche Welt irren. Mit Inherent Vice wurde eine der zugänglicheren Geschichten Pynchons bereits von Paul Thomas Anderson für die Leinwand adaptiert. Daher verwundert es auch nicht, dass Under the Silver Lake oftmals wie der kleine Bruder von Andersons Film wirkt.

Tief in den Kaninchenbau

Doch während Lynchs Filme meist relativ schnell jegliche Handlungslogik hinter sich lassen und sich gänzlich dem Surrealismus widmen und Pynchons Helden die geheimen Organisationen, denen sie auf der Spur sind, meist nur oberflächlich erkunden können, lässt Mitchell seinen Helden tiefer und tiefer in den Kaninchenbau vordringen, sodass der geduldige Zuschauer schließlich zumindest mit der ein oder anderen Antwort auf die vielen gestellten Fragen belohnt wird. Dadurch kann der Film auch dem Vorwurf entgehen, berühmte Vorbilder nur zu imitieren, ohne selbst etwas auszusagen. Denn letztendlich stellt Mitchell die beunruhigende Frage, inwiefern unsere eigene Identität das Produkt von Popkultur und Marketing ist und was es bedeutet, dass vieles, was scheinbar unser Leben und unser Denken ausmacht, nicht von uns selbst stammt, sondern hergestellt wurde von einer gewinnorientierten Industrie. Dazu passt es dann auch, dass sich der Film selbst aus zahlreichen Pop-Referenzen und Anleihen auf das Noir-Kino zusammensetzt.

Style over Substance

Spätestens seit Robert Altmans The Long Goodbye hat im Noir Film das Visuelle über das Erzählerische triumphiert. Im Vordergrund steht nicht mehr die Geschichte, sondern die Szene, die je nach Vorlieben des Regisseurs ausgefüllt wird. Mal durch Humor, mal durch Action und oftmals durch eine besonders dichte, stark stilisierte Atmosphäre. Diesen Vorbildern scheint auch Mitchell zu folgen, indem er tief in die Zutatenkiste des Film Noir greift. So räkelt sich auch hier eine femme fatale am und im Swimmingpool, Lamellen von Innen-Jalousien werden heruntergedrückt, um die Umgebung zu beobachten, es gibt Beschattungen im sonnendurchfluteten Los Angeles und zahlreiche eigenartige Luxuspartys in schwülen Sommernächten. Unterlegt werden diese Bilder stets von Richard Vreelands orchestraler Musik, die stellenweise wie ein entschleunigter Bernard Hermann Soundtrack klingt und jede Szene mit einem Gefühl der Bedrohung und Rätselhaftigkeit erfüllt.

Fazit

Natürlich versteht es sich von selbst, dass eine solche Produktion eher wenig für ein Publikum geeignet ist, welches eine kohärente Erzählung verlangt. Doch auch für Kunstfilmliebhaber kann Under the Silver Lake durchaus anstrengend werden, was nicht nur an der Laufzeit von 139 Minuten liegt. Denn letztendlich wird dem Zuschauer keine Pause von dieser traumähnlichen Atmosphäre gegönnt. Trotz des abstrusen Plots arbeitet Mitchell nämlich mit nur sehr wenig comic relief, wodurch die Gelegenheit verpasst wird, das Kinoerlebnis für das Publikum wesentlich vergnüglicher und ansprechender zu gestalten. Gleichzeitig erreicht der Film aber auch niemals die inszenatorische Dichte eines Inherent Vice oder die Abgründigkeit eines David Lynch. Andrew Garfield kann zwar in seiner Rolle überzeugen und Patrick Fischler (Mulholland Drive) wirkt, als hätte man seine Rolle allein für ihn geschrieben, doch letztendlich fehlt es an faszinierenden Nebenfiguren, um einige der Schlüsselszenen zu tragen. Vielmehr wirken einige Charaktere so, als habe man x-beliebige Schauspieler in x-beliebige Kostüme gesteckt. Auch fällt die Gestaltung der Sets oftmals etwas zu banal aus und in entscheidenden Momenten wird auf wenig überzeugende Computer- und Makeupeffekte zurückgegriffen. Somit sind viele Szenen zwar durchaus skurril, können aber niemals den unwiderstehlichen Sog vergleichbarer Filme entwickeln. Und besonders in den Einstellungen bei Tageslicht fällt schmerzlich auf, dass nicht mit 35mm Film gearbeitet wurde, sondern eine Digitalkamera zum Einsatz kam. Somit fehlt auch hier die fast schon magische Wirkung, die entsteht, wenn das Licht Hollywoods auf Zelluloid trifft.
Dennoch ist Under the Silver Lake allen Fans des Neo-Noir sowie Kunstfilm-Liebhabern zu empfehlen. Allerdings sollte man zuvor seine Erwartungen reduzieren und viel Geduld mitbringen. Belohnt wird man dann mit einer rätselhaften und äußert unkonventionellen Erfahrung. Ein erneutes Meisterwerk ist David Mitchell allerdings nicht gelungen.

© Weltkino

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Timo Beyer

Mit Timo Beyer haben wir einen waschechten Historiker in unserer Redaktion, der sich nicht nur mit großer Begeisterung auf jeden Historienfilm stürzt, sondern auch für das klassische Hollywood-Kino brennt. Sein Lieblingsgenre sind Western verschiedenster Couleur, von John Wayne bis Clint Eastwood. Seine Film- und Buchsammlung platzt aus allen Nähten, weshalb er immer auf der Suche nach neuem Stauraum ist.

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Ayres
Redakteur
20. April 2019 12:41

Ich glaube, ich muss dem Film einfach noch eine zweite Chance geben. Wenn da nur nicht diese Schwere eines David Lynch wäre… Dafür muss man auf jeden Fall in der richtige Stimmung sein.