Blue My Mind

Die gute alte Pubertät. Wer sie hinter sich gelassen hat, ist froh darüber. Und wer Kinder hat, die mittendrin stecken: Herzliches Beileid! So manche körperliche oder psychische Veränderung wird früh sichtbar, andere gedeihen irgendwo im Verborgenen. Und nicht immer kauft man dem/der Pubertierenden ab, was ihn aktuell bewegt. Wird dieser Coming-of-Age-Prozess auch noch mit Body Horror gepaart, wird das für unangenehme Momente sorgen. Die Schweizer Regisseurin Lisa Brühlmann geht in ihrem Langfilmdebüt Blue My Mind in die Vollen und dringt nur zu tief ins Fantastische ein.

Mia (Luna Wedler, Das schönste Mädchen der Welt) ist 15 Jahre alt und steckt inmitten der Pubertät. Ihre Probleme gleichen denen anderer Jugendlichen: Schule, Eltern, Freunde. Und natürlich körperliche Veränderungen. Doch ihre Periode ist nicht das Einzige, das ihr zu schaffen macht. Sie findet Anschluss in der Clique der verwöhnten Gianna (Zoë Pastelle Holthuizen), darauf folgt eine wilde Zeit mit Alkohol, bunten Pillen und natürlich dem anderen Geschlecht. Doch Mias Heißhunger lässt sich immer weniger bändigen und dann verschwinden nach und nach immer mehr Goldfische aus dem elterlichen Aquarium…

Metamorphose auf switzerdütsch

Originaltitel Blue My Mind
Jahr 2017
Land Schweiz
Genre Fantasy, Coming of Age
Regisseur Lisa Brühlmann
Cast Mia: Luna Wedler
Gianna: Zoë Pastelle Holthuizen
Gabriela: Regula Grauwiller
Michael: Georg Scharegg
Nelly: Lou Haltinner
Vivi: Yael Meier
Laufzeit 97 Minuten
FSK

Blue My Mind gehört zur seltenen Spezies des Schweizer Fantasyfilms. Alleine das verleiht dem Titel einen echten Exotenbonus, aber das nur am Rande. Um in den vollen Genuss der Dialoge zu kommen, ist man als deutscher Zuschauer am besten beraten, einfach die Untertitelfunktion zu deaktivieren. Verstehen kann man den Akzent sicherlich irgendwie, doch da die Handlung insbesondere in der ersten Hälfte bewusst realistisch gestaltet ist, geht sonst eben einiges verloren. Jener Hang zum Realismus schlägt sich auch in Brühlmanns Mut zur Darstellung einer vergleichsweise expliziten Sexszene wieder (immerhin haben wir es hier mit Teenagern zu tun). Sie veranschaulicht, in welchem Sumpf heutige Jugendliche stecken, die mit Internetpornos aufwachsen und thematische Begleiter wie Onlinedating und Ladendiebstahl haben. Hiermit portraitiert Blue My Mind in gewisser Weise eine ganze Generation.

Das phantastische Motiv

Die Regisseurin legt besonderen Wert auf die Optik ihres Films. Die Handkamera sorgt für alptraumhafte Bilder, auf die dicke Farbfilter gelegt werden. Ästhetik ist ein wichtiger Punkt, denn die visuellen Elemente begleiten Mias fortlaufende Wandlung. Vergleich zu Guillermo del Torros The Shape of Water – Das Flüstern des Wassers drängen sich beinahe von selbst auf. Bildsprache und Perspektiven ähneln einander sehr, ohne dass man hier von einer Kopie sprechen möchte. Denn dafür ist Blue My Mind deutlich eigenständig genug, technisch wie inhaltlich. Denn anders als in dem oscarprämierten Fantasyfilm bleibt der Schweizer Film wesentlich intimer. Die Kamera klebt ununterbrochen an Mia, die mit den körperlichen Veränderungen immer weniger anzufangen weiß. Dabei ist das Zusammenwachsen ihrer Zehen noch harmloser als der kaum zu bändigende Hunger auf Fische, was natürlich auch ihrer Mutter auffällt und Mia in Erklärungsnot treibt…

Überzeugende Darstellerinnen, seltsame Erwachsene

Der Trailer des Films verrät bereits relativ viel, weshalb es ratsam ist, Blue My Mind am besten ohne jegliche Vorkenntnisse anzusehen. Dann weckt das Cover eher den Eindruck, dass es sich um eine Coming-out-Geschichte zweier Mädchen handeln würde, was noch nicht einmal ganz daneben gegriffen wäre. Tatsächlich lässt sich Blue My Mind am besten mit dem norwegischen Mystery-Drama Thelma vergleichen, in dem die Protagonistin ebenfalls aus ihrem Alltag gerissen wird, als ein Mädchen in ihr Leben tritt und plötzlich körperliche Veränderungen stattfinden, die in den phantastischen Bereich hineinragen. Dass das so gut funktioniert, ist auch Verdienst der furios spielenden Luna Wedler, die die innere Zerrissenheit ihrer Figur beherrscht. Fremdeln muss man allerdings mit den Erwachsenen, die nur allzu seltsam dargestellt werden. Darüber kann man hinwegsehen, schließlich kennen wir alle diese Perspektive.

Fazit

Blue My Mind ist ein gefühlvoll erzähltes Portrait einer konsumgesättigten Jugend, in dem jeder Invidiualität erlangen möchte, doch keiner zuviel davon, um nicht zum Außenseiter zu werden. Dieser Spagat macht der Protagonistin Mia zu schaffen, denn immer mehr entgleitet ihr die Kontrolle und ein neues Selbstbewusstsein wird geboren. Zunehmend versteht man, dass diese Welt, in der sie eigentlich nur dazugehören möchte, eine Zumutung für Mia ist. Genau hier setzt der spannende Prozess ein, den man als Zuschauer auch ohne Spoiler früh kommen sieht. Inhaltlich ist Blue My Mind alles andere als neu, sehenswert jedoch in jedem Fall.

© Meteor Film 

Ayres

Ayres ist ein richtiger Horror- & Mystery-Junkie, liebt gute Point’n’Click-Adventures und ist Fighting Games nie abgeneigt. Besonders spannend findet er Psychologie, deshalb werden in seinem Wohnzimmer regelmäßig "Die Werwölfe von Düsterwald"-Abende veranstaltet. Sein teuerstes Hobby ist das Sammeln von Steelbooks. In seinem Besitz befinden sich mehr als 100 Blu-Ray Steelbooks aus aller Welt.

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