ES (2017)
Nicht der jüngste Teil von Star Wars und nicht der zweite Teil von Fifty Shades of Grey – kein Trailer wurde am Tag seiner Veröffentlichung so häufig angesehen wie der Trailer von ES. Verfilmungen von Stephen Kings Romanen waren nicht immer mit Glück oder gar Erfolg gesegnet. Über die meisten hat sich Vergessenheit gebreitet wie Laken über Möbel eines Spukhauses. Und dann steht ES von den Toten wieder auf und sorgt für den besten Kinokassenstart eines Horrorfilms. Andy Muschiettis (Mama) Neuverfilmung des 1500-Seiten-Kloppers rollt die Geschichte von vorne auf, nämlich beginnend mit den späten 80ern, die im Original noch die 50er waren. Zu Zeiten, in denen der Roman theoretisch in jeder Spielhöhle lag, nimmt die Geschichte um die Kinderclique aus Derry ihren Lauf.
Auch mehrere Monate nach dem Verschwinden seines Bruders Georgie (Jackson Robert Scott), kann und will Bill (Jaeden Lieberher) nicht wahrhaben, dass sein Bruder tot sein soll. Zugleich werden Bill und seine Freunde aus dem “Klub der Verlierer” von einer unheimlichen Präsenz heimgesucht, die sie mit ihren Ängsten konfrontiert. Die Recherchen von Ben (Jeremy Ray Taylor) ergeben, dass in der Stadt Derry offenbar im Abstand von 27 Jahren immer wieder schreckliche Katastrophen geschehen. Ausgerechnet jetzt ist es wieder an der Zeit für die nächste Rückkehr der häufig in Form des Horror-Clowns Pennywise (Bill Skarsgård) auftauchenden Gefahr…
Verabschiedung des alten Alleinstellungsmerkmals
Originaltitel | IT |
Jahr | 2017 |
Land | USA |
Genre | Horror, Coming of Age |
Regisseur | Andy Muschietti |
Cast | Bill Denbrough: Jaeden Lieberher Beverly Marsh: Sophia Lillis Ben Hanscom: Jeremy Ray Taylor Richie Tozier: Finn Wolfhard Eddie Kaspbrak: Jack Dylan Grazer Mike Hanlon: Chosen Jacobs Stanley Uris: Wyatt Oleff Pennywise: Bill Skarsgård Georgie Denbrough: Jackson Robert Scott Henry Bowers: Nicholas Hamilton |
Laufzeit | 135 Minuten |
FSK |
ES beginnt, wie der TV-Film der 90er, mit dem kleinen Georgie, der seinem Papierboot im strömenden Regen nachjagt und der ikonischen Gulliszene mit Pennywise. Ab hier beginnt die Neuverfilmung einen anderen Pfad einzuschlagen, indem gezeigt wird, was einst ausgespart wurde. Mit gestiegenem Alter und gereiften Effekten wird hier ohne Rücksicht auf Kinderaugen dargestellt, wie grausam der Horrorclown mit seinen Opfern verfährt. Charakteristisch für den alten Film und auch den Roman sind die Zeitsprünge zwischen den jugendlichen Figuren und deren 30 Jahre älteren erwachsenen Versionen. Dieser Aspekt wurde in der neuen Version ersatzlos gestrichen. An zeitgenössische Sehgewohnheiten angepasst, verläuft ES deshalb weitgehend linear und wird die erwachsene Perspektive erst in der angekündigten Fortsetzung aufgreifen. Das mag zunächst nach einer Simplifizierung der Gegebenheiten klingen, ist jedoch eine gute Entscheidung gewesen. Dadurch wird es für den Zuschauer einfacher, in die 80er einzutauchen ohne immer wieder der nostalgischen Atmosphäre entrissen zu werden. Dafür ist der Zeitgeist mit seinen vielen Anspielungen (Die Goonies, Nightmare on Elmstreet) einfach viel zu charmant eingefangen.
Herausragender Cast mit talentierten Jungdarstellern
Von großer Bedeutung für die Glaubhaftigkeit der Erzählung ist der Cast auf beiden Seiten. Die Teenagerclique verkauft ihre Freundschaft überzeugend und kann das “Wir”-Gefühl glaubwürdig erzeugen. Neben Hauptdarsteller Jaeden Lieberher (Midnight Special) überzeugt vor allem Sophia Lillis (A Midsummer Night’s Dream) als die gegen ihren Vater rebellierende Beverly Marsh. Als willensstärkstes Mitglied der Clique ist sie der heimliche Star des Films. Bill Skarsgård (Hemlock Grove) musste bereits im Vorfeld Vergleiche mit der Pennywise-Darstellung von Tim Curry über sich ergehen lassen. Nötig ist das nicht, denn 2017 besitzt Pennywise nicht nur ein eigenes Set an Bewegungen, sondern auch eine wesentlich gefährlichere Aura mitsamt fieser Zahnprothese. Beide Clowns funktionieren auch ohne Vergleich eigenständig. Der eine gibt die poppig-bunte Fassung, der andere die fiese und agile Version der Ikone ab.
Alpträume werden wahr
Bereits in Mama beeindruckte Muschiettis Kreaturendesign. ES von 2017 profitiert von seinem Können, denn die Ängste der Jugendlichen besitzen mitunter ganz eigene Gesichter, die sich in Sachen Darstellung nicht vor Pennywise verstecken müssen. Dem Gruselfaktor kommt das allemal zu Gute, der darüber hinaus auch mit überraschend expliziter Gewaltdarstellung auftrumpft.
Allerdings treten solche Momente selten grundlos auf, sodass man ES beiläufig als modernen Splatter abtun könnte. Wie immer spielt der Sound eine wichtige Rolle für das Gesamtgerüst: auch hier bewegt sich ES auf einem überdurchschnittlichen Niveau und liefert Klänge ab, die Nackenhaare zu Berge stehen lassen. Wer befürchtet, dass Pennywise visuell in einem CGI-Spektakel ertrinkt, darf aufatmen. Seine Bewegungen sind ebenso originell wie furchteinflößend und wecken in ihrer Dynamik entfernt Erinnerungen an seine ursprüngliche Gestalt.
Die moderne Ausgabe von Stephen Kings Klassiker ist ein rundum gelungener Film, der seine filmische Vorlage weit hinter sich lässt. Angriffsflächen sucht man nahezu vergeblich, denn die Stärken der Vorlage machen sich innerhalb der neuen Erzählung noch besser. Innerhalb des Casts gibt es ausschließlich Lichtblicke und besonders die zum Erscheinen erst 15-jährige Sophia Lillis liefert eine empathisch-glaubhafte Darstellung ab, die alle Facetten zwischen Angst und Mut abdeckt. Angesichts des Hypes wird es unter Garantie enttäuschte Zuschauer geben, doch hierfür dürfte maximal die Erwartungshaltung die Ursache sein. Schlecht oder langweilig ist ES nämlich zu keinem Zeitpunkt, nur die große Euphorie wird sich nicht zwangsweise bei jedem einstellen. Mit modernen Größen wie The Conjuring oder Insidious kann der Film jedoch allemal mithalten. Ohne Frage gehört diese Neufassung zu den stärksten Horrorfilmen der 2010er.
Zweite Meinung:
Meine Sorge, dass das Weglassen der zweiten Erzählebene dem Film schaden wird, war komplett unbegründet. Der Erzählfluss ist gegeben und bietet keine einzige langgezogene Stelle. Zwar werden Dinge umgeändert oder gar ganz weggelassen, doch im Gegensatz zu Der Dunkle Turm, wo man das Wort „lieblos“ verwenden kann, ist ES „liebevoll“ umgesetzt. Für Kenner des Buches gibt es einiges wiederzufinden, wie zum Beispiel Silver — Bills geliebtes Fahrrad. Im Film zwar leider ohne seine tollen großen Auftritte, aber dafür zweimal in schöner Nahaufnahme, sodass man seinen Namen in aller Pracht lesen kann. Die Stadt Derry wird buchgetreu dargestellt – sogar die hässliche Paul Bunyan Statue wurde nachgebaut, was mir im Kino ein „Ohje“ entlockte. Für mich als Fan von Der Dunkle Turm gibt es ein Wiedersehen mit der Schildkröte, wenn auch hier nur als Lego-Version in Georgies Zimmer. Vor allem aber werden die früheren Gräueltaten von Pennywise miteingebracht: Die Explosion der Kitchener Eisenhütte, die Hinrichtung der Bradley-Bande oder das Feuer im Black Spot. Ein sehr großes Lob geht von mir aber auch an die Schauspieler. Allen voran Bill Skarsgard als Pennywise hat mir schon in seiner ersten Szene Gänsehaut eingebracht. Ich bin nicht leicht zu erschrecken, aber selbst ich muss zugeben, dass ich einmal wirklich laut aufgeschrien habe,