Der Schwarze Engel
Der Argentinier Carlos Robledo Puch hat mehr als die Hälfte seines Lebens im Gefängnis verbracht. Wer nun anfängt zu rechnen, wird feststellen, dass er bereits in jungen Jahren in den Knast kam. Regisseur Luis Ortega erzählt in seinem Gangster-Potrait Der Schwarze Engel die Geschichte eines 17-jährigen, der als einer der jüngsten und einer der schönsten Verbrecher in die argentinische Kriminalgeschichte einging. Aufgrund seiner jugendlichen Schönheit von den Medien als “Engel des Todes” stigmatisiert, erlangte Carlos Robledo Puch in den 1970ern einen zweifelhaften Bekanntheitsgrad in Argentinien. Wie geschaffen für ein True Crime-Drama, einem der angesagtesten Genres am Ende der 2010er. 11 Morde, 17 Raubüberfälle: Deutsche Zuschauer können sich ab dem 27. Juni 2019 einen Einblick in die Geschichte des jungen Mannes verschaffen.
Argentinien, 1971. Ein Siebzehnjähriger genießt den Sommer. Ein graziler Körper, blonde Locken, ein verträumter Blick. Seine Eltern hält er für aufrichtige Menschen. Auf den ersten Blick wirkt Carlos, als könne er kein Wässerchen trüben. Die Dinge ändern sich, als er die Eltern seines neuen Kumpels Ramón kennenlernt. Zwielichtige Gestalten, die Drogen nehmen und Villen in Buenos Aires überfallen. Es dauert nicht lange, bis auch Carlos Teil dieser Familie wird. Ihm geht es jedoch nicht darum, sich an den gestohlenen Klunkern zu bereichern. Im Gegenteil: In ihm schlummert ein Instinkt, der auf diese Weise befriedigt wird, und es dauert nicht lange, bis er seinen ersten Mord begeht. Dieser ist nur der erste von vielen, denn fortan zieht er eine Blutspur durch das Land. Innerlich völlig abgestumpft, nach außen gekehrt ein Engel.
Realität oder Fiktion? Eigentlich auch egal
Originaltitel | El Angel |
Jahr | 2018 |
Land | Argentinien |
Genre | Biografie, Drama, Krimi |
Regisseur | Luis Ortega |
Cast | Carlos: Lorenzo Ferro Aurora: Cecilia Roth Hector: Luis Gnecco Ramón: Chino Darín José: Daniel Fanego Gemelas: Malena Villa |
Laufzeit | 118 Minuten |
FSK |
Mit 17 interessieren sich die meisten Jungen eher für Liebe und Sex, bei Carlos ist das nicht so. Selbst die offensive Einladung von Aurora (Cecilia Roth), der Mutter seines Freundes, schlägt er aus. Carlos findet seine Erfüllung in der Kriminalität. Wie bei jedem halbwegs biographischen Film sind die Eckdaten (meistens) bekannt. Drei Jahre lang häuften sich seine Taten, bis er schließlich mit 20 geschnappt wurde und bis heute der am längsten Inhaftierte Argentiniens ist. Der Schwarze Engel sucht gar nicht erst nach einem Grund für die Taten. Ob Carlos nun einfach irre, abgestumpft oder schlichtweg naiv ist, spielt keine Rolle. Die Wahrheit liegt wohl ohnehin irgendwo dazwischen. Regisseur Ortega befasst sich umso intensiver mit der Verwandlung des Jungen. Antworten bleiben offen und das “Warum?” weicht zwangsweise dem “Wie”. Der Regisseur legt besonderen Wert auf die Optik des Jungen, weshalb dessen Gesicht oder Haare häufig von Nahem zu sehen sind. Einen Blick unter die Oberfläche gibt es selten, vermutlich auch, um die Geschichte nicht zu stark ins Fiktive abrutschen zu lassen. Auf biografische Tafeln wird dabei vollkommen verzichtet, sodass der Film ohne Hintergrundwissen auch komplett als Fiktion wahrgenommen werden könnte.
Mehr 70er Jahre-Pop als Wiedergabe der Mordserie
Der Schwarze Engel punktet neben seinem Hauptdarsteller vor allem mit dem Zeitkolorit der 70er. Diese beflügeln mit zeitgemäßen Beats und bringen mit Latino-Coversongs bekannter Pophits das südamerikanische Lebensgefühl irgendwo zwischen Armut und Freiheit auf den Punkt. Dafür sorgt auch die satte Farbgebung, welche am stärksten unterstreicht, dass Carlos eben noch immer ein Teenager ist, der sich in einem Alter befindet, in welchem das Leben bunt und poppig wahrgenommen wird. Zumindest, wenn die kriminelle Ader nicht derart stark ausgeprägt ist wie in Carlos’ Fall. Übermäßig brutal geht es allerdings nicht zu. Wie in Extremely Wicked, Shockingly Evil, and Vile steht die Entwicklung hin zur Bestie. Auf rein persönlicher Ebene und ohne plakative Darstellungen. Dabei ist auch die Freundschaft zu Ramón ein wesentlicher Bestandteil, denn das Verhältnis der beiden Jungen durchläuft eine Entwicklung, anders als die weitgehend stagnierende Handlung. Abgesehen von den Raubzügen gibt es nicht viel zu erzählen.
Fazit
Lorenzo Ferro ist die Rolle des Carlos wie auf den Leib geschneidert. Vergleicht man einmal Bilder von Carlos damals mit dem Darsteller im Film, wird man kaum Unterschiede feststellen. Ferros Filmdebüt könnte der erste Meilenstein einer langen Karriere werden. Der Film lässt einige Fragen offen, die allerdings auch nicht sehr unter den Nägeln brennen. Schnell wird man sich bewusst, dass es gar nicht darum geht, einen Antwortenkatalog für die abscheulichen Verbrechen aufzubauen, sondern eine gesunde Balance zu finden. Abschreckung und Faszination bewegen sich gleichauf, die Vermischung von Fakt und Fiktion lässt eine Trennung ohnehin nicht zu. Der Schwarze Engel ist ein interessanter Vertreter der Marke “Unscheinbarer Killer”, wenngleich Carlos keine Figur ist, die einem aufgrund ihrer Persönlichkeit in Erinnerung bleiben wird.
© Koch Media
Noch nie vorher was von ihm gehört, aber es wird auch meistens mehr über amerikanische Kriminelle berichtet.