Something in the Dirt

Die US-amerikanischen Regisseure Justin Benson und Aaron Moorhead haben sich seit Erscheinen ihres ersten gemeinsamen Films Resolution (2013) vor allem im Doppelpack einen Namen gemacht. Spezialisiert auf Genrefilme, scheinen sie keine Grenzen zu kennen. Ob romantischer Horrorfilm (Spring, 2014), Mindfuck-Film (The Endless, 2017) oder Science-Fiction-Thriller (Synchronic, 2019): Benson und Moorhead bringen mir ihren Projekten stets eine eigene Vision samt Handschrift auf die Mattscheibe. Damit erschaffen sie ihr ganz eigenes »Subgenre intelligenter Indie-Science-Fiction«. Mit Something in the Dirt, das seine Premiere im Januar 2022 auf dem Sundance Film Festival feierte, haben sich Benson und Moorhead ein neues Spielfeld ausgesucht. Sie tauchen hinab in den Kaninchenbau der Verschwörungsmythen und lassen sowohl Protagonisten als auch Publikum daran zweifeln, was sie für wahr halten. In Deutschland erfolgte die Heimkino-Veröffentlichung am 25. April 2024.

 

Levi (Justin Benson) wohnt in Los Angeles. Mit seiner Hang Lose-Attitüde und dem Hang zum ein oder anderen Tütchen, ist er so ganz anders als sein abgebrühter Nachbar John (Aaron Moorhead). Dennoch freunden sich die zwei Männer schnell an. Als sie in Levis Wohnung Zeuge davon werden, wie dessen Quartz-Aschenbecher auf unerklärliche Weise in der Luft schwebt, wollen sie dem Geheimnis auf die Spur kommen – und nebenbei Kohle machen. Also beginnen sie eine Dokumentation über das Phänomen zu drehen. Dabei geraten sie immer tiefer in einen Sumpf aus Verschwörungsmythen, auf dessen Grund nichts Gutes auf sie wartet.

Ein Quarantäne-Projekt

Originaltitel Something in the Dirt
Jahr 2022
Land USA
Genre Science-Fiction
Regie Justin Benson, Aaron Moorhead
Cast Levi: Justin Benson
John: Aaron Moorhead
Laufzeit 116 Minuten
FSK
Kinostart: 28. September 2023

Something in the Dirt fühlt sich an wie dieser eine krude Onkel, der auf Familienfesten abhängt und von dem jede Seite der Familie behauptet: »Der gehört nicht zu uns, der ist angeheiratet!«. Ein bisschen meschugge, ein bisschen schlüpfrig – aber irgendwie ist es auch witzig, mit ihm zu quatschen. So oder so ähnlich verhält es sich auch mit dem sechsten Spielfilm aus dem Hause Benson/Moorhead. Konzipiert während der Pandemie, erzählt Something in the Dirt von zwei Buddys, die ihrer wahnhaften Obsession auf den Leim gehen, und präsentiert sich damit als Satire auf die allgemeine Paranoia, die seit dem Jahre 2020 steil angestiegen ist. Dabei fühlt sich der Film genau so an wie man sich die die Bubble der Verschwörungsmythen vorstellt: abgeschottet, intim, esoterisch. Denn Something in the Dirt ist zum Großteil ein reines Kammerspiel zwischen Benson und Moorhead, da die beiden nicht nur Regie führen, sondern auch die Hauptdarsteller mimen.

Und ewig landet das Flugzeug

Levi und John sind zwei Typen, die in dieser immer gruseliger werdenden Welt Halt in fragwürdiger Symbolik suchen. Levi, ein leicht durchgeknallter Barkeeper, dessen Vergangenheit fragwürdig bleibt, und John, ein Ex-Mathelehrer, der Mitglied einer evangelikalem Apokalypse-Kirche ist. In ihren ausschweifenden Gesprächen mit Bier und Fluppe darüber, was den fliegenden Aschenbecher verursacht, schneiden sie viele Theorien an. Es geht um die Sonifikation der Planeten, den religiösen Kult um Pythagoras, Morsecode in Früchten und natürlich auch um TED-Talks bzw. das letzte Wikipedia-Loch, in das man um 3 Uhr morgens gefallen ist. Und all das, während draußen im Garten das Matroschka-Windspiel klimpert und nur wenige Meter über dem eigenen Dach ein Linienflugzeug beim Landeanflug wieder einmal zu straucheln beginnt (hat das auch mit dem Aschenbecher zu tun?!). Mit dieser Art von wilden geistigen Ergüssen und willkürlichen Bildcollagen erzeugt Something in the Dirt eine Atmosphäre, die sich alles in einem überaus instabil anfühlt, gleichzeitig aber auch dank der cinematographischen Vision von Moorhead äußerst interessant anzuschauen ist.

Realität ist, was du daraus machst

Levi und John begeben sich auf eine surreale Schnitzeljagd. So richtig zusammen passt hier nichts – soll es vermutlich auch nicht. Wichtig ist nur die Bedeutung für die Charaktere. Der Mensch wählt die Realität, an die er glauben will – die plausible Erklärung dafür wird (nur auf Nachfrage) nachgereicht. Mit Auftauchen eines VFX-Künstlers wird späterhin sogar die Plausibilität des Films selbst in Frage gestellt, da man sich als Zuseher:in nicht mehr sicher sein kann, ob die tanzenden Lichter nun zufällig, eingebildet oder doch inszeniert sind. In dieser Hinsicht geht Something in the Dirt auch als Parodie auf das Genre des Found Footage-Films durch, die aufzeigt, wie leicht Plausibilität künstlich hergestellt und jedes noch so krude Theorem von Levi und John so hingebogen werden kann, damit es in die allgemeine Erzählung passt. Wie gesagt: Der Mensch erwählt sich seine Realität.

Fazit

Something in the Dirt dürfte wohl der minimalistischste Film von Benson und Moorhead sein. Ein Quarantäne-Projekt, das mit seinem geringen Budget und den beengten Raumverhältnissen genau jenes Gefühl von esoterischer Isolation hervorruft wie seinerzeit die Pandemie. Ein Indie-Science-Fiction-Film für das geneigte Publikum, der sich nur schwer greifen lässt, da er irgendwie alles sein kann: eine Parodie auf Netflix-Dokumentationen, eine Satire auf den coronabedingten Verschwörungswahn, aber auch ein kleines menschliches Drama über zwei Typen, die Stabilität in etwas Übernatürlichem suchen, aber eigentlich nur eine gesunde Freundschaft bräuchten. Die surreale Schnitzeljagd klärt sich letzten Endes genau so wenig auf wie die historischen Theorien, die John und Levi bei ihren Bier-Talks besprechen. Aber genau das ist wohl der Punkt, den der Film machen will: Faszination wecken für krude Irrationalität. Nicht alles lässt sich erklären.

© Indeed Film

Totman Gehend

Totman ist Musiker, zockt in der Freizeit bevorzugt Indie-Games, Taktik-Shooter oder ganz was anderes und sammelt schöne Bücher. Größtes Laster: Red Bull. Lieblingsplatz im Netz: der 24/7 Music-Stream von Cryo Chamber auf YouTube.

Abonnieren
Benachrichtige mich zu:
guest
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments