Her

Seinem Computer Gefühle entgegen zu bringen, ist nichts Ungewöhnliches. Vor allem dann nicht, wenn er mit einem schelmischen ‘Uppsie~’ eine zweistündiger Schreibarbeit mit einem spontanen ‘Einfach nur so’-Blue Screen belohnt. Eine ganze Plethora an ausgewählten Gefühlsbekundungen blubbern dann an die Oberfläche. Das Gegenteil, dass man mit nervös zurückgegeltem Haar und hinter dem Rücken versteckten Blumenstrauß seinem Laptop im Anzug entgegen tritt, passiert seltener, außer man will ihn sehr gnädig stimmen, um die erste Situation zu vermeiden. Für den Protagonisten von Her stellt es sich zugleich weniger extrem und gleichzeitig komplizierter dar, wenn er beginnt, Gefühle für eine gänzlich körperlose K.I. zu entwickeln. Sein Hadern und Zweifeln wurde 2013 von Spike Jonze ins kollektive Gedächtnis der Menschheit eingespeist und wurde mit einer goldenen Statue eines nackten Kahlkopfes ausgezeichnet: einem Oscar für das beste Originaldrehbuch. Grund für die güldene hosenlose Bewunderung des scheinbar x-ten Verfechter des ‘K.I. bekommt Gefühle’-Tropes dürfte die ganz eigene Perspektive sein, die den Film zu einem nachdenklichen Sci-Fi-Drama mit ganz eigener Spannung macht.

   

Theodore Twombly (Joacquin Phoenix, Joker) ist ein professioneller Liebesbriefeschreiber für diesen ganz besonderen gefühlvollen Moment, wenn man stotternd einen Text von einem Wildfremden vorlesen möchte, weil man selbst Gefahr lief sich am spitzen Ende des Füllers aufzuspießen. Trotz einer überbordenden Menge an Empathie für seine Mitmenschen, die ihn bei seiner Arbeit als emotionaler Outsourcer hilft, liegt sein eigenes Beziehungsleben in Fetzen mit einer aufgeschobenen Scheidung am Horizont, die über ihm schwebt wie ein amtlich und juristisch beglaubigtes Damoklesschwert. Neue Dating-Anläufe verlaufen im Sande bis ihm eines Tages ein neues Betriebssystem für die heimische und in der Tasche getragene Computerwelt unterkommt. Es verspricht eine revolutionäre K.I., die sich auf den Nutzer einstellt und tatsächlich erklingt nach kurzem Installationsbalken und Kurzfragendialog eine neue Stimme in seinem Leben: Samantha (gesprochen von Scarlett Johansson, Marriage Story). Die körperverhinderte K.I. entpuppt sich schnell als weitaus mehr als nur ein aufgedonnerter virtueller Assistent, wird schnell zu Theodores wichtigstem Bezugspunkt, dem er sich mehr und mehr anvertraut, und schließlich zu weitaus mehr.

Lade Schmalz-Entfernungsprotokolle

Originaltitel Her
Jahr 2013
Land USA
Genre Science-Fiction, Drama
Regie Spike Jonze
Cast Theodore Twombly: Joacquin Phoenix
Samantha: Scarlett Johansson
Amy: Amy Adams 
Catherine: Rooney Mara
Blind Date: Olivia Wilde
Paul: Chris Pratt
Charles: Matt Letscher
Laufzeit 121 Minuten
FSK
Im Handel erhältlich

Es mag aufgrund der erwähnten Oscar-Erringung nicht überraschen, dass die Prämisse der Geschichte zwar klingen mag, als würde kübelweise Schmalz zum Abschmecken verwendet worden sein, aber es sei noch einmal explizit betont. Her ist eine extrem nahe und auf echte Weise gefühlvoll wirkende Liebesgeschichte der leicht skurrilen Art, auch wenn diese Skurrilität nur selten für einen Gag oder Ähnliches verwendet wird. Vielmehr ist es ein intensiver aber ruhiger Blick auf das Leben von Theodore vermischt mit der abgedroschen klingenden ‘Was wäre wenn’-Frage nach emotional werdenden K.I.s, die aber hier auf äußerst glaubwürdige und ungewöhnliche Weise betrachtet wird. Kein Bösewicht, keine Weltuntergangspläne, keine zwielichtige Firma hinter der K.I. mit düsteren Plänen und kein Zugriff auf Nuklearraketen. Sondern schlicht die Frage: Was wäre, wenn sich jemand in eine künstliche Intelligenz, die den Turing-Test mit verbundenen Routern bestehen könnte, verlieben würde?

Implementiere exzellente Dialog-Module

Dabei wird die Frage aber nicht als einzig als anregender Aufhänger verwendet; die Geschichte beschäftigt sich mit vielen Aspekten, die direkt damit verbunden sind: Körperliche Nähe, Sex, Authentizität der Gefühle. Und all das ohne auch nur einen Hauch von Pseudo-Intellektualität oder augenrollender ‘Pretentiousness’ (fachpersonalisch auch ‘Großkotzigkeit’ genannt), sondern in ehrlichen und gefühlsnahen Dialogen präsentiert. ‘Dialoge’ sind ohnehin ein gutes Stichwort, denn sie stehen im Zentrum von allem, maßgeblich die Unterhaltungen zwischen Timothy und Miss Body, die einen Großteil des Films einnehmen und meist in intimen Nahaufnahmen festgehalten werden. Der Support-Cast darf sich ebenfalls zu Wort melden, spielt aber im Vergleich zu den Hauptakteuren eine untergeordnete Rolle, abgesehen von Amy (Amy Adams, Arrival), die in eine ganz ähnliche Situation wie Timothy gerät, ohne die virtuell anklingenden Hochzeitsglocken. Besonders interessant ist nämlich, dass Samantha oder ihre Marke nicht als Dating-Hilfe ins Leben gerufen wurde, sie ist maßgeblich als Unterstützung jedweder Art gedacht und die bringt sie auch. Eben nur zusätzlich in emotionaler Hinsicht. Es ist nicht ihre Aufgabe, sich zu verlieben und auch Timothy selbst hat es nicht zum Ziel, es entwickelt sich auf künstlich natürliche Weise.

Initiiere Erhöhung der Schauspielwerte

Es ist auch gerade das Nachvollziehen dieser Entwicklung bzw. das Mitverfolgen, wie sich Samantha und Timothy näherkommen und wie sie es tun, das einen Großteil der Faszination ausmacht. Die exzellent geschriebenen Dialoge machen das auch ziemlich einfach, aber vermutlich würde einiges brechen, wenn sich die Beziehung nicht ehrlich anfühlen würde. Aber zum Glück stellt das kein Problem dar, denn Phoenix und Johansson haben eine wundervolle (Cyber-)Chemie miteinander, die in beide Richtungen beeindruckt. Phoenix, weil er quasi ohne sichtbaren Partner arbeiten muss und vieles schlicht über Mimik und Gestik präsentiert und zu Samanthas Stimmgeberin muss man passenderweise selbst wohl kaum Worte verlieren, außer vielleicht: Ausgezeichnet. Einzig und allein mit ihrer stimmlichen Präsenz, soviel Charakter und Persönlichkeit zu vermitteln, ist ein Ohrenschmaus. Ein großartiges Zusammenspiel, das problemlos durch den gesamten Film trägt.

Fazit

Her ist eine ruhig regelrecht sanft erzählte Sci-Fi-Liebesgeschichte, die es schafft, im Gedächtnis zu bleiben und zum Nachdenken einlädt. Die ungewohnte, ‘simplere’ Perspektive auf das mögliche Erwachen einer K.I. in Kombination mit Fragen zu Nähe, Beziehung und generell Liebe bringt viele Aspekte in den Fokus, die bei der Thematik ansonsten dank bösewichtelnder Einflüsse hintenüber fällt. Vor allem fasziniert, dass Samantha keine Dating-K.I. ist, die speziell zum Verlieben programmiert wurde, sondern hier auf beiden Seiten eine Entwicklung geschieht. Auf menschlicher, aber eben auch auf (künstlich) intelligenter Seite. Es stoppt dabei nicht einfach damit, dass sich der Mensch eingewöhnen muss und damit hat es sich, sondern die Geschichte geht darüber hinaus. Maßgeblich in seinem Ende, bei dem ich zwar das Gefühl habe, dass es doch ein klein wenig überhasteter One-Two-Punch ist, aber doch zumindest eine weitere Idee in den Raum wirft, die es wert ist, beachtet zu werden. Selbstverständlich hilft es, dass die beiden Hauptakteure den Ball gemeinsam in aus dem Cyberpark donnern. Eine definite Empfehlung für jeden, der sich für eine etwas andere Sicht auf das Thema K.I. interessiert oder schlicht eine gefühlvolle Liebesgeschichte erhofft. Bei alldem sei aber eine gewisse Stimmung vorausgesetzt. Es mag zwar keine depressive Parade im Sturzregen sein, aber auch kein wohliger gute-Laune-Film. Ein nachdenkliches Dazwischen eben.

© Warner Bros.

Mort

Mort hat 'Wie? Nicht auf Lehramt!?' studiert und wühlt sich mit trüffelschweiniger Begeisterung durch alle Arten von Geschichten. Animes, Mangas, Bücher, Filme, Serien, nichts wird verschmäht und zu allem Überfluss schreibt er auch noch gerne selbst. Meist zuviel. Er findet es außerdem seltsam von sich in der dritten Person zu reden und hat die Neigung, vollkommen überflüssige Informationen in sein Profil zu schreiben. Mag keine Oliven.

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