Freaks – Sie sehen aus wie wir
Wie viele Filme über Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten, die sich nicht als Superheld definieren oder den Comic-Giganten Marvel/DC zuzuordnen sind, sind euch bekannt? Wahrscheinlich lassen sich alle Beispiele an einer Hand abzählen. Abhilfe verschafft Freaks des Regie-Gespanns Adam B. Stein (Kim Possible) und Zach Lipovsky (Dead Rising: Watchtower). Ihr als dystopisches Kammerspiel beginnender SciFi-Film entfaltet sein volles Spektrum erst mit verstreichender Spielzeit. Dabei spielen sie immer wieder mit der Unsicherheit des Publikums: Wer ist hier eigentlich Bösewicht und wie funktioniert diese Welt nun wirklich? Freaks entpuppte sich frühzeitig als Überraschungshit diverser Festivals (u.a. des Fantasy Filmfest 2019) und sorgt für fiese Paranoia-Momente. Im Januar 2020 erreichte der Film schließlich den deutschen Handel.
Die siebenjährige Chloe (Lexy Kolker, The Little Mermaid) ist gefangen im eigenen Haus. Ihr Vater (namenslos: Emile Hirsch, Once Upon A Time … In Hollywood) verbirgt das Mädchen vor der Außenwelt und drillt sie auf eine andere Identität, welche sie im Falle eines Entdecktwerdens einnehmen müsse. Was verboten ist, ist selbstverständlich besonders spannend. Und da Chloe obendrein wissbegierig ist, gilt ihre größte Aufmerksamkeit dem Eiscremetruck von Mr. Snowcone (Bruce Dern, Oscar für Nebraska), welcher auch noch direkt vor dem Haus geparkt ist. Wie das Schicksal es so möchte, ist eine Kugel Schokoladeneis es wert, sich über die väterlichen Anweisungen hinwegzusetzen und das Haus klammheimlich zu verlassen. Ist die Welt wirklich so feindselig, wie ihr Vater es Chloe weis machen will?
Eine Geschichte über Ver- und Misstrauen
Originaltitel | Freaks |
Jahr | 2018 |
Land | USA |
Genre | Drama, Action, Science-Fiction |
Regisseur | Adam B. Stein, Zach Lipovsky |
Cast | Vater: Emile Hirsch Chloe: Lexy Kolker Mr. Snowcone: Bruce Dern Mary: Amanda Crew Agent Ray: Grace Park Harper: Ava Telek Nancy: Michelle Harrison Steven: Matty Finochio |
Laufzeit | 105 Minuten |
Seit dem 31. Januar 2020 in Deutschland erhältlich |
Trotz des interessanten Worldbuildings nährt sich Freaks vor allem von der klaustrophobischen Atmosphäre, die im ersten Drittel aufgebaut wird. Immer wieder muss der Zuschauer hinterfragen, was wohl passiert sein könnte. Auf der einen Seite steht ein Eisverkäufer vor der Türe, auf der anderen Seite meint Chloes Vater es todernst und verlässt das Haus selbst nur unter höchstem Risiko. Was ist hier geschehen? Erzählt und erlebt wird alles aus Chloes Perspektive. Ähnlich wie in 10 Cloverfield Lane muss sich die Hauptfigur auf die Aussagen einer anderen Figur verlassen und wird somit daran gehindert, zu erfahren, wie die Welt da draußen wirklich funktioniert. Speziell in Chloes Fall kommt erschwerend hinzu, dass sie rein gar nichts über das Leben dort draußen weiß. Abgesehen von den Risiken, die es mit sich bringt. Puzzleteil um Puzzleteil will langsam zusammengefügt werden und dabei wird vor allem die Rolle des Vaters gründlich durchleuchtet. Was führt er wirklich im Schilde?
Kammerspiel vs. Actionkino
Als wäre dies nicht genug, hat Chloe mit Visionen zu kämpfen. Ist sie geisteskrank? Flüchtet sie sich in Fantasiewelten? Ist sie die wahre Gefahr? Bis alle Komponenten einmal in Reih und Glied gebracht sind, vergeht einige Zeit. Diese wird intensiv von der toxischen Verbindung zwischen Vater und Tochter gefüllt. Er neigt zu cholerischen Anfällen, sie ist eine tickende Bombe. Was sich in Richtung Sozialdrama entwickelt, wird zunehmend von externen Faktoren überschattet.
Schauspielerischer Glücksgriff
Besonders leidet die zweite Hälfte darunter, dass die Geschichte immer wieder damit kämpfen muss, dass sie von weiteren Elementen und Störquellen überfrachtet wird. Gelegentlich sorgt das sogar für ungewollte Lacher. Dass die erste Hälfte der Handlung trotz des begrenzten Schauplatzes überhaupt ohne Längen auskommt, ist den Darstellern von Vater und Tochter zu verdanken. Lexy Kolker besitzt eine lebendige Präsenz und begeistert mit ihrer störrisch-cleveren Natur. Emile Hirsch als umsorgender und gleichzeitig zwielichter Vater, der mehr weiß als er zugibt, findet den richtigen Ton, um auch die Sympathien seitens Zuschauern immer wieder aufs Neue abzufragen. Bruce Dern als Eisverkäufer baut besonders auf seine Leinwandpräsenz, die der 83-jährige Schauspieler ausstrahlt. Die schauspielerischen Qualitäten wiegen budgetäre Engpässe merkbar auf.
Fazit
Freaks ist einer jener Filme, die verheißungsvoll beginnen und auf einem rätselhaften Konstrukt aufbauen, ehe alle Geheimnisse gelüftet werden und jeder Zuschauer für sich selbst feststellen muss, ob er mit dem eingeschlagenen Weg in Richtung Mainstreamkino konform gehen kann. Selbst bei einer Bejahung ist der Verlauf der Geschichte reine Geschmackssache, denn die Subtilität geht nach und nach zugunsten eines Effektgewitters verloren. Trotzdem bleibt zu sagen, dass Freaks hinsichtlich seines Spannungsaufbaus ein gelungener Titel ist, dessen Worldbuilding und dramatische Herangehensweise Lust auf eine Fortführung innerhalb eines eigenen Franchises machen.
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