Jonathan Strange und Mr. Norrell
England im Jahre 1806. In den Romanen Jane Austens tragen zu dieser Zeit junge Damen des niederen Landadels entzückend hochtaillierte Musselinkleider und müssen sich fragen, wie Stolz und Vorurteil ihrem Liebesglück im Weg stehen. Wie wäre es, wenn zur gleichen Zeit die Magie wieder Einzug in Großbritannien gehalten hätte? Wären die napoleonischen Kriege mit magischen Mitteln geschlagen worden? Und ist Magie vielleicht gefährlicher, als die Zauberer Strange und Norrell vermutet haben? Die BBC-Miniserie Jonathan Strange und Mr. Norell, basierend auf dem gleichnamigen preisgekrönten 1000-Seiten-Wälzer von Susanna Clarke spielt dieses Gedankenspiel virtuos durch.
Zur Zeit des legendären Rabenkönigs blühte die Magie in Großbritannien, aber dies liegt viele Jahrhunderte zurück. Anfang des 19. Jahrhunderts ist praktische Magie nur etwas für Straßen-Scharlatane, die einem Gentleman angemessene Form der Magie ist streng theoretisch. Die Gilde der Zauberer von York jedenfalls behandelt Magie als einen historischen Forschungsgegenstand und ist der festen Überzeugung “… von einem Zauberer zu verlangen, Magie zu wirken, wäre wie von einem Astronomen zu verlangen, dass er neue Sternbilder schüfe.” Bis ihnen der Privatgelehrte Mr. Norrell seine magischen Fähigkeiten vorführt: durch seinen Zauber beginnen die steinernen Statuen der Kathedrale von York zu sprechen. Andernorts weiß der junge Landadelige Jonathan Strange nichts mit sich anzufangen, als er dem heruntergekommenen Straßenzauberer Vinculus begegnet, der eine rätselvolle Prophezeiung über zwei Zauberer ausspricht. Prompt beschließt er, Zauberer und Mr. Norrells Schüler zu werden. Strange und Norrell machen sich daran, der modernen praktischen Zauberei zu gesellschaftlichem Ansehen zu verhelfen. Gelegenheiten gibt es genug: Strange setzt seine magischen Fähigkeiten im Dienst der Armee ein, etwa um die Illusion einer Flotte aus Regenwasser zu erschaffen. Norrell erhofft sich Vorteile, wenn er die Braut des Ministers Sir Walter Pole von den Toten erweckt. Allerdings muss er dazu die Hilfe eines Elfen in Anspruch nehmen und Elfen sind in diesem Universum keine freundlichen Wesen. Der “Gentleman mit dem Haar wie Distelwolle” liebt zwar die Schönheit, ist aber auch egozentrisch, boshaft und intrigant und er schätzt es gar nicht, von menschlichen Zauberern beschworen zu werden. Seine Unterstützung hat einen hohen Preis: er fordert die Hälfte des Lebens der jungen Dame. Nicht, wie Norrell vermutet, nach Ablauf der ersten Hälfte, sondern tagtäglich. Immer, wenn die junge Frau schläft, verbringt sie die Nacht im Ballsaal des Gentleman im Elfenreich und ist am Tag zunehmend übermüdet und depressiv bis zu Selbstmordabsichten. Die Situation spitzt sich zu, als zwischen dem überängstlichen Norrell und dem tatendurstigen Strange Konflikte entstehen und der Gentleman aus dem Elfenreich Gefallen daran findet, Menschen, deren Schönheit er bewundert, in seinen Ballsaal zu verschleppen. Erst Sir Walters schwarzen Butler Stephen Black, den er als Protagonisten der Prophezeiung “Der namenlose Sklave wird König sein in einem fremden Land” betrachtet und ihm zu seiner wahren Bestimmung verhelfen will, auch wenn Stephen Black gar nichts anderes sein will als Butler. Dann als drittes Opfer Jonathan Stranges Ehefrau Arabella. In einem magischen Showdown
Lieraturverfilmung in BBC-Qualität
Originaltitel | Jonathan Strange and Mr. Norrell |
Jahr | 2015 |
Land | Großbritannien |
Episoden | 7 (in 1 Staffel) |
Genre | Fantasy, Alternate History |
Cast | Jonathan Strange: Bertie Carvel Mr Norrell: Eddie Marsan The Gentleman: Marc Warren Arabella : Charlotte Riley Lady Pole: Alice Englert Childermass: Enzo Cilenti Vinculus: Paul Kaye Stephen Black: Ariyon Bakare |
In Buchform zieht sich diese Geschichte mit unzähligen Nebenfiguren, Seitenlinien, Exkursen und Fussnoten über 1000 Seiten, die jeden Anglistik-Studenten glücklich machen. Die BBC hat das auf knackige sieben Folgen eingedampft und sich dabei auf das Wesentliche konzentriert: das Spannungsfeld zwischen den beiden Zauberern und den Kampf gegen ihren gemeinsamen Gegner, den Gentleman aus dem Elfenreich. Drumherum gruppieren sich aus der Vielzahl der skurrilen Nebencharaktere diejenigen, die die Handlung vorantreiben, etwa Norrells zwielichtiger Diener Childermass, der ganz eigene Ziele verfolgt, oder der heruntergekommene Straßenmagier Vinculus, der eine besondere Verbindung zu den Mächten der Magie zu haben scheint (gespielt von Paul Kaye, der hier, wie auch als Thoros von Myr in Game of Thrones einen versoffenen Alt-Hippie mit unerwarteten magischen Fähigkeiten verkörpert.) Diese Schwerpunktsetzung war eine gute Idee, denn die Interaktion zwischen dem übervorsichtigen Mr. Norrell und dem jugendlichen Hitzkopf Strange ist das, was den Zuschauer bei der Stange hält und beiden Figuren die Tiefe verleiht, die sie interessant und liebenswert macht. Die Reduzierung der überbordenden Detailfülle auf eine eher schlichte Geradlinigkeit gibt dem Ganzen einen zwar gemächlichen, aber zugkräftigen Spannungsbogen, sodass die sieben Folgen gut in einem Rutsch hintereinander anschaubar sind.
Pride, Prejudice and Magic
Was an dieser Geschichte so richtig Spaß macht, ist, dass sie nicht in einer quasi-mittelalterlichen, ein ums andere Mal Tolkien aus der Tasche geklauten Fantasy-Welt spielt, sondern in einer Epoche, deren historische und literaturgeschichtliche Koordinaten man so gut kennt. Die Buchvorlage zieht diese Idee so konsequent durch, dass es nicht nur zu Jane Austens Zeit spielt, sondern auch 1000 Seiten lang wie Jane Austen klingt. Seite für Seite fallen so wunderbare Sätze wie: “Sie starb am Dienstag, wurde in den frühen Morgenstunden des Mittwochs ins Leben zurückgerufen und heiratete an einem Donnerstag: einige Leute befanden, dies sei zu viel Aufregung für eine einzige Woche.” Die Verfilmung kann das leider nur bedingt umsetzen, aber sie schafft es, den sarkastisch-skurrilen Geist der Vorlage einzufangen und in die Dialoge mitzunehmen. “Kann ein Zauberer einen Menschen durch Magie töten?”, wird Jonathan Strange gefragt und seine Antwort ist so very British: “Ich nehme an, ein Zauberer könnte das tun. Aber ein Gentleman niemals.”
Der diskrete Charme einer schlecht sitzenden Perücke
Als Ausgleich für World-Building durch Schreibstil wartet die Mini-Serie dafür mit tadelloser Ausstattung auf. Die Kostüme sind nicht nur sehenswert historisch korrekt, sie sind auch bis knapp vor die Karikatur genau richtig für die Figuren. Allein all diese schlecht sitzenden Perücken! Beim Casting hatte man von den Hauptfiguren bis zum letzten Kleindarsteller ein gutes Auge für authentische Gesichter, die in die Zeit passen. Es sieht aus wie eine solide Verfilmung eines historischen Stoffes, nur dass immer wieder Magie aufflackert, mal ganz klein, mal richtig groß, mit galoppierenden Pferden aus Sand und Elfenpalästen hinter den Spiegeln. Dabei sind die Fantasy-Elemente nicht einmal das Beeindruckendste der Serie. Die CGI-Effekte sind okay für eine Fernsehproduktion, aber nicht mehr als das. Düstere verzauberte Paläste und Landschaften gibt es woanders sicher eindrucksvoller zu sehen. Und der Antagonist aus dem Elfenreich, der Gentleman mit dem Haar wie Distelwolle muss sehr viel schauspielerisches Charisma aufwenden, um mit dieser Perücke und diesen überdimensionierten Augenbrauen nicht lächerlich zu wirken. Es ist erst das Zusammenspiel zwischen historischen und phantastischen Elementen, das den besondern Charme dieser Serie ausmacht.
Insgesamt ein leckeres Häppchen für Freunde von Skurrilität und britischem Humor, Bewunderer schön gemachter Ausstattungsfilme, oder Literaturwissenschaftler auf Zitatejagd. Oder für Fantasy-Fans, die keine epischen Schlachten und wie in Stein gehauenes Pathos brauchen, sondern Fantasy auch mal gern leiser, augenzwinkernd und ein wenig düster mögen. Oder einfach Futter für einen Mini-Bingewatch an einem langen, verregneten Wochenende.
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