Blue Eye Samurai
Netflix’ Animationsbibliothek für Erwachsene bekommt Zuwachs: Mit Blue Eye Samurai präsentieren uns der Oscar-nominierte Drehbuchautor Michael Green (Blade Runner 2049, Logan) und Drehbuchautorin Amber Noizumi eine blutige Rachegeschichte über einen »gemischtrassigen« Samurai mit blauen Augen, der Jagd auf weiße Männer macht. Eine dicht gestrickte, intensive und visuell reichhaltige Story, die die Vorteile von Animation ganz klar hervorhebt und zudem mit einem All-Star-Cast bei den Synchronsprechern punkten kann. Seit dem 3. November auf Netflix verfügbar.
Blue Eye Samurai spielt im isolierten Japan der Edo-Zeit (1603-1868), als sich das Land von der Außenwelt abkapselte und keine Ausländer innerhalb der eigenen Grenzen duldete. Mizu (Maya Erskine, Obi-Wan Kenobi) ist ein als Mann verkleideter »gemischtrassiger« Samurai, die aufgrund ihres Hybridendaseins ihr ganzes Leben lang diskriminiert und misshandelt wurde. Aus diesem Grunde trägt sie eine getönte Brille, um ihre blauen Augen zu verbergen. Mizu ist auf Rache aus; Rache an den vier weißen Männern (einer davon ihr eigener Vater), die illegal in Japan leben, krumme Dinger drehen und sie zu einem Monster gemacht haben.
Kommt ein Samurai in eine Bar
Originaltitel | Blue Eye Samurai |
Jahr | 2023 |
Land | USA |
Episoden | 8 in Staffel 1 |
Genre | Animation, Rachedrama |
Cast | Mizu, der Samurai: Maya Erskine Ringo: Masi Oka Taigen: Darren Barnet Prinzessin Akemi: Brenda Song Seki: George Takei Meister Eiji: Cary-Hiroyuki Tagawa Heiji Shindo: Randall Park Abijah Fowler: Kenneth Branagh |
Veröffentlichung: 3. November 2023 |
Ein einsamer Wolf betritt eine Gaststätte. An einem Tisch sitzt ein großmäuliger Gast und macht Stunk, so sehr, dass der Wolf es irgendwann nicht mehr ignorieren kann. Konfrontation, Blutspritzer, abgetrennte Fingerspitzen, Problem gelöst. Versionen dieser Szene kommen in vielen ikonischen Samurai- und Westernfilmen vor und es ist bemerkenswert, wie schamlos Blue Eye Samurai sich daran bedient, um in seine eigene Welt einzuführen. Bemerkenswert ist aber auch, wie sattelfest die Szene in Sachen Tempo, Schnitt und Stil sitzt. Blue Eye Samurai hat Selbstvertrauen und kommt auch dann nicht ins Schwitzen, wenn die Serie in den nächsten acht Folgen dem gesamten Filmemacher-Kader von Akira Kurosawa über Clint Eastwood bis hin zu Sergio Leone huldigt. Blue Eye Samurai ist quasi Pastiche-Unterhaltung vom Feinsten.
Das Samurai-Genre in modern
Blue Eye Samurai ist eine Rachedrama, das sich im Kern mit Rache und deren fatalen Konsequenzen befasst. Geschrieben von den Eheleuten Michael Green und Amber Noizumi vermittelt die Serie eine neue Sicht auf das Samurai-Genre. Das liegt 1.) an dem einzigartigen visuellen Stil, aber auch 2.) an der Verbindung von traditioneller Erzählweise mit modernen Reflexionen über Themen wie Rasse, Geschlechterrollen und Macht. Daraus ergibt sich eine erwachsen erzählte Tragödie, die beim Publikum ähnliche Gefühle auslösen kann wie etwa Game of Thrones oder House of the Dragon. Das liegt an der Gewalt und Freizügigkeit, aber auch an dem breiten, gut geschriebenen Figurenensemble, an dem man kleben bleibt.
Mary Sue adé
Protagonistin Mizu ist in vielerlei Hinsicht eine klassische Antiheldin: Eine zerrissene Schwertkämpferin, die sich hauptsächlich mit ihrem Verlangen nach Rache beschäftigt, hier und da aber auch Momente von Ehre und Gewissen durchblitzen lässt. Im Schwertkampf ist sie freilich meisterhaft, aber nicht unfehlbar. Körperliche Schwächen werden durch diverse Hilfsmittel und Taktiken ausgeglichen. All ihr Können geht mit einem hohen Preis einher und nicht selten überlebt sie einen Kampf nur dank ihres treuen Kompagnons Ringo (Masi Oka, Heroes). Nach und nach vertieft Blue Eye Samurai die psychische Landschaft seiner Heldin und offenbart eine komplexere Emotionalität als ihre archetypische Rolle es vermuten lässt. Es wird auch nicht vor Szenen zurückgeschreckt, in denen Mizu moralisch diskutable Entscheidungen trifft, mit denen nicht alle d’accord gehen. Das alles macht Mizu zu einem schönen Gegenbeispiel zum aktuell häufig genutzten Trope der »Mary Sue«.
Du bist interessant, und du, und du auch
Während ihrer Reise trifft Mizu auf Charaktere, denen das Kreativteam viel Aufmerksamkeit geschenkt hat. Jede Figur verfügt über ihre eigene persönliche Hürde. Wir begleiten Teigen (Darren Banet, Gran Turismo), den stolzen Samurai, der von Mizu besiegt wird und seitdem mit diskutabler Frisur versucht, seine Ehre wiederherzustellen. Dann sind da noch Prinzessin Akemi (Brenda Song, Hotel Zack & Cody), die sich von ihrer patriarchalen Familie emanzipieren will und im Puff landet, sowie ihr Mentor Seki (George Takei, Star Trek), der innerhalb der ihm auferlegten gesellschaftlichen Grenzen alles gibt, um ihr »Onkel Iroh« zu werden. Selbst Ringo, der in seiner Rolle als Comic Relief angenehm dezent auftritt, hat sein eigenes Ding am Laufen. Als Publikum erhält man leicht Zugang zu den Figuren. Selbst solche, die nur für eine Folge präsent sind, schaffen es in gerade mal 20 Minuten Screentime die ganze Gefühlspalette von absoluter Sympathie bis hin zu bitterer Verachtung zu triggern. Das ist emotionales Investment, das auszulösen einige aktuelle Serien derzeit verbocken.
Animation made in France
Geschichte packend, Figuren top. Was bleibt da noch? Das Visuelle und die Action. Mizu schneidet sich durch Arme, reißt Zähne aus, hüpft über Berge und zerreißt sich selbst auf der Suche nach Antworten. Die Visionärin dahinter ist Regisseurin Jane Wu, die auch schon die Schlacht um New York in The Avengers choreographierte und selbst Kampfsport betreibt. Es gibt kein simples »Du hackst mich, ich hack dich«, sondern ausgearbeitete, kurzweilige, realistisch anmutende, aber mit unrealistischen fancy Tricks versehene Konfrontationen. Umgesetzt wird das ganze Spektakel durch das französische Animationsstudio Blue Spirit, die nicht nur Action können, sondern generell ein Händchen für visuelles Erzählen haben. Folge 5 etwa spielt gleich mit mehreren Zeit- und Realitätsebenen. Sie nutzt ein tragisches Kapitel aus Mizus Vergangenheit, die Aufführung eines Bunraku-Puppentheaters und einen wuchtigen Bordell-Kampf, um ein komplexes Porträt der Wut zu zeichnen. Da greift alles ineinander – wie gut eingestellte Zahnrädchen. Nachteil: Die nachfolgenden Episoden erreichen nie den Peak von Folge 5. Das Finale weist zudem eine Staatstragik auf, die die intime Ernsthaftigkeit der Serie etwas zerreißt und stellt Weichen, die den klaren Fokus der zukünftige Staffel zerdeppern könnten. Aber davon abgesehen leistet sich die Serie wirklich kaum Fehltritte und ist ein Genuss zum Abglotzen.
Fazit
Blue Eye Samurai ist ein aufregender Rachefeldzug. Optisch ein Schaufenster in die japanische Kultur und action-mäßig ein intensiver Nervenkitzel, der bei seinem ganzen auschoreographiertem Ballet niemals die Figuren aus den Augen verliert. Eine Serie, die sich vom ersten Moment an »makellos realisiert« anfühlt. Netflix Animation ist zwar kein eigenes Studio, konnte aber in den letzten Jahren seinen Namen auf so einige faszinierende Projekte stempeln: Love, Death & Robots, Arcane, Klaus, Guillermo del Toros Pinocchio – der Konzern beweist hier sein Gespür für Qualität. Blue Eye Samurai bildet da keine Ausnahme. Eine der besten Animationsserien des Jahres, deren zweite Staffel unlängst bestätigt wurde.
© Netflix