The Quarry

Videospiele der Sparte interaktives Storytelling haben in den 2010ern ihre Nische gefunden. Studios wie Telltale Games (The Walking Dead, Wolf Among Us) oder Quantic Dream (Detroit: Become Human, Heavy Rain) bringen das Genre immer wieder auf die Bildfläche. Auch beim britischen Studio Supermassive Games entstehen seit einigen Jahren Spiele aus dieser Kategorie. Während man mit Until Dawn 2015 viele Gamer überzeugen konnte, wird die Anthologie-Serie The Dark Pictures  mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Mit Supermassives The Quarry besinnt man sich auf alte Stärken und kombiniert das Genre nach Until Dawn abermals mit klassischem Teenie Horror und das mit einem satten Spielumfang. Das Spiel erschien im Juni 2022.

   

Es ist der letzte Tag im Sommercamp. Die Kids sind schon abgeholt, nur eine kleine Gruppe Betreuer und Betreuerinnen bleibt zwischen den Hütten am See zurück und ist nun ebenfalls bereit aufzubrechen. Doch das Loslassen fällt schwer. Jacob sieht seine letzte Chance, um das Herz von Emma zu erobern, darin, das Auto zu sabotieren. Somit können die Teenager zunächst nicht aufbrechen, beschließen jedoch schnell, das Beste aus der Situation zu machen. Weiterhin sind da der wortkarge introvertierte Ryan und als Gegenpart der Nerd Dylan, der nie um einen blöden Spruch verlegen ist. Weiter geht es mit der coolen und straighten Kaitlyn sowie dem freundlichen Nesthäkchen Amy, das für den smarten Nick schwärmt. Ein letzteres Mal also Lagerfeuer. Doch irgendetwas lauert dort draußen …

Vielschichtigen Charaktere zur falschen Zeit am falschen Ort

Originaltitel The Quarry
Jahr 2022
Plattform PC, PlayStation 4. PlayStation 5 Xbox One, Xbox Series X/S
Genre Survival Horror, Interaktiver Film
Entwickler Supermassive Games
Publisher 2k Games
Spieler 1–8
USK
Veröffentlichung: 10. Juni 2022

Wie schon im geistigen Vorgänger Until Dawn haben wir es mit einer ganzen Gruppe spielbarer Figuren zu tun. Nach und nach lernen wir die Charaktere kennen, die typisch für Teen-Horror  verschiedener nicht sein könnten. Die beiden größten Gegenpole bilden wohl die überhebliche Emma, die süchtig nach Social Media und Aufmerksamkeit ist, und die ruhige Abigail, die regelmäßig in ihren Gedanken versinkt. Die Protagonist:innen erscheinen auf den ersten Blick vielleicht oberflächlich, doch schon nach kurzer Zeit darf man feststellen, dass sie wesentlich vielschichtiger geschrieben sind, als es der erste Eindruck vermittelt, und früh sind die persönlichen Lieblinge gefunden. Die einzelnen Dynamiken sind variabel: Manche Figuren teilen sich im Laufe der Handlung in Gruppen auf, andere sind alleine unterwegs. Das hängt ganz von den Entscheidungen ab, die getroffen werden. Einfluss auf das Geschehen nimmt man in kurzen Sequenzen, in denen die Umgebung untersucht wird und versteckte Sammelobjekte gefunden werden können. Während der Sequenzen kommen dann auch die allseits (un)beliebten Quicktime-Events zum Einsatz. In Verstecksituationen gilt es oft per Knopfdruck die Luft anzuhalten, bis die drohende Gefahr gebannt ist. Scheitert ihr zu oft an den gestellten Aufgaben oder trefft die falschen Entscheidungen, kann es auch passieren, dass eine der Figuren das Zeitliche segnet. Allerdings nicht für immer, denn anders als bei Until Dawn besteht bis zu drei mal die Gelegenheit, zur entsprechenden Szene zurückzuspringen und die Figur zu retten (Life is Strange lässt grüßen!). Wie schon in Until Dawn sind Entscheidungen das A und O, denn daran hängt jegliches Überleben. Eine falsche Entscheidung kann rasch dazu führen, dass ein schneller und oft bestialischer Tod einsetzt. Spannend sind dabei die Möglichkeiten, das Spiel neben dem Solo-Player-Modus auch im Koop zu spielen oder gleich mehrere Menschen vor dem Fernseher zu versammeln: Im Kinomodus wird der Controller einfach per Aufforderung weitergereicht! Somit ist jeder Spieldurchgang ein anderer und die Persönlichkeiten vor dem Fernseher bestimmen die Entwicklung gemeinsam.

186 Endings müsst ihr sein

Inhaltlich mag The Quarry auf den ersten Blick an Backwood-Horror à la Freitag der 13. erinnern. Die Geschichte lässt sich allerdings rein gar nicht in die Karten schauen und versucht so lange wie nur möglich so verbergen, worum es wirklich geht. Da steht die Legende einer Hexe im Raum, ein hünenhafter Hillbilly treibt sich in der Gegend herum und ein gefährliches Tier streift durchs Unterholz. Als zusätzliche Infohappen und kleine Hilfen hat Supermassive Games überall in der Spielwelt von The Quarry Plakate und Tarot-Karten versteckt, die einen möglichen Spielverlauf anteasern oder aber in die Irre führen können. Sie funktionieren damit wie die Totems in Until Dawn. Viel erzählerischer Nebel, der sich erst nach und nach lichtet. Die Handlung lässt sich nach dem düsteren Prolog ordentlich Zeit, um zu Potte zu kommen. Bei einem Spielumfang von etwa zwölf Stunden vergeht gut ein Viertel damit, die Charaktere kennenzulernen, ihre Bindungen auf- und auszubauen und sogar Romanzen zu entwickeln. All das kann Einfluss auf den Spielverlauf und damit das Ende haben. Mit einer satten Anzahl von 186 unterschiedlichen Enden klingt das zwar geradezu nach einem Mammut-Projekt, allerdings tritt der Epilog nach dem Finale wirklich sehr abrupt ein und entlässt seine Spieler:innen mit einem Gefühl, dass dem Skript am Ende die Puste ausging. Oder dass doch noch nicht alles zu Ende ist.

Fotorealistische Wucht

Supermassive Games wurde von Tanz der Teufel und Das Ding aus einer anderen Welt inspiriert. Um die Gefühle eines klassischen Horrorfilms einzufangen, rekrutierte das Studio eine große Besetzung von Schauspielern aus dem Horror-Genre für das Motion Capturing. Zum Ensemble des Spiels gehören David Arquette (Scream), Siobhan Williams (Bright Hill Road), Lin Shaye (Insidious), Lance Henriksen (Falling), Grace Zabriskie (The Grudge), Ted Raimi (Tanz der Teufel), Ariel Winter (Modern Family), Ethan Suplee (American History X), Miles Robbins (Der Killer in mir), Halston Sage (The Orville), Zach Tinker (Days of Our Lives), Brenda Song (Hotel Zack & Cody), Skyler Gisondo (Licorice Pizza), Evan Evagora (Fantasy Island) und Justice Smith (Pokémon Meisterdetektiv Pikachu). Das Schöne ist: Man erkennt alle Darsteller:innen wieder. Die fantastische Optik sorgt dafür, dass das Spiel in 4k eine echte Wucht ist. Vor allem im Pausenmenü, wenn man die gerade aktive Figur in Großaufnahme sieht, überzeugt die Unreal-Engine mit täuschend echter Haut mit kleinen Unreinheiten – und auch die Augen wirken wirklich lebendig. Die verschiedenen Teilbereiche des Camps wurden mit Liebe zum Detail gestaltet und beleuchtet, man hat Freude daran, jeden Winkel der Umgebungen nach neuen Hinweisen abzusuchen. Die deutsche Synchro geht ebenso komplett in Ordnung. Insgesamt audio-visuell ein wahrer Genuss.

Fazit

The Quarry sieht fantastisch aus und ist jedem zu empfehlen, der sich für Figuren und deren Beziehungen interessiert, aber auch dem Horror-Genre zugetan ist. Die realistische Grafik vermittelt das Gefühl, einen interaktiven Film zu erleben und wer gerne Einfluss auf Handlungen nehmen möchte, ist hier goldrichtig. Im direkten Vergleich zu Until Dawn fällt sofort auf, dass die Figuren um Welten besser geschrieben und vielschichtiger angelegt sind. Auch der Spannungsbogen wird bedachter gespannt und besteht nicht einfach nur aus Jump-Scares. Als Goodie für Horror-Fans sind zudem einige Schauspiel-Ikonen am Start, die das cineastische Gefühlunterstreichen. Wenn man The Quarry eine Sache ankritteln könnte, dann das lieblose Ende, das wirklich nur noch angehängt wirkt und die Spannungskurve geradezu abreißen lässt. Wer alle neun Teenager retten will, muss mit mehr als einem Durchgang rechnen.

© 2k Games


Veröffentlichung: 10. Juni 2022

 

Ayres

Ayres ist ein richtiger Horror- & Mystery-Junkie, liebt gute Point’n’Click-Adventures und ist Fighting Games nie abgeneigt. Besonders spannend findet er Psychologie, deshalb werden in seinem Wohnzimmer regelmäßig "Die Werwölfe von Düsterwald"-Abende veranstaltet. Sein teuerstes Hobby ist das Sammeln von Steelbooks. In seinem Besitz befinden sich mehr als 100 Blu-Ray Steelbooks aus aller Welt.

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