Silence

Martin Scorsese ist vor allem für seine epischen realitätsnahen Gangsterfilme bekannt. Goodfellas und Casino gelten als zeitlose Klassiker, The Wolf of Wallstreet war 2013 ein gigantischer Kassenerfolg, und nicht nur Netflix-Kunden erwarten mit The Irishman sehnsüchtig Scorseses neuestes Werk. Dabei wird leicht übersehen, dass bereits im Jahr 2016 ein weiterer Spielfilm des Meisters erschien. Denn Silence, basierend auf dem Roman Schweigen von Endō Shūsaku, wurde zwar von den Kritikern gefeiert, enttäuschte aber an den Kinokassen. Scheinbar waren nur wenige bereit, einen 160-minütigen Film über die Glaubenskrise eines jesuitischen Missionars im Kino zu sehen. Dabei ist Silence ein echter Geheimtipp, der theologische und philosophische Fragen packend diskutiert und handwerklich genial umgesetzt ist.

   

Wir schreiben das Jahr 1633. Portugal beherrscht die Weltmeere und hat seinen Einfluss bis nach Asien ausgedehnt. In Japan herrscht der Shogun mit eiserner Macht, und jeder Versuch der portugiesischen Missionare, die unterdrückten Bauern des Landes zu missionieren, wird blutig unterdrückt. In dieser Situation erreicht eine Nachricht die beiden Jesuiten Sebastião Rodrigues (Andrew Garfield, Under the Silver Lake) und Francisco Garupe (Adam Driver, The Man Who Killed Don Quixote). Angeblich sei ihr Lehrmeister Cristóvão Ferreira (Liam Neeson, Hard Powder) bei seiner Misssionsarbeit in Japan vom Glauben abgefallen. Um das Seelenheil ihres Mentors besorgt und von ihrer heiligen Mission überzeugt, reisen beide nach Macao. Von dort setzen sie in das für Europäer größtenteils unbekannte Japan über. Schon kurz nach ihrer Ankunft finden sie Aufnahme unter einigen christlichen Bauern, die aus Angst vor Verfolgung ihren Glauben im Verborgenen praktizieren. Rodrigues und Garupe gehen nun zunächst voller Begeisterung ihrer Missionsarbeit nach, da sie die Glaubensstärke der japanischen Christen fasziniert. Doch bald schlägt der Repressionsapparat der feudalistischen Diktatur gnadenlos zu. Allerdings ist den Missionaren wider Erwarten kein edles Martyrium vergönnt. Denn der mit der Verfolgung der Christen beauftragte japanische Inquisitor Inoue Masashige (Issei Ogata, Die Sonne) will die Jesuitenpater dazu bringen, ihrem Glauben abzuschwören, indem er nicht die Missionare, sondern die Mitglieder ihrer Gemeinde foltern lässt. Mit diesem Grauen konfrontiert, beginnt Rodrigues an seinem Glauben zu zweifeln.

Der Dialog als Duell

Originaltitel Silence
Jahr 2016
Land USA
Genre Drama, Historie
Regisseur Martin Scorsese
Cast Sebastião Rodrigues: Andrew Garfield
Francisco Garupe: Adam Driver
Cristóvão Ferreira: Liam Neeson
Kichijiro: Yôsuke Kubozuka
Ichizo: Yoshi Oida
Inoue Masashige: Issey Ogata
Dolmetscher: Tadanobu Asano
Alessandro Valignano: Ciarán Hinds
Laufzeit 159 Minuten
FSK

Historisch hätte es sich zwar angeboten, die kriegerischen Aspekte des Religionskonfliktes in die Handlung zu integrieren, doch wurde darauf vollständig verzichtet. Kampfhandlungen oder sonstige Actionszenen gibt es nicht zu sehen. Erfreulicherweise ist Scorsese aber kein Regisseur, der sein Publikum langweilt, sobald er einen Kunstfilm dreht. Denn Konflikte und Auseinandersetzungen existieren in Silence zu Genüge. Nur werden diese mit Worten und nicht mit Waffen ausgetragen, auch wenn Folter und drastische Gewaltdarstellungen stets präsent sind. In diesen duellartigen Wortgefechten verhandelt Scorsese die verschiedensten philosophischen Fragen.

Universalismus versus Selbstbestimmung

Dabei sind die gestellten Fragen nicht nur von theologischer Natur und teilweise sogar von brennender Aktualität. So diskutiert Rodrigues mit Inoue über die Frage, ob das Christentum für Japan geeignet sei. Inoue argumentiert ganz nativistisch, dass das Christentum in Spanien und Portugal funktionieren möge, Japan aber nur Unheil bringe. Rodrigues vertritt hingegen die Position, dass das Christentum eine fundamentale Wahrheit sei, die eben überall gelte. Dies erinnert an aktuelle Kontroversen über die universelle Anwendbarkeit der Menschenrechte und deren Zurückweisung mit Verweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Dieser Vergleich drängt sich regelrecht auf, da im feudalen Japan die Bauern gewissermaßen rechtslos und der Willkür der Samurai und Fürsten schutzlos ausgeliefert waren. Das Christentum forderte diese feudalen Machtstrukturen radikal heraus, indem es propagiert, dass jeder Mensch ein Geschöpf Gottes und jedes Leben wertvoll sei. Geht es den Samurai also wirklich um das Wohl Japans, oder nur um den Erhalt ihrer eigenen privilegierten Position? Doch auch die Jesuiten müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, im Interesse der europäischen Kolonialmächte zu handeln. Es zeigt sich somit gleichermaßen das emanzipatorische als auch das imperialistische Potenzial dieser Ideen.

Gott schweigt

Doch den zentralen Konflikt trägt Rodrigues mit sich selbst aus. Denn je mehr seine Gemeinde für ihn leidet, desto mehr zweifelt er selbst an seinem Glauben. Nicht nur, dass Gott dieses Leid zulässt, er bleibt dabei völlig stumm. Kein Zeichen, kein Wunder, keine Vision bestätigt die Jesuiten in der Richtigkeit ihrer Überzeugung. Langsam keimt in den geschundenen Geistlichen der Gedanke, dass sie ihr Leben lang einem Irrtum gefolgt sind. Denn wie ließe sich sonst dieses biblische Leid ohne biblische Intervention Gottes erklären? Fühlte sich nicht selbst Jesus am Kreuz schließlich von Gott verlassen? Die Jesuiten versuchen dennoch mit aller Kraft zu glauben. Eine weitere Herausforderung stellt die Lehre des Buddhismus dar, welcher durch die Meditation das göttliche Erfahrbar macht. Diese mystischen Elemente fehlen dem Katholizismus, der sich gänzlich auf seine dogmatischen Lehren stützt. Doch was, wenn diese falsch sind? So argumentiert im Film ein japanischer Dolmetscher, dass der feste Glaube der Missionare nur Sturheit sei, die ihnen den Blick auf die wahre Erkenntnis versperre.

Ambivalenz

Scorseses Film ist deshalb so packend, weil er sich bei all diesen Fragen lange auf keine Position festlegt. Das Drehbuch legt Jesuiten und Samurai gleichermaßen kluge Worte in den Mund. Beide Seiten werden ernst genommen, keine Weltanschauung dämonisiert. So bleibt es beim Zuschauer, sich eine Meinung zu bilden, und entsprechend gebannt achtet man in den Streitgesprächen auf jedes Wort. Nur wenige Filmemacher haben diese Fähigkeit, die Aufmerksamkeit des Zuschauers und die ganze Spannung des Films auf solch komplexe Dialoge zu konzentrieren. Erst am Schluss löst Scorsese diese Ambivalenz ein Stückweit auf, hin zu einem behutsamen Glaubensbekenntnis. Überzeugte Christen werden dafür dankbar sein, doch verliert der Film dadurch ein Stück seines Reizes.

Perfekte Illusion

Schon oft wurde die japanische Geschichte im amerikanischen Film dargestellt, meist zum Leidwesen vieler Japan-Enthusiasten. So hat Hollywood für einen kleinen Skandal gesorgt, als für den Film Die Geisha japanische Rollen mit chinesischen Schauspielern besetzt wurden. Und The Last Samurai wurde immer wieder kritisiert für seine inakkuraten Kostüme und die fehlerhafte Darstellung japanischer Geschichte. Für all das leistet Silence nun Wiedergutmachung. Denn Kostüm, Make-up und Kulissen orientieren sich nicht an einer romantisierten westlichen Vorstellung eines stets spirituellen und harmonischen Japans. Stattdessen wurden vermutlich japanische Filme oder historische Erkenntnisse als Vorlage herangezogen. Von den verwahrlosten Bauern bis zur edlen Kleidung der Samurai spiegelt die Ausstattung die Schönheit, aber eben auch das Elend der Edo-Zeit wieder. Selbst auf Details wie die rasierten Halbglatzen (Chonmage) der Samurai, korrektes Schuhwerk und authentische Kopfbedeckungen wurde geachtet. Und das großartige Set-Design täuscht erfolgreich darüber hinweg, dass nicht in Japan sondern auf Taiwan gedreht wurde. Hinzu kommt das überzeugende Spiel des japanischen Casts, welches sich an den Konventionen japanischer Produktionen orientiert. Durch all dies hat man immer wieder den Eindruck, keinen amerikanischen, sondern einen japanischen Film zu sehen.

Auf den Spuren Kurosawas

All dies wurde von Martin Scorsese meisterhaft mit der Kamera eingefangen. Der Regisseur verzichtete dabei auf seinen gewohnten dynamischen Stil. So wurden Kamerafahrten nur äußerst sparsam eingesetzt, um beispielsweise wie ein Reisender in das Getümmel Macaos einzutauchen. Doch meist verfolgt die Kamera das Geschehen bewegungslos aus einer gewissen Distanz. Dadurch entstehen sorgsam komponierte Bilder, in welchen den Figuren Raum gegeben wird, um darin zu interagieren. Viele Einstellungen werden dabei relativ lange gehalten, um die jeweilige Atmosphäre wirken zu lassen. Dabei zelebriert Scorsese niemals den Stillstand. Denn seine Bildsprache ist zwar ruhig, doch in den Aufnahmen ist stets Bewegung. Nicht nur durch das Handeln der Figuren, sondern auch durch die Witterung. Regen, Wind, Nebel, Dämpfe und Gischt bringen zusätzliches Leben in viele Szenen. Stilistisch erinnert Silence dadurch stark an die Werke des japanischen Großmeisters Akira Kurosawa. Eine Anleihe am japanischen Kino der 70er Jahre sind die extremen Nahaufnahmen, die aus den vielen Totalen herausstechen. Kleine Berührungen und Gesten aber vor allem winzige Symbole des Glaubens werden so in ihrer gewaltigen Bedeutung spürbar.

Fazit

Wie Gott im Film, schweigt der Abspann. Keine Musik steht am Ende des monumentalen Werks. Doch herrscht wirklich Stille? Nein, denn wir hören das Zirpen von Heuschrecken, das Rauschen der Brandung. Hier zeigt sich erneut die Ambivalenz, welche den ganzen Film auszeichnet und Silence zu einem spannenden Stück Philosophie-Kino macht, egal ob man nun an Gott glaubt oder eben nicht. Hinzu kommen eine elegante Bildsprache, wie sie nur den ganz großen Meistern gelingt und eine einmalige Darstellung der japanischen Geschichte im Hollywood-Kino. Während andere Regisseure irgendwann ihren Zenit überschreiten, wird Martin Scorsese immer besser.

© Concorde Video

Timo Beyer

Mit Timo Beyer haben wir einen waschechten Historiker in unserer Redaktion, der sich nicht nur mit großer Begeisterung auf jeden Historienfilm stürzt, sondern auch für das klassische Hollywood-Kino brennt. Sein Lieblingsgenre sind Western verschiedenster Couleur, von John Wayne bis Clint Eastwood. Seine Film- und Buchsammlung platzt aus allen Nähten, weshalb er immer auf der Suche nach neuem Stauraum ist.

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