Midnight
Vermutlich hat jeder schon einmal Momente erlebt, bei dem ihm während der Durchquerung einer dunklen Seitengasse mulmig zumute war. Wenn auch unwahrscheinlich, so könnte ja doch ein Verrückter aus dem Schutz der Dunkelheit springen. Genau so eine Schreckensgestalt treibt im südkoreanischen Thriller Midnight in Form des psychopathischen Serienkillers Do-sik ihr Unwesen. Doch als er sich die gehörlose Kyung-mi und ihre Mutter zum Ziel macht, ahnt er nicht, dass sich das Duo gar nicht ohne Weiteres ausschalten lässt. Das Filmdebüt von Regisseur Kwon Oh-seung erschien im Juni 2021 in Südkorea, die Deutschland-Veröffentlichung auf Disc feiert das düstere Katz-und-Maus-Spiel am 28. April 2022.
Do-sik (Wi Ha-joon, Squid Game) ist ein gewissenloser Serienkiller, wie er im Buche steht. Nachts fährt er in einem schwarzen Van umher und sucht sich seine zufälligen Opfer aus. Eines Tages fällt seine Wahl auf die junge So Jung-eun (Kim Hye-yoon, Memoirs of a Murderer), die entgegen dem Rat ihres Bruders Jong-tak (Park Hoon, Naked Fireman) noch spät abends durch die Straßen streift. Do-sik fällt sie mit einem Messer an und lässt sie in einer Gasse liegen. Doch dann kommt die gehörlose Kyung-mi (Jin Ki-joo, Come and Hug Me) vorbei und reagiert auf das leise Wispern nach Hilfe der verletzten jungen Frau – ihr vermeintliches Todesurteil. Denn nun macht Do-sik Jagd auf Kyung-mi, die noch dazu gerade mit ihrer ebenfalls gehörlosen Mutter (Gil Hae-yeon, The First Lap) unterwegs war. Doch wenn er denkt, die beiden wären durch ihr Handicap leichte Beute, dann hat er sich gehörig geirrt!
Seelenloser Killer auf Beutezug
Originaltitel | Midnight |
Jahr | 2021 |
Land | Südkorea |
Genre | Thriller |
Regie | Kwon Oh-seung |
Cast | Kyung-mi: Jin Ki-joo Do-sik: Wi Ha-joon So Jung-eun: Kim Hye-yoon Jong-tak: Park Hoon Kyung-mis Mutter: Gil Hae-yeon |
Laufzeit | 103 Minuten |
FSK | |
Veröffentlichung: 28. April 2022 |
Das blutige “Hobby” von Do-sik ist das, was die ersten Minuten von Midnight in einer erschreckenden Abgeklärtheit zeigen. Er lockt unschuldige Passanten nachts zu sich und tötet sie grausam, danach landen die Leichen einfach in irgendeiner Ecke. Besonders perfide: Do-sik ruft selbst die Polizei und gibt an, er habe die toten Körper gefunden. Denn er ist ein fantastischer Schauspieler und Verkleidungskünstler, sein Schönlingsgesicht ist auch von Vorteil. Dabei ist er ohne Frage ein Psychopath: Er empfindet keinerlei Reue und über seinen familiären Hintergrund erfahren Zuschauer*innen ebenfalls nicht wirklich etwas. Er ist einfach nur ein gefühlloser Mörder, was es leicht macht, ihn als das pure Böse zu sehen. Ganz besonders natürlich im Kontrast zu einem lebensfrohen Mutter-Tochter-Duo oder einer jungen Frau, die sich einfach einen netten Abend fernab der Kontrolle ihres Bruders gewünscht hat. Die Inszenierung von Do-sik als gestörtem Serienmörder, der aber erschreckend charmante Masken zum bösen Spiel machen kann, ist sehr gelungen. Es ist leicht, einen regelrechten Hass auf ihn zu entwickeln, gerade in den Momenten, in denen er noch dazu seine Opfer und deren Angehörige verhöhnt.
Mutige Protagonistin, die aber kein Übermensch ist
Kyung-mi ist als Protagonistin eine sehr spannende Wahl, denn gehörlose Hauptfiguren erlebt man nicht oft. Durch ihre freundliche, liebenswürdige Ausstrahlung ist sie dabei sofort ein passender Kontrast zum grausam-kalkulierenden Do-sik, den Zuschauer*innen kurz zuvor gesehen haben. Es stellt sich sofort die Frage, wie jemand wie sie später eine Chance gegen den erbarmungslosen Serienkiller haben soll. Aber Kyung-mi ist auch sehr schlagfertig. So lässt sie sich von einer unfreundlichen Kundin nicht respektlos behandeln. Geht es dann ans Eingemachte mit Don-sik, präsentiert sich Kyung-mi als ausgesprochen raffiniert, intelligent und vor allem mutig. Allerdings begeht Drehbuchautor und Regisseur Kwon Oh-seung hierbei nicht den Fehler, seine Protagonistin als furchtlosen Übermenschen fernab jeglicher Authentizität darzustellen. Im Gegenteil, Kyung-mi empfindet natürlich Angst um sich selbst und auch ihre Mutter, um Do-sik immer wieder zu entkommen, benötigt sie auch eine gehörige Portion Glück. Schade ist jedoch, dass Kyung-mi in anderen Momenten dann aber geradezu lächerlich naiv ist, etwa wenn sich Do-sik (den sie zuvor nur mit Kappe und Gesichtsmaske sah) als Fremder ausgibt und sie ihm einfach so einen Polizeibericht zeigt, auf dem auch ihre Heimatadresse steht. Naivität als Schwäche ist kein Kritikpunkt, lässt die Handlung aber an einigen Stellen schlicht unrealistisch wirken. Wer gerade so einem verrückten Mörder entkommen ist, wird wohl kaum wenige Minuten später einem völlig fremden Mann vertrauen. Auch die Polizei stellt sich in einigen Situationen sehr blöd an, was dramaturgisch auch nötig ist, damit der Film nicht frühzeitig zum Ende kommt, gleichzeitig aber auch irritiert.
Nervenaufreibendes Katz-und-Maus-Spiel
Ist der Anfang von Midnight noch etwas träge und das Versteckspiel von Do-sik zwar spannend, aber recht ereignislos, geht es insbesondere im letzten Drittel des Thrillers nervenaufreibend zu. Kyung-mi schlittert in immer ausweglosere Situationen, in denen Do-sik sie beinahe tötet. Allerdings macht auch Jong-tak Jagd auf Don-sik, um zu erfahren, wohin dieser seine Schwester verschleppt hat und so womöglich noch ihr Leben zu retten. Kyung-mi verbringt innerhalb des Films viel – aber nicht die meiste – Zeit damit, um ihr Leben zu laufen, sodass spannende Hetzjagden an der Tagesordnung stehen. Diese sind sehr mitreißend inszeniert und die Angst von Kyung-mi ist spürbar, sodass es zu wahren Gänsehautmomenten kommt. Besonders tückisch ist, dass Kyung-mi und ihre Mutter oft kurz davor stehen, Do-sik der Polizei zu übergeben oder schlicht zu entkommen. Nur können sie weder mit den Passanten noch mit der Polizei kommunizieren, da diese keine Gebärdensprache verstehen. Als Zuschauer*in macht es wütend, wie Do-sik mit seinen Verbrechen immer weiter durchkommt und dabei noch ein Lächeln oder eine Unschuldsmine aufsetzt. Durch diesen Aspekt zeigt der Film jedoch eine kritische Perspektive, etwa wenn Kyung-mis verzweifelte Hilfegesuche verärgert abgelehnt werden, nur weil man sie nicht versteht. Dadurch fühlt sich Midnight erschreckend real an und fast wie ein kleines Plädoyer im Bezug auf Inklusion in der Gesellschaft. Ein Moment im Finale wirkt allerdings, als habe man künstlich – und erfolglos – auf die Tränendrüse drücken wollen, um dem Film noch eine gewisse Emotionalität zu verleihen.
Gehörlosigkeit deutlich interpretiert
Besonders gelungen sind die Szenen, die Kyung-mis Gehörlosigkeit illustrieren sollen. Denn einige davon erleben Zuschauer*innen quasi aus der Perspektive der jungen Frau, also mit sprechenden Menschen und Geräuschkulissen, von denen jedoch kein Ton zu hören ist. Der Einsatz hektischer Kamerafahrten und flackernder Lichter trägt zur Atmosphäre bei, ebenso wie einige Bildkompositionen, die in roter Beleuchtung gehalten sind und somit eine einschüchternde Wirkung erzeugen. Schauspielerisch weiß der Thriller ohnehin zu überzeugen, denn im Cast befinden sich fast ausschließlich südkoreanische Schauspielerinnen und Schauspieler, die bereits mit zahlreichen Filmen und Serien Erfahrung sammeln konnten. Hauptdarstellerin Jin Ki-joo stellt Kyung-mi authentisch dar (insbesondere dadurch, dass Jin Ki-joo im Gegensatz zu ihrem Charakter nicht hörgeschädigt ist, keine leichte Aufgabe) und in angespannten Szenen steht ihr die Angst förmlich ins Gesicht geschrieben. Wi Ha-joon, der mit dem wandelbaren Do-sik eine besonders tragende Rolle spielt, legt ebenfalls eine sehr gute Performance hin. Man nimmt ihm den verrückten Killer, der aber gleichzeitig weiß, wie er sein Umfeld manipuliert, absolut ab. Auch der Rest des Casts macht einen sehr guten Job und trägt dazu bei, dass die Handlung so fesselnd wirken kann.
Fazit
Midnight ist ein klassischer Thriller, der zwar hier und da an kleinen Logiklücken leidet (bei denen man ein Auge zudrücken sollte), aber mit einer nervenaufreibenden Hetzjagd überzeugen kann. Insbesondere Protagonistin Kyung-mi ist ein Highlight und man wird von ihrem Überlebenskampf mitgerissen, gerade wenn sie sich von einer ausweglosen Situation direkt in der nächsten Zwickmühle wiederfindet. Die Momente, in denen sie kurz davor steht, Do-sik endlich auffliegen zu lassen, gehen unter die Haut und regen sogar unerwartet zum Nachdenken an. Die schauspielerische Glanzleistung erledigt dann ihr Übriges, um aus Midnight ein spannendes und aufwühlendes Erlebnis zu machen. Persönlich habe ich den Film jedenfalls sehr gebannt verfolgt und mitgefiebert, wie die Handlung wohl am Ende aufgelöst wird. Für Thriller-Fans ein Muss!
© Busch Media Group
Veröffentlichung: 28. April 2022
Erst einmal muss man sagen, dass Midnight ziemlich liebenswerte und sympathische Charaktere besitzt (mal abgesehen vom Killer). Damit hat der Film anderen Filmen eines voraus: Man kann mitfiebern und -fühlen. Das ist die vermutlich größte Stärke, denn während einem die Figuren anderswo völlig egal sind, ist das hier eben nicht so. Ganz ohne Mitleidsbonus für die Handicaps.
Dann wird es aber zunehmend schwieriger: Die unkoordinierte Rennerei durch die nächtliche Stadt hält wohl keinem Logiktest Stand. Wie kann es funktionieren, dass wir zu 70% leere Straßen und Polizeireviere sehen, aber das Zentrum dann brechend voll ist? Warum sind die Menschen alle auf einem Fleck? Das Drehbuch macht es sich hier wirklich einfach und selbst belebte Orte sind ziemlich tot, weil die anwesenden Menschen schlicht unfähig sind und lieber schreien anstatt sich menschlich zu verhalten. Ganz zu schweigen von der Polizeistation. Es ist einfach ärgerlich, wie dem Killer nahezu alles in die Karten spielt und das nur, weil die Logik regelmäßig im Stich gelassen wird. Ganz zu schweigen davon, wie oft sich die Figuren über den Weg rennen. Und das in so einer riesigen Stadt! Unglaublich.
Midnight ist leider völlige Durchschnittsware, die vielleicht spannend geraten ist, sich dann aber in einer Dauerschleife totläuft.