Brügge sehen… und sterben?

“Brügge ist ein Scheißkaff!” Martin McDonagh hat mit seinem Erstfilm Shooter vorgelegt und dafür direkt einen Oscar für den besten Kurzfilm erhalten. Für seinen ersten Langfilm Brügge sehen… und sterben? hätte er kaum einen unkonventionelleren Drehort finden können als die historisch geprägte Stadt Brügge in Belgien. Schließlich gibt es zuhauf Filme über Auftragskiller, aber keinen, der sich bislang in einer solchen Form mit den Begebenheiten eines Ortes befasst. Kein Blockbuster, sondern ein künstlerisch angehauchter Film, der sich eher mit einer unaufgeregt erzählten Independent-Produktion vergleichen lässt. Doch der bitterböse Zynismus ist einzigartig.

 

Die beiden irischen Killer Ray (Colin Farrell, Dumbo) und Ken (Brendan Gleeson, Troja) tauchen auf Geheiß ihres Bosses Harry (Ralph Fiennes, Der Vorleser) in Belgien unter. Genauer gesagt: Mitten in der Vorweihnachtszeit im verschlafenen Städtchen Brügge, wo sie auf weitere Anweisungen sorgen sollen. Ray findet Brügge auf Anhieb furchtbar, während Ken die touristischen Vorzüge zu schätzen weiß. Gott sei Dank trifft Ray die Einheimische Chloe (Clémence Poésy, Gossip Girl), die er bereits in einer anderen Stadt kennengelernt hat. Das Blatt wendet sich, als Ken via Telefon die wahren Gründe des Aufenthalts erfährt: Er soll Ray in Brügge aus dem Weg räumen …

Ausgerechnet Brügge

Originaltitel In Bruges
Jahr 2008
Land Großbrittanien
Genre Drama, Komödie
Regie Martin McDonagh
Cast Ray: Colin Farrell
Ken: Brendan Gleeson
Harry: Ralph Fiennes
Chloe: Clémence Poésy
Yuri: Eric Godon
Denise: Anna Madeley
Laufzeit 107 Minuten
FSK

Für historisch wenig Interessierte stellt sich mehr als nur einmal die Frage, weshalb die Erzählung ausgerechnet in Brügge stattfindet. Brügge bietet das gewisse Etwas: Tradition und Beschaulichkeit. Der historische Stadtkern wird mit seinen Bauwerken, seinen Grachten und Schwänen in touristischer Pracht vorgeführt. Das Städtchen dient als Venedig-Ersatz mit eigener Kultur und die Kanäle werden immer wieder eingesetzt, um das Treiben der Handlung zu verstärken. Da kommt richtig Schwung in eine Stadt, in der gefühlter Stillstand herrscht. Ken und Ray verkörpern dabei auch die beiden Tourismus-Typen schlechthin: Während der eine das kulturelle Flair genießt, gibt der andere den Kulturbanausen. Es ist für die Zuschauer relativ einfach, mit einem der beiden zu sympathisieren. Der dänische Kameramann Eigil Bryld verleiht der Stadt stellenweise sogar etwas Surrealistisches. Ist der Film nun gute Werbung für das belgische Städtchen? Ja und nein.

Zeit für Charakterstudie

Brügge sehen… und sterben? ist auf den ersten Blick ein umwerfend komisch erzählter Film mit bissigen Dialogen. Bei näherer Betrachtung offenbart sich aber auch die Traurigkeit unter der Oberfläche. Verkörpert wird diese von Colin Farrell, dessen Figur Ray ein hochdepressiver Mann ist, dessen Gefühlsregungen von den bedächtigen Kameraeinstellungen und dem tristen Stadtbild begleitet werden. Ein Kontrast zu dem Mustertouristen Ken, den die Euphorie packt und der bald mit einem Stadtführer bewaffnet ist, um das Beste aus dem Aufenthalt herauszuholen. Auch wenn eigentlich nichts passiert, füllen die Dialoge der beiden den Film mit viel Leben. Auch, wenn es  mal nur um Anschauungen geht. Die erste halbe Stunde nimmt sich beinahe nur dafür Zeit. Colin Farrell füllt mit Bravour seine differenziert angelegte Rolle aus, die von einem pessimistischen Weltbild geprägt ist. Brendan Gleeson ist in seiner Paraderolle als sympathischer Bösewicht zu sehen, der selbst mit Pistole in der Hand noch immer sehr liebenswert wirkt. Ralph Fiennes als aufbrausender Harry sorgt für unangenehme Gefühle, vor allem, wenn man ihn am anderen Ende der Telefonleitung hat.

Eigenständiger Facettenreichtum ohne Vergleichszwang

Bereits zum Kinostart von Brügge sehen… und sterben? 2008 überschlugen sich die Kritiken. Die einen sahen in McDonaghs Film ein Fortführen der Tradition von Guy Ritchies Filmografie, die anderen witterten in den Dialogen den nächsten Quentin Tarantino. Vergleiche, die gut gemeint sind, die McDonagh aber zumindest für diesen Film gar nicht nötig hat, weil er einen eigenen Fußabdruck hinterlässt. Das erfolgt in aller Regel mit den pointierten Spitzen: Ami-Bashing, aber auch Hiebe gegen Belgien, das nur für Schokolade und Kinderschänder bekannt ist. Bei aller politischer Inkorrektheit bleibt kaum etwas sicher. Wenn die Handlung dann mal losgeht, nimmt der Titel ordentlich Fahrt auf und eröffnet mehrere kleine Baustellen. Zum Ende hin werden die teilweise übertriebenen roten Fäden der Geschichte wieder zusammengeführt. Das geschieht auf dem Großen Markt, wo sich die Dramaturgie zuspitzt. Nur die noch eben eingebrachte Lovestory wirkt überflüssig und erweckt den Anschein, nur deswegen zu existieren, um Ray eine Aufgabe zu geben.

Fazit

Um mit Brügge sehen… und sterben? warm zu werden, bedarf es einer ordentlichen Portion Zynismus. Dann bekommt man aber eine der besten Gaunerkomödien der 2000er und on top eine melancholische Gangsterballade. Je nach eigener Präferenz wird man jeweils die Seite des Films schätzen, die einem näher liegt. Gangster und Attentäter müssen eben nicht immer in Anzug und mit Coolness ausgestattet sein, sondern können auch mitten im Leben stehen, mit allem, was dazugehört. Die vielschichtigen Figuren bilden das Herzstück, für das man diesen Titel einfach lieben muss.

© LEONINE


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Ayres

Ayres ist ein richtiger Horror- & Mystery-Junkie, liebt gute Point’n’Click-Adventures und ist Fighting Games nie abgeneigt. Besonders spannend findet er Psychologie, deshalb werden in seinem Wohnzimmer regelmäßig "Die Werwölfe von Düsterwald"-Abende veranstaltet. Sein teuerstes Hobby ist das Sammeln von Steelbooks. In seinem Besitz befinden sich mehr als 100 Blu-Ray Steelbooks aus aller Welt.

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Aki
Aki
Redakteur
23. Juni 2020 21:19

Es gibt nur sehr wenige Filme, die ich in meinem Leben abgebrochen habe, weil ich einfach nicht weiterschauen wollte. Normal hasse ich es ja, weil die eine oder andere Geschichte schlicht etwas braucht. Aber Brügge sehen… und sterben? hat mich so sehr gelangweilt und genervt, dass ich nach 30 Minuten beschlossen habe, es aufzugeben ^^’ Es ging einfach nicht, ich bin Null reingekommen in den Erzählfluss und die Figuren haben mich in den Wahnsinn getrieben. Absolut nicht mein Film.