Southern-Reach-Trilogie (Band 3): Akzeptanz

Mit Akzeptanz schließt Jeff VanderMeer den finsteren Kreis seiner Southern Reach-Trilogie. Der Leser will Antworten, der Leser kriegt Antworten (zum Großteil). Aber auch wenn alles gesagt ist, was es zu sagen gibt, bleibt das große Geheimnis bestehen. Area X hat letztendlich noch genau dieselbe verstörende unbegreifliche Aura wie zu Beginn dieser langen Reise, als wir in Auslöschung die unsichtbare Grenze wie unbedarfte Backfische übertreten haben. Area X hat nichts von seinen potentiellen Möglichkeiten verloren – und eigentlich kann man sich kein besseres Finale vorstellen.

Seit ein mysteriöses Ereignis vor mehr als 30 Jahren das Gebiet erschütterte, ist Area X von einer unsichtbaren Grenze umgeben. Niemand weiß genau, was dahinter geschieht, aber es gibt Gerüchte von einer sich verändernden und die Reste der menschlichen Zivilisation überwuchernden Natur. Zuständig für das Gebiet ist eine geheime Regierungsorganisation, die sich Southern Reach nennt und den Auftrag hat, herauszufinden, was hinter der Grenze geschieht. Nachdem in Band 2 Autorität mit der Ausdehnung der Grenze der Worst Case eingetreten ist, befindet sich Control auf der Flucht – eine Flucht, die ihn gemeinsam mit Ghostbird direkt ins Herz von Area X gebracht hat. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach der verschollenen Biologin aus der zwölften Expedition und werden mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Unterdessen nimmt die Bedrohung von Area X für die Außenwelt immer größere Ausmaße an, denn die Grenze ist auf dem Vormarsch.

Aus 1 wird 1 wird 5

Originaltitel Acceptance
Ursprungsland USA
Jahr 2014
Typ Roman
Band 3 / 3
Genre Science-Fiction, New Weird, Biopunk
Autor Jeff VanderMeer
Verlag Kunstmann (kartoniert), Droemer Knaur (Taschenbuch)

Band 1 Auslöschung ist das Expeditionstagebuch der Biologin. Band 2 Autorität widmet sich ganz und gar Control und seinem Versuch, die Southern Reach-Behörde zu retten. Der Abschlussband Akzeptanz erweitert nun den Fokus auf alle Persönlichkeiten, die irgendwie von Belang sind, und versucht, die drängenden Fragen zu deren Schicksalen zu beantworten: die Biologin, Ghostbird, Control, die Direktorin und … der Leuchtturmwärter. Wer hätte das gedacht? Nach dieser ganzen, unendlich langsamen Einführung seiner Figur, die lediglich über ein vergilbtes Foto stattfindet und über die Spekulationen, die andere darüber anstellen – Spekulationen, die ihn nur noch mehr mystifizieren – lernen wir nun endlich Saul Evans kennen, den Leuchtturmwärter.

Saul und die Direktorin – Blick ins Damals

Logischerweise deckt Akzeptanz mit seinem Cast eine sehr breite Zeitspanne ab. Der Plot um den 50-jährigen Saul Evans führt uns in die Prä-Area X-Zeit. Wir erleben seinen Alltag als Leuchtturmwärter, seine langsam sprießende Freundschaft zu dem Mädchen Gloria, seine Liebe zu dem Fischer Charlie, wie er sich mit den pseudowissenschaftlichen Spinnern der S&SB-Brigade herumschlägt, und all die anderen traurigen Dinge, die dazu führen, dass sich die Grenze um Area X senkt. Der Plot der Direktorin deckt die Zeit bis zur 12. Expedition ab und gibt Einblicke in Southern Reach und Central, in das wahre Wesen von Lowry (kranke Type), in ihre geheime Verbindung zu Area X und den Plan, den die Direktorin die ganze Zeit über gehabt hatte – oder auch nicht. Denn sie wirkt (genau wie später ihr Nachfolger Control) wie die Kapitänin eines Schiffes, von dem sie nicht weiß, wo das Steuerruder steht. Der Part der Direktorin ist literarisch am anspruchsvollsten geraten, da er in der 2. Person steht.

Ghostbird und Control – Blick ins Jetzt

Die Storylines von Control und Ghostbird spielen in der Gegenwart und sind die direkte Fortführung der Hauptgeschichte. Control wird zur Karikatur seines eigenen Namens, indem er nämlich komplett die Kontrolle verliert. Es ist interessant, wenn man mal versucht zu ergründen, wie lange Control möglicherweise schon von außen manipuliert wurde (Tipp: Achtet auf Mary Phillips). Er klammert sich an Ghostbird und ist unfähig zu verstehen, was in Area X vorgeht. Deswegen ist die Rolle, die er im Finale einnehmen wird, dann doch eine unerwartete. Ghostbird dagegen befindet sich auf einem Selbstfindungstrip uns ist auf der Suche nach der Biologin. Obwohl sie irgendwie unnahbar und nüchtern über dem Ganzen zu stehen scheint, da sie ein Produkt von Area X ist, entwickelt sie eine unschuldige Zuneigung für den armen Control. Völlig aus dem zeitlichen Rahmen fällt dagegen das kurz eingeschobene Intermezzo mit dem Tagebuch der Biologin. Glaubt man ihren Ausführungen, dann sind bereits 30 Jahre seit den Vorkommnissen von Auslöschung ins Land gegangen.

Wut, Zermürbung, Nachgeben

VanderMeer schafft es, in seiner Trilogie drei Grundstimmungen zu erzeugen, die zwar alle überall anzutreffen sind, in manchen Bänden aber in konzentrierter Form. Auslöschungs primäre Stimmung ist die Wut des Verstehens; hier wird alles trotzig aufgenommen und in Bezug zueinander gesetzt und man ist guter Dinge, dass am Ende ein schönes Puzzle dabei herauskommt. Bei Autorität steht die Vergeblichkeit des eigenen Handelns im Vordergrund und die quälende Zermürbung des eigenen Geistes. Akzeptanz schließt die Trilogie ab mit dem Verlust des Glaubens an Gewissheiten (man wird quasi meschugge) und dem fatalistischen Nachgeben – Nachgeben, nicht Aufgeben. Diese Unterscheidung ist wichtig (das ist für dich, Saul!). Der Abschluss der Trilogie beschreibt quasi den Abgang aller genannten Hauptfiguren (wer überlebt und ob überhaupt wer stirbt, das bleibt an dieser Stelle mal ungesagt), das macht die Lektüre so melancholisch.

Ein guter Abschluss?

Die Southern Reach-Trilogie wurde innerhalb eines Jahres veröffentlicht. Heißt also, dass VanderMeer sehr wahrscheinlich das komplette Produkt vor sich hatte, bevor er es auf den Markt warf. Und man merkt es, trotz all dieser (natürlich beabsichtigten) Ambiguitäten und Rätsel. All die kleinen Details, die in den ersten Bänden angeschnitten werden, werden in Akzeptanz noch einmal aufgegriffen. Wer ist das stöhnende Wesen aus den Marschlanden? Was bedeutet das „F.M.“ auf der versteckten Wand im Büro der Direktorin? Warum wurde bei den Expeditionen Technik verboten? Wieso hat Whitby den Direktor Control als Hasen gemalt? Man kann das Was in aller Länge und Breite erkennen. Das Warum dazu zu finden ist schwieriger, aber nicht unmöglich. Die meisten Dynamiken zwischen den Figuren und Institutionen werden geklärt (Lowry vs. Jackie, Central vs. S&SB-Brigade) und – man glaubt es nicht – auch die Entstehung von Area X wird geklärt, was ihr ursprünglicher Sinn war und was zu ihrem Verhalten führt. Zwar nicht haargenau, aber doch genau genug, damit man zufrieden ist (das müssen auch die Nörgler fairerweise zugeben). Alles andere würde auch den Zauber nehmen, und das muss man eben akzeptieren. Jede Hauptfigur akzeptiert etwas: den eigenen Tod, das eigene Schicksal, die eigene Transformation, ja sogar Lowry muss akzeptieren, dass Area X ihn volle Kanne angeschmiert hat. Aber so ist das Ende und man muss schlicht „okay“ sagen. Oder poetischer ausgedrückt, ganz im Geiste des Buches: „Annehmen geht über Ablehnen hinaus … und vielleicht liegt auch gerade darin Auflehnung.“

Area X – ein Hyperobjekt

Area X, das große Mysterium. Um dieses Phänomen zu erklären, wird in den Büchern der Begriff des „Terroir“ herangezogen, eine Bezeichnung aus dem Agrarbereich, die den Einfluss von Standortfaktoren auf etwas beschreibt. „Terroir“ ist meines Erachtens zu begrenzt, da es nur einen Querschnitt der Einflussfaktoren umschreibt, nicht aber den Längsschnitt, der auch alles was chronologisch davor und danach geschieht mit einfließen lässt. Die Theorie des Hyperobjekts ist eine neue Form der Betrachtungsweise. Als Hyperobjekt werden alle Wirkungszusammenhänge zusammen gefasst, die auf einen spezifischen Output hinauslaufen. Der Theorienschöpfer Timothy Morton bezeichnet z.B. die Erderwärmung als größtes Hyperobjekt unserer Zeit, so groß, dass wir die Entstehungsgründe für dieses Objekt nicht alle erfassen können (außer die üblichen Verdächtigen wie Industrialisierung, Anstieg der Population, fossile Brennstoffe etc.). Auch Area X kann man als ein solches Hyperobjekt bezeichnen. Control versucht, all die Faktoren für dieses Objekt herauszufinden, doch es ist ihm unmöglich, denn er hat keinen Überblick. Die exterrestrische Katastrophe in einer weit entfernten Galaxie, die Historie des Leuchtturms und des Leuchtfeuers, die Spinner der S&SB-Brigade, die Unfähigkeit der Behörden und schließlich Saul und sein bedauernswertes Pech, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein … Area X ist das Produkt vieler, vieler Zufälle.

Fazit

Vorne weg: Ich hab die Trilogie vor fünf Jahren das erste Mal gelesen, bin seitdem großer Fan und das hat sich mit dem Re-Read auch nicht verändert. Ich verstehe alles nun sogar noch ein bisschen besser. Hat das Alter doch sein Gutes, huh? VanderMeer füllt eine besondere Nische in der New Weird-Strömung aus. Nicht so abstrakt, dass man völlig verwirrt ist und nichts versteht. Aber auch nicht so konkret, dass es banal und alltäglich wird. Southern Reach ist genau die richtige Mischung. Die Trilogie beschreibt die Subjektivität der eigenen Existenz in einer Vielzahl von verfremdenden Szenarien. Könnte ich was kritisieren? Weiß nicht. Vermutlich das in der Kritik zu Band 2 bereits erwähnte „Rauschen“. Vielleicht muss man für das Mysterium und vor allem für die Figuren brennen, um am Ball zu bleiben. Sehr häufig scheint sich VanderMeer nämlich in seinen Gedankengängen zu verlieren, in den möglichen Interpretationen und den Spekulation seiner Figuren. Eindrücke werden mit Splittern aus der Vergangenheit und den äußeren Einflüssen von Area X verwoben, so dass die Texte selbst wie ein undurchsichtiges Geschwür werden. Aber ich find’s cool. Gewissermaßen ist die Vorstellungskraft von VanderMeer selbst ein Hyperobjekt, unerkennbar und unerklärlich. So wie die Ökologie unserer Welt. So wie Area X – zu groß, um es zu verstehen, zu durchdringen, zu umgehen, und zu hypnotisch, um Widerstand zu leisten. Absolut fesselnd und faszinierend.
Zum Schluss aber kann ich nur sagen: Ich kam zwar für das Mysterium, für dieses seltsame Area X-Geschwür … doch letztendlich bin ich für Saul geblieben. Und ich bin VanderMeer dankbar dafür, dass er diese großartige Trilogie mit einem Brief an Saul enden lässt.

Totman Gehend

Totman ist Musiker, zockt in der Freizeit bevorzugt Indie-Games, Taktik-Shooter oder ganz was anderes und sammelt schöne Bücher. Größtes Laster: Red Bull. Lieblingsplatz im Netz: der 24/7 Music-Stream von Cryo Chamber auf YouTube.

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Lyxa
Redakteur
11. März 2021 10:32

Hab es durch. Ich glaub, von allen drei Büchern gefällt mir das aber am wenigsten (trotzdem immer noch cool). Ich mein, ich habe ein paar Antworten erwartet, aber dann auch wieder nicht so viele und mit so einer Multiperspektivität. Das Irritierende für mich ist, dass ich die Passagen mit den Erklärungen dann teilweise doppelt und dreifach gelesen hab und ich dann immer noch so „Waaaa?“, weil es sehr abstrakt war und am Ende war das meiste klar und gleichzeitig nichts klar. Aber irgendwie ist das auch in Ordnung, da die Figuren auch nur ansatzweise Verstehen was los ist und versuchen das in unzureichende Worte zu fassen (ich hab Area X jetzt als assimilierenden, interdimensionalen Organismus verstanden oder will sie so verstehen, aber, na ja, „Waaaa?“). Stimmungstechnisch am coolsten fand ich dann letztlich wirklich die Passagen mit Saul, dieser creepy Brigade und dann die Szene in der Bar, wo alles vor die Hunde geht, einfach nur geil. Und was man VanderMeer auch lassen muss, dass die drei Bücher wirklich grundverschieden ausgefallen sind und das letzte das auch nochmal zur Schau stellt. War jetzt das erste Mal, dass ich was in der Du-Form gelesen habe, obwohl es für mich eigentlich nicht wirklich einen Unterschied zu den üblichen Formen macht.
 
Uff, wer war denn nochmal Mary Phillips? Die umgebrachte Frau von Controls fehlgeschlagenen Auftrag?

Lyxa
Redakteur
Antwort an  Totman Gehend
1. April 2021 13:53

*facepalm* Hab ich total überlesen. Ich dachte ja, dass ich in Band 2 vielleicht etwas zu viel in Control und seine Gehirnwäsche hineininterpretiert hätte, aber wenn er schon länger durch Lowry und die eigene Familie mit einem bestimmten Zweck manipuliert und konditioniert wird, ergibt das Ende und sein innerer Drang, dieses und jenes zu tun und auch seine stetige Selbstauflösung mehr Sinn (so eine Art lebende Waffe gegen Area X?).

Du fragst mich nach allem, was mir eigentlich zu abstrakt war 😛
Weiß nicht, Saul (oder seine Kopie), der ja, soweit ich das begriffen habe, dann zum Crawler wurde, hab ich irgendwie als so eine Art Medium oder Filter oder Leitung verstanden, durch den dieser ursprüngliche Area X-Lichtblumen-Samen kommuniziert und ausbreitend herauswächst. Area X kommuniziert etwas und bei Saul kommt diese Nachricht dann als Sermon raus und vielleicht auch Area X insgesamt und dadurch ist Area X am Ende dann auch irgendwie anders, da Control diese Leitung gekappt oder mit sich selbst ersetzt hat. Der Crawler wirkte auf mich immer wie eine Art Programmierer oder etwas, dass neu gescannte Sachen in Area X eingibt. Und warum ist es ein Turm und kein Tunnel? Türme führen nicht hinab sondern nach oben, in Richtung Himmel und Sternen. Also so ein instinktives Verstehen bei den Leuten, die den Turm betreten, in welche Richtung es eigentlich geht? Oder ist das einfach der Einfluss des Leuchtturmwärters, weil für ihn der Leuchtturm zentral war und sobald man den Turm betritt, unterscheidet sich ja auch die subjektive Wahrnehmung irgendwie … ugh, das Ding ist verwirrend.
Und die Grenze … beim Überqueren der Grenze(n) wird dann ja immer von ruinierten Städten berichtet und Control kommt irgendwie zum Schluss, dass diese und auch Area X auf einen anderen Planeten seien, dadurch auch die Zeitdiskrepanz kommt und was die Grenze nicht am Durchgang treffen würde, vielleicht dahingeschickt wird (?), aber irgendwie war das für mich nicht nachvollziehbar. (Ich war eigentlich davon ausgegangen, dass alles, was auf die Grenze trifft, quasi aufhört zu existieren.)
Weiß nicht, du hast ja die fehlgeschlagene Kommunikation zwischen Mensch und etwas Fremden mal angesprochen. Ich hab mir Area X immer als so eine Art Blase vorgestellt, rein von der Form her, und in der Funktion vielleicht auch als eine Art leere Sprechblase oder Kommunikationsraum. Wir kommunizieren über Zeichen (Schrift, Bilder, Laute etc.) denen wir eine Bedeutung geben. Würden wir in einer komplett neuen Umgebung ein komplett neues Inventar solcher Zeichen vor die Nase gesetzt bekommen, wäre es wahrscheinlich unser erster Instinkt, einige dieser Zeichen bestmöglich zu kopieren, in der Hoffnung, damit irgendwie kommunizieren zu können und die Bedeutung zu erkennen. Area X macht dasselbe, macht aber nicht bei Zeichen halt bzw. ist die ganze weltliche Komposition bis jenseits der genetischen und atomaren Ebene Zeichen und der erste Satz oder Schub an Zeichen war Saul in seiner Gesamtheit. Als hätten wir einen riesigen Zeichensalat und können nicht erkennen, dass er in genau dieser Form ein zusammenhängendes, lebendiges Wesen wäre. Area X stell ich mir dann als Kommunikationsraum vor, zwischen Erde und einem Woanders, der durch den Durchgang mit Input gefüttert werden kann (mehr Zeichen) und aus dem dann schließlich auch Output kommt, aber anscheinend um den Kommunikationsraum auszuweiten. Der Turm führt dann irgendwie zum Ausgangspunkt dieses Kommunikationsraums und wenn man die Grenze zwischen Erde und Kommunikationsraum passiert, sieht man wohl das Woanders. Aber ich habe nicht wirklich verstanden, wo dieser Kommunikationsraum genau liegen soll oder was mit dem Raum passiert, den er verdrängt oder ob es eine überlappende Schnittstelle zwischen Erde und Woanders sein soll. Und, keine Ahnung, das Lichtsamending ist dann irgendwann mal in die Leuchtturmlinse geplumpst und war da gefangen? War mir auch zu strange.