SOMA
Nach ihren Abstechern zu experimentierfreudigen Burgbesitzern (Amnesia: The Dark Descent) und experimentierfreudigen Fleischfabrikbesitzern (Amnesia: A Machine for Pigs), kehrten die Horror-Game-Experten von Frictional Games im Jahre 2015 mit einem Sprung ins kalte Nass zurück. Sie verließen ihren liebsten Spielplatz, das 19. Jahrhundert, und verfrachteten die Spieler mit ihrem Horror-Game SOMA in die ferne Zukunft auf den tiefsten Grund des Meeres. Hier muss sich Protagonist Simon in einer verlassenen Forschungseinrichtung seinen Ängsten stellen, umringt von stöhnenden Monstern und einem allumfassenden Gefühl von Isolation und Klaustrophobie. SOMA ist ein düsterer Kommentar über die mögliche Zukunft der Menschheit.
Simon hatte einen Autounfall. Sein Gehirn läuft nicht mehr so rund und er macht sich auf, bei Dr. Munshi mit einer vielversprechenden neuen Behandlungsmethode zu beginnen. Er setzt sich auf den Behandlungsstuhl, der Gehirn-Scan wird angeschmissen und schwupps – im nächsten Moment wacht Simon in der verlassenen Forschungseinrichtung PATHOS-II tief unten im Meer auf. Was ist da los? Man weiß es nicht so recht. Während sich Simon durch die Upsilon-Station bewegt, merkt er, dass hier etwas ernsthaft im Argen liegt. Die Wände werden von einer schwarzen organischen Substanz bedeckt, durch die Gänge streifen wehklagende Monster und von den Menschen fehlt jede Spur. Über Funk tritt er in Kontakt mit Catherine Chun, einer Wissenschaftlerin von PATHOS-II, die auf der fernen Lambda-Station sitzt. Simon setzt alles daran, zu ihr zu gelangen, denn nur gemeinsam werden sie hier lebend wieder herauskommen.
Herunter skalierter Survival-Horror
Originaltitel | Soma |
Jahr | 2015 |
Plattform | PlayStation 4, Microsoft Windows, Linux, Mac OS, Xbox One |
Genre | Survival Horror |
Entwickler | Frictional Games |
Publisher | Frictional Games |
Spieler | 1 |
USK |
In den ersten Momenten präsentiert sich SOMA wie ein typisches Survial-Horror-Game à la Alien: Isolation oder Visage. Man bewegt sich diskret und ohne Verteidigungsmöglichkeiten durch eine gespenstische Umgebung und kann Gegenstände nehmen und drehend auf ihre Eigenheiten untersuchen. Die Stationen von PATHOS-II sind verlassen, von wuchernden Auswüchsen überzogen, in der Ferne wehklagen bizarre Monster vor sich hin, hier und da führen Roboter Selbstgespräche, doch von den Menschen fehlt jede Spur. Durch das Auffinden von E-Mails und Aufzeichnungen und durch die Stimme von Catherine, die uns von der Lambda-Station aus leitet, versuchen wir zu ergründen, was vorgefallen ist. SOMA stammt zwar von den Horror-Experten, sollte aber dennoch nicht für ein knallhartes Horror-Game gehalten werden. Denn die nervenaufreibende Angst vor Jump-Scares, wie man sie vom Survival-Horror gewohnt ist, verspüren wir in dem Sinne nicht bzw. selten. SOMA ist eher ein diskretes Horror-Adventure, welches auf Stealth setzt und mit Puzzle-Elementen durchsetzt ist. Die Puzzles sind in Ordnung und fördern das Explorer-Gen, gleichzeitig wird dieses aber auch durch die Monster eingeschränkt. Die Monster besitzen dahingehend eine Daseinsberechtigung, da sie die Brisanz der Situation verdeutlichen und für das Quäntchen Nervenkitzel sorgen, aber sonderlich herausfordernd sind sie nicht. Stattdessen wirken sie mit der Zeit wie eine – mitunter nervige – Ablenkung vom Wesentlichen. Deswegen haben die Macher nachträglich auch einen »Pazifisten-Modus« eingebaut, der den Monstern ihre Tödlichkeit nimmt. Aber ganz ohne Anspannung ist ja irgendwie auch doof.
Stattdessen: Existenzieller Horror, dufte designt
Der Monster-Horror ist in SOMA also eher mäßig. Dafür wiegen die Elemente des psychologischen Horrors doppelt und dreifach. SOMA ist jene Sorte von gruseligem Spiel, die einen nächtens daran zweifeln lässt, ob man Herrin oder Herr seines eigenen Bewusstseins ist. Es ist eine Form von existenzieller Furcht, die SOMA heraufbeschwört, beginnend dort, wo man seine Hände das erste Mal in diese seltsamen »Heilungsmuscheln« hineinsteckt ohne zu wissen, ob und inwiefern das einen verändert. Eingebettet wird das Ganze in ein echt gut designtes Ambiente. Fans von BioShock dürften sich direkt heimisch fühlen, wobei SOMA bei den Außenspaziergängen den großen Bruder visuell sogar übertrumpft, da hier das Sichtfeld ab einem gewissen Grad diesig und die Lichter so schön »blurry« werden (fairerweise muss gesagt werden, dass Außenspaziergänge in BioShock sowieso eher Nebensache sind). Auch auditiv wurde viel Wert auf Realismus gesetzt. Vor allem mit Kopfhörern fallen einem die Veränderungen der akustischen Bedingungen auf, etwa wenn man durch Rohre kriecht. Keine generischen Tritt-Sounds, die aus irgendwelchen Sound-Bibliotheken gezogen und in Dauerschleife aneinander gehängt wurden, sondern solche, die man in 2000-facher Ausführung aufgenommen und an Raum und Oberflächenbeschaffenheit angepasst hat. Das audiovisuelle Design sorgt auch dann für Anspannung, wenn es durch sich nähernde Monster zu Interferenzen kommt, die Optik und Gehör beeinflussen, sowie wenn sich aufgrund eigener Verletzungen ein Anaglyph-Effekt über das Sichtfeld legt. In Sachen Atmosphäre und Immersion ist SOMA wirklich tippitop.
Die Story macht’s
Das Gameplay, die Story und die Spielwelt sind eng miteinander verknüpft, wobei man sagen muss, dass die Spielmechaniken nicht der Burner sind. Außer Gehen, Schleichen, Reinlünkern, Hebel umlegen, Leichen untersuchen und mit dem »Omnitool« herumschwenken gibt es nicht viel zu tun. Entwickler Thomas Grip begründet das damit, dass in einem Horror-Game nicht so sehr daran gearbeitet werde, dass die Spielmechanik bockt, sondern daran, dass der Spieler erschreckt wird – die Spielmechanik sei demnach Nebensache. Gut, das mit dem Erschrecken funktioniert auch nicht immer, aber egal. Die Macher von SOMA konzentrieren sich hier wirklich ganz und gar auf das Storytelling und beweisen hier auch ihre dramaturgische Kompetenz, u. a. durch moralische Entscheidungen, die die Spieler in tiefe Grübeleien stürzen können (bei DER Entscheidung schlechthin saß ich ca. 15 Minuten dran, Anm. d. Red.). Und auch wenn SOMA ein bisschen Anlauf benötigt, die Unterwasserspaziergänge sich manchmal strecken oder einem die schwache Monster-KI auf den Keks geht, so bleibt man doch am Bildschirm kleben und fiebert der Auflösung der Geschichte entgegen. Das Gedankenspiel, das die Triebfeder für SOMA darstellt, wirkt wie eine moderne Auslegung des Sumpfmann-Gedankenexperiments, welches bereits 1987 formuliert wurde und u.a. auch in der Manga-Reihe Ajin von Gamon Sakurai aufgegriffen wird. Die Schreiberlinge von SOMA bedenken dabei sogar, eines der Gegenargumente versuchsweise mit einer These zu entkräften, die auf der PATHOS-II-Station zu einem »Suizid-Kult« führt. Letztens Endes ist es aber nur eine interessante These, die am Ende des Games nicht haltbar ist und für ein bitteres Ende sorgt (was in diesem Falle als Pluspunkt zu verstehen ist).
Fazit
SOMA ist ein »cogito ergo sum«-Simulator, der die Möglichkeit bietet, dieses abstrakte Konzept auf eine neue und überraschende Art zu erleben. Vielen wird SOMA – vor allem nach Amnesia – nicht horrormäßig genug sein (bezogen auf empfundene Angst und Survival-Aspekte). Niemand, der SOMA je gespielt hat, wird sich an die Horrorelemente erinnern. Auch wenn das Marketing etwas anderes vermitteln will, ist SOMA eine Sci-Fi-Erzählung mit Horrorelementen, nicht umgekehrt. Die Story ist es, die einen in diese traurige und einsame Unterwasserwelt von SOMA hineinzieht. Die thematischen Implikationen der Geschichte sind ein tiefgehender düsterer Kommentar zur möglichen Zukunft der Menschheit und können Zunder für langanhaltende diskussionsfreudige Bierabende sein. Das macht SOMA zwar zu keinem überragenden Horror-Spiel, aber zu einer außergewöhnlichen Sci-Fi-Story, die kein Genre-Fan verpassen sollte. Das Witzige ist: Selbst nach den ganzen Erklärungen von Catherine hat mich das Ende trotzdem überraschend getroffen: »Wa .. was? Was passiert? Wieso? Verdammich! Noooooiiin!« Ein wirklich spezielle Thematik, die gut und konsequent ausgeführt mit einem Ende, das in die Magengrube schlägt. (Beziehungsweise ein richtiger Schlag in die Magengrube wär’s vor allem dann gewesen, hätten sie den Epilog weg gelassen. Aber nun ja; irgendwas ist ja immer, nech?)
© Frictional Games