BioShock

13 Jahre ist es her, seit Irrational Games und 2K Games mit BioShock einen Meilenstein der Spielhistorie herausbrachten. Der Entwickler Ken Levine versprach, es würde eine Revolution in der Spielwelt auslösen. Auf diese Weise wurde BioShock das meist gehypte Spiel des Jahres 2007. Mittlerweile gibt es vermutlich nichts, was noch nicht über BioShock gesagt wurde. Das Smithsonian machte es zum Aushängeschild seiner „The Art of Video Game“-Ausstellung in Washington, D.C. und im Buch Digital Cultures: Understanding New Media hält BioShock als Fallbeispiel her, um die kulturelle Relevanz des Mediums Videospiel zu unterstreichen. Dabei geht es in BioShock doch eigentlich nur darum, sich in einem versunkenen Atlantis mit einer Rohrzange bewaffnet an kleine Mädchen heranzumachen … oder nicht? Ein Schwelgen in Erinnerungen.

   

Im Jahre 1960 stürzt ein Flugzeug über dem Atlantik ab. Mittendrin der Protagonist Jack, der die Katastrophe überlebt und sich auf einen im Meer aufragenden Leuchtturm retten kann. Dort findet er das Tor zur Unterwasserstadt Rapture. Sie ist die verwirklichte Vision von Andrew Ryan, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg von der Menschheit enttäuscht dazu entschloss, sich mit einer handverlesenen Elite dorthin zurückzuziehen. Der Spieler merkt beim Betreten der Metropole allerdings schnell, dass sich Ryans Vision in einen Alptraum verwandelt hat. Die Stadt der Schönen und Perfekten ist verfallen und dem Untergang geweiht. Ein Bürgerkrieg hat weite Teile zerstört. Die Menschen sind durch den Missbrauch der Droge „ADAM“ vom Wahnsinn zerfressen und zu so genannten „Splicern“ mutiert. Auf der Suche nach einem Fluchtweg erkundet der Spieler (unter Anleitung eines anonymen Förderers namens Atlas) das gescheiterte Gesellschaftsexperiment und entdeckt nach und nach wie seine eigene Figur darin verwickelt ist.

Der Einstieg: ein Klassiker

Originaltitel BioShock
Jahr 2007
Plattform Microsoft Windows, Xbox 360, PlayStation 3, macOS, iOS, Xbox One, PlayStation 4, Nintendo Switch
Genre Ego-Shooter
Entwickler Irrational Games
Publisher 2K Games
Spieler 1
USK
Im Handel erhältlich

Zu den Dingen, die das erste BioShock so legendär machten, gehört der starke Auftakt. Man überlebt einen Flugzeugabsturz, rettet sich durch brennende Benzinlachen zu einem Leuchtturm und verschwindet dort per Taucherglocke in den unendlichen Tiefen des Ozeans. Während man per Audio Andrew Ryans Manifest gegen die bekannten Herrschaftssysteme zuhört, schält sich vor einem die Stadt Rapture aus den Schatten, eine Mischung aus zusammengestürzter Utopie eines Wahnsinnigen und Atlantis. Die Macher schaffen es, den Spieler in diese Welt eintauchen zu lassen, ohne jemals die First-Person-Ansicht zu verlassen. Man würde meinen, First-Person mache das Erleben linear und einschränkend, doch tatsächlich fördert es das „Embodiment“ – Jacks Wahrnehmungen werden als Teile unserer Selbst wahrgenommen. Darüber hinaus handelt es sich bei Jack um einen „Silent Protagonist“ – dieser Art wird er noch stärker zur einer Leerstelle, die wir mit uns selbst ausfüllen können. Zu guter Letzt leistet das Spiel (trotz First-Person) auch hervorragende Arbeit darin, dem Spieler einen Überblick über den Ort zu geben. Nicht etwa durch Karten (denn holy shit, so etwas Unübersichtliches hat man seit Jahrmillionen nicht gesehen, Anm. d. Red.), sondern durch gut thematisierte Areale und deren räumliche Anordnung. Da auf die Karte kein Verlass ist, ist man darauf angewiesen, durch simples Erkunden ein Gefühl für die Level zu bekommen, so dass man mit der Stadt nahezu verwächst.

Die Klangkulisse: Chaotisch

Rapture ist ein düsterer, von Blutlachen gezeichneter Ort. Alles ist kaputt oder im Zerfall begriffen, doch die Überreste eines gewissen Prunks sind immer noch erkennbar. Die Splicer streifen wie spukende Gespenster umher und lamentieren über ihr Schicksal. Manche stecken in ihren Erinnerungen fest und negieren die Realität. Dabei tragen sie Masken, die an Comemdia dell’Arte erinnern und aus BioShock eine inszenierte Horror-Show machen. Der Singsang der Splicer ist nur ein Teil einer viel größeren Klangkulisse, denn Klang spielt in BioShock per se eine wichtige Rolle. Viele Informationen, die für den Spielverlauf relevant sind, erhält der Spieler durch Funksprüche oder vorgelesener Tagebucheinträge. Der Rest des auditiven Raums besteht aus Waffen- und Kampfgeräuschen, Schreien, Funksprüchen, Automatensprüchen, fröhlichen Werbedurchsagen und Tanzmusiken. Diese auditive Unordnung ist eine Spiegelung des virtuellen Chaos, durch das wir uns bewegen. Chaos wird also auf zweifacher Sinnesebene dargestellt und verstärkt dieserart noch einmal die Anspannung.

Der Soundtrack: Perlen vor die Säue

Dieses „Irgendwas liegt im Argen“-Gefühl wird auch über den Soundtrack erreicht. Zur Hälfte besteht dieser aus Originalkompositionen von Garry Schyman, der etwas völlig Neues erschaffen wollte und eine krude Mischung aus Avantgarde-Musik des 20. Jh., Aleatorik und Musique Concrète erschuf. Das sind Techniken und Stile, die man nicht unbedingt in einem Videospiel erwarten würde. Stattdessen hätte man wohl gesagt: „Das sind doch Perlen vor die Säue geworfen“. Schyman sah das anders. Und da seine Musik so anspruchsvoll geraten ist, wird sie auch nicht inflationär als reine Begleitung eingesetzt, sondern immer nur zu besonderen Cues, was sie zu einer Bedeutungsträgerin macht. Die andere Hälfte des Soundtracks besteht aus lizensierter Musik wie etwa von den Andrew Sisters. Die Songs erklingen aus in der Spielwelt verteilten Grammophonen, deswegen handelt es sich bei ihnen um „Source-Music“. Das ist Musik, die nicht nur für den Spieler hörbar ist, sondern auch für die NPCs. Splicer reagieren beispielsweise darauf, indem sie tanzen. Zeitlich entspricht jene Musik dem Spielsetting, inhaltlich allerdings steht sie im kompletten Kontrast dazu. So trifft man z. B. auf eine Kleinfamilie, die mit aufgeschnittenen Pulsadern tot am Esstisch sitzt. Dabei läuft im Hintergrund ungerührt „The Best Things In Life Are Free“ von den Ink Spots. Für Audio Director Emily Ridgway ist dieser verstörende Kontrast eine perfekte akustische Auslegung von Raptures Charakter; sie zeige Optimismus und Verfall, Schönheit und Degeneration zur selben Zeit. Sie zeige, was war und halte dem Spieler den Verlust der Einwohner vor Augen.

Der Big Daddy und seine Little Sister

Die ikonischsten Figuren und damit die Träger der gesamten Marke BioShock sind der Big Daddy und seine Little Sister; er ein grunzender Koloss im Taucheranzug, sie ein blasses Mädchen mit dunkel unterlaufenen Augen. Sie sind Teil des „3-Säulen-Ökosystems“ in Rapture: Drohne/Beschützer/Sammler. Die Little Sister ist die Drohne, die das Adam hortet. Der Big Daddy beschützt sie dafür während die Splicer (und auch die eigene Spielfigur) als Sammler versuchen, das ADAM zu stehlen. Sich gegen den Big Daddy zu stellen, kann als das größte Hasardspiel im Game bezeichnet werden. Man riskiert seine Spielressourcen um an mehr Adam für genetische Upgrades zu kommen. Wann man aber den Big Daddy angreift und ihn sich zum Feind macht, ist dem Spieler überlassen, denn der Big Daddy befindet sich grundsätzlich in einem passiven „Leben und leben lassen“-Modus. So hat man als Spieler Zeit, die Level zu erkunden und Fallen aufzustellen. Unvorbereitet gegen einen Big Daddy anzutreten ist ein Nogo. Auf diese Weise wird jedes Level in den Kontext einer Vorbereitung gestellt, die auf den Klimax des Big Daddy-Kampfes hinausläuft – ganz ohne Script. Wie man letztendlich mit den Little Sistsers umgeht, ob man sie für sofortige Ressourcenbelohnung erntet oder aber sie befreit und auf eine verzögerte Belohnung wartet, bestimmt das Ende des Spiels – und die Einfärbung des eigenen Gewissens. Rettet man sie, so ertönt in diesem Moment die einzige hoffnungsvolle Musik im gesamten Spiel – eine Streicherkadenz in Dur.

Die Genrekonvention wird zum großen Twist

Neben der (damals) neuartigen Kulisse, den uniquen Figuren und dem (damals) neuartigen Genre-Mix aus Horror, Shooter, RPG-Elementen und Philosophiestunde, wartet BioShock auch auf narrativer Ebene mit einer Besonderheit auf. Das Spiel bedient sich eines Twists, den manche Hardcore-Spieler schulterzuckend abtun mögen („Normal halt, ne?“), der für andere aber wiederum der „deepest shit ever“ ist. Obgleich Gewalt und das Befolgen der Spielanweisungen der einzige Weg ist, im Spiel voran zu kommen, werden beide Aspekte negativ dargestellt. Zum Einen durch die Little Sisters, die den Spieler mit „Du tust ihm weh!“ anflehen, von ihrem Big Daddy abzulassen. Zum Anderen von Andrew Ryan, der an einem Höhepunkt des Spiels dem Spieler dessen blinden Gehorsam vorhält und ihm den Story-Twist offenbart, dass er in Wahrheit darauf konditioniert sei, den Worten seine Führers Atlas zu gehorchen (dabei folgen wir armen Spieler doch einfach nur den Spielanweisungen …). Spätestens hier ist klar, dass BioShock kein simpler Ego-Shooter ist, sondern den Spieler zwingt, sich mit den Genrekonventionen auseinanderzusetzen.

Fazit

BioShock zeigte damals im Jahre 2007, dass sich das gemeinhin bekannte „Killerspiel“ zu einem Story-basierten, kinematografischen Abenteuer entwickelt hat. Das Videospiel als solches erlebte durch BioShock eine Art „Coming of Age“ und mauserte sich zum Kunstobjekt. BioShock ist bekannt für seine einzigartige Kulisse, offenen Spielmechaniken, komplexe Musik, uniquen Figuren und für seine dystopischen und ungewöhnlich tiefgreifenden Themen. Und dafür, dass es eine komplett surreale Welt glaubhaft verkaufen kann. In vielen Bereichen hat BioShock also Meilensteine gesetzt. Bis heute ist sein Erbe noch überall in der Spielindustrie anzutreffen – und auch in meiner eigenen Steam-Bibliothek. Ich spiele es immer wieder gerne. Die originale Version (die sich wunderbar gehalten hat) ziehe ich übrigens der remastered Version vor. Keine Ahnung, was die sich damals beim Remastern gedacht haben, aber die Reflektionen rausnehmen, Wasseranimationen schlechter machen, Teppichtexturen versauen und als Gegenleistung hier und da einen Seestern hinsetzen, das kann’s ja nicht gewesen sein.

© 2K Games


Im Handel erhältlich: 

 

Totman Gehend

Totman ist Musiker, zockt in der Freizeit bevorzugt Indie-Games, Taktik-Shooter oder ganz was anderes und sammelt schöne Bücher. Größtes Laster: Red Bull. Lieblingsplatz im Netz: der 24/7 Music-Stream von Cryo Chamber auf YouTube.

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