Gypsy

“Wer bist du, wenn niemand zusieht?” Mit diesem Satz wirbt Netflix für seine Thriller-Serie Gypsy, die Ende Juni 2017 an den Start ging. In dem nach Lisa Rubins Idee entstandenen Netflix-Original geht es um eine Psychotherapeutin, die sich zu sehr in das Leben ihrer Patienten einmischt und sich dafür eine zweite Identität erschafft. Nach und nach gleitet ihr das mehr und mehr aus den Händen …

   

Psychologin Jean Holloway hat eigentlich alles, was man sich in ihrem Alter wünschen kann: einen guten Job, einen Ehemann und eine aufgeweckte Tochter. Doch sie überschreitet ihre beruflichen Grenzen und schafft sich eine zweite Identität als Diane Hart, um so Beziehungen mit dem Umfeld ihrer Patienten aufzubauen. Als Diane bändelt sie so auch mit der Ex-Freundin eines Patienten an. Immer mehr verliert sie die Kontrolle über ihr Doppelleben und zieht sich weiter aus ihrem wirklichen Alltag zurück …

Einmal jemand anderes sein

Originaltitel Gypsy
Jahr 2017
Episoden 10 (1 Staffel)
Genre Drama, Thriller
Cast Jean Holloway/Diane Hart: Naomi Watts
Michael Holloway: Billy Crudup
Sydney Pierce: Sophie Cookson
Sam Duffy: Karl Glusman

Jean ist um die 40 Jahre alt und lebt ihr oberflächlich perfektes Leben. Doch dieses ist gar nicht so perfekt, sondern hat Kratzer: Sie selbst hat ein schlechtes Verhältnis zur Mutter, ihr Mann steht immer wieder kurz vor einem Seitensprung mit seiner attraktiven Assistentin und ihre knapp neunjährige Tochter Dolly hinterfragt ihre Geschlechtsidentität und hat Probleme in der Schule. Warum genau Jean sich diese zweite Identität aufbaut, ist dennoch unklar. Allgemein werden nicht zu viele Informationen preisgegeben und sehr vieles um Jean bleibt im Dunklen, obwohl sich die gesamte Serie um sie und ihre zwei Leben dreht.

Jeans zweite Identität als Diane beschreibt sie als Journalistin und Single und aus Jeans eigentlicher Tochter Dolly wird – sollte denn jemand nachfragen – Dianes Nichte. Diane baut Kontakt zu Angehörigen von Jeans Patienten auf und beginnt eine Affäre mit der taffen Sidney, der Ex-Freundin Sams, den sie therapiert. Natürlich wissen ihre Patienten nicht, dass sie sich aktiv in ihr Privatleben und Umfeld einmischt. Dies tut sie dabei so intensiv, dass man meinen könnte, sie bräuchte diesen Kick, der sich für sie ergibt. Doch auch ihr wirkliches Leben als Jean verändert sich: So geht sie offensiv gegen Mütter vor, die über ihre Tochter lästern und fordert genauso offensiv Sex von ihrem Mann ein, obwohl sie zuvor in jeglicher Hinsicht Zurückhaltung geübt hatte. Man fragt sich, ob Jean Diane erschaffen hat, um den feinen Problemen ihres Alltags zu entfliehen oder ob sie sich selbst fragt, ob das schon alles war, wie in einer Art Midlife-Crisis. Dabei kommt man ebenso auf Aspekte, die auch eine psychische Störung als Möglichkeit in die engere Auswahl kommen lassen.

Eher langweilige Nebengeschichten und gestrecktes Erzähltempo

Neben ihrer Affäre zu Sydney und ihrer gleichzeitigen Behandlung des Ex-Freundes, der nicht loslassen kann, gibt es noch zwei Nebenhandlungen: Claire ist eine überbesorgte, klammernde Mutter, die bei ihr in Therapie ist. Als Diane baut sie eine Freundschaft zu ihrer Tochter Rebecca auf. Zudem gibt es noch die Geschichte des drogenabhängigen Mädchens Allison, das nicht von ihrem Freund loskommt. Leider sind beide Nebenhandlungsstränge eher uninteressant gestrickt und ergeben nur recht lose eine Verbindung zur Hauptgeschichte. Insgesamt wirken sie eher wie ein Laufzeitfüller oder ein Einblick in das, was Jean ansonsten noch so treibt, der jedoch kein bisschen mit dem spannenden Hauptgestrick um Jean/Diane, Sydney und ihren Ex-Freund Sam mithalten kann.

Rational betrachtet bietet Gypsy weder Action noch besondere Dramatik. Im Gegenteil: das Erzähltempo ist sehr ruhig und die gesamte Handlung wirkt schon fast gestreckt. Es gibt keine „Schlag auf Schlag“-Ereignisse oder ähnliches. Dennoch gestaltet sich die Handlung interessant, vor allem da Jean immer wieder kurz davor steht, aufzufliegen. Da passiert es schon einmal, dass Sydney ihren Ex zu sich bestellt, während Jean als Diane bei ihr ist. Oder ihre Patientin Claire möchte, dass ihre Tochter einer Sitzung beiwohnt.

Grandiose Musikuntermalung und herausragende Leistung der Hauptdarstellerin

Naomi Watts, welche die Rolle der Jean spielt, brilliert hier auf besondere Weise. Sie transportiert Jeans Zerrissenheit ehrlich und überzeugend, oft auch nur durch Gesten. Zusätzlich darf man sich über eine gute musikalische Unterhaltung freuen: Nicht nur die allgemeine Musikauswahl macht sich gut, es gibt sogar eine neu eingesungene Version von Stevie Nicks’ ursprünglich 1982 für Fleetwood Mac geschriebenem Song „Gypsy“, der hier auch titelgebend ist.

Wer wollte nicht schon einmal jemand anderes sein? So einfach mal dem Alltag entfliehen und ein gänzlich anderes Leben leben. Gypsy zeigt uns genau das in Form von Jean mit ihrer Identität als Diane. Dabei geht es weder sonderlich action- noch temporeich zu. Dennoch übt das doppelte Spiel Jeans eine große Faszination auf mich aus und ich konnte es nicht lassen, doch immer wieder noch die nächste Folge zu schauen. Man erfährt nur wenig über Jeans kompletten Charakter, was jedoch einen besonderen Reiz ausmacht, so kann man viele ihrer Handlungen und Charakterzüge unterschiedlich interpretieren. Über die gesamte Staffel weiß man auch nicht genau, wie Jean nun ehrlich zu Sydney steht und was überhaupt allgemein in ihr vorgeht. Fest steht, dass sie hier eine Art böse Rolle einnimmt, schließlich hintergeht sie nicht nur ihre Mitmenschen und überschreitet berufliche Grenzen, sondern betrügt auch ihren alles in allem durchaus liebenden Ehemann. Obwohl die Nebenhandlungen allenfalls als nett zu erachten sind, haben auch diese mich nicht immerzu gelangweilt, sondern hin und wieder auch interessante Aspekte eingenommen. Es ist zu schade, dass die Serie abgesetzt wurde und es somit keine zweite Staffel geben wird, denn ich hätte gehofft, dass man das alles noch ausbaut. Immerhin hat vor allem die letzte Folge sehr viel angerissen, was sich in den Episoden zuvor aufgestaut hat.  Jeans Mann Michael kommt dahinter, dass seine Frau einiges zu verbergen hat. Währenddessen scheint auch Sydney hinter das Doppelleben Jeans gekommen zu sein, so sucht sie das Büro ihres Mannes auf und kommt zu der Rede Jeans, die sie als Elternvertreterin hält. Man hat das Gefühl, dass nun alles mehr oder weniger auffliegt, doch leider endet die Staffel auch genau hier.

 

 

Ayla

Ayla ist Schülerin und beschäftigt sich hobbymäßig mit allen möglichen Medien, ohne dabei Beschränkungen zu kennen. Dennoch ist sie vor allem ein Serien- & Game-Junkie und liebt besonders actionreiche und dramatische Inhalte, wobei sie gleichzeitig für viele kindliche Themen zu haben ist, weshalb sie weiterhin großer Disney-Fan ist. Abseits ihrer Leidenschaft des Sammelns ihrer Lieblingsmedien schreibt Ayla gerne selbst Geschichten oder zeichnet Bilder, um sich so zu entspannen.

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Ayres
Redakteur
10. September 2017 20:17

So interessant das alles klingt und so gerne ich Naomi Watts auch mag, ich finde einfach nicht die richtige Stimmung, um Gypsy über Folge 1 hinaus anzuschauen. Sperriger Titel.

yunarose
yunarose
11. September 2017 2:20

Ich wünsche, ich hätte gerade die Zeit, in Gypsy reinzusehen. Klingt sehr nach etwas für mich.