Violet Evergarden (Folge 10)

Ann mag Besucher nicht. Besucher sorgen dafür, dass sie keine Zeit mit ihrer kranken Mutter verbringen kann. Als Violet im Rahmen eines Auftrages zu Besuch kommt, mag Ann auch diese nicht, denn Violet bleibt ganze sieben Tage bei ihnen und nimmt ihre Mutter in Beschlag. Was ist bloß so wichtig? Anns Vater ist im Krieg gefallen, wem sollte ihre Mutter also noch Briefe schreiben? Folge 10 von Violet Evergarden präsentiert ein Mutter-Tochter Drama.

Ann ist einsam. Ständig sind irgendwelche Besucher da, dabei würde sie lieber ihrer Mutter von all ihren tollen Erlebnisse erzählen oder ein Buch mit ihr lesen. Die Zeit alleine vertreibt sie sich mit ihrer Puppe. Als Violet für einen Auftrag kommt, hält Ann die AKORA selbst für eine Puppe. Erst ist sie noch fasziniert. Aber dennoch mag sie Violet nicht, denn den ganzen Tag sitzt sie mit ihrer Mutter zusammen und Ann darf nicht dabei sein. Könnte sie nicht aufhören, die Briefe zu schreiben? Aufhören, ihr die Zeit mit ihrer Mutter zu stehlen? Höflich, aber bestimmt, muss Violet ablehnen.

Violet nicht im Fokus der Folge

Von Violet wurde im Wesentlichen bereits alles erzählt und sie tritt nun noch mehr zurück als in Folge 5 (Prinzessin Charlotte) und Folge 7 (Oscars Bühnenwerk), denn diese Geschichte ist aus der Sicht von Ann erzählt. Dennoch gibt es Einblicke in Violet. Als Ann ihren Vater erwähnt, der im Krieg gefallen ist, zuckt Violet zusammen. Eine Teetasse kann sie mittlerweile in die Hand nehmen, dafür ist ihr nun bewusst, dass ihre Arme und Hände nie wieder die Wärme eines Menschen haben werden. Ein subtiler, aber starker Kontrast zur ersten Folge, in der sie die Evergardens besucht, ihr die Teetasse aus der Hand fällt und sie daraufhin lediglich nonchalant sagt, dass sie sich an ihre mechanischen Arme noch gewöhnen wird. Nach getaner Schreibarbeit, während der Violet so gut wie möglich versucht hat, ihre eigenen Gefühle zurückzuhalten, erfolgt noch einmal ein Ausbruch an Empathie Ann gegenüber, der sich gut in die letzten Folgen einreiht. Denn Violet selbst hat gerade erst den den (vermeintlichen) Verlust von Major Gilbert verwunden und Ann steht ebenfalls der Verlust eines wichtigen Menschen bevor. Violet hat sich wieder im Griff, aber so wirklich darüber hinweg ist sie trotzdem noch nicht. Vielleicht wird sie es auch nie sein. Wahrscheinlich wird auch Ann es nie sein, doch hat diese immerhin für die nächsten fünf Dekaden einen jährlichen Trost.

“Das weiß ich doch längst!”

Anns Eskapaden, um Aufmerksamkeit zu gewinnen, sind kindlich motiviert. Einerseits schwer an der Grenze zur Lästigkeit, doch andererseits auch sehr nachvollziehbar, denn Kinder sind bekanntermaßen nicht gerade für ihre große Weitsicht bekannt. Für einen Erwachsenen ist sofort klar, dass Ann ihrer Mutter sehr am Herzen liegt und die Zukunft vorbereiten möchte. Eine Zukunft, in der die Mutter nicht mehr da sein wird. Das legen schon die ersten Besucher nahe, die über Anns Adoption sprechen wollen, doch wohl eher an ihrem Erbe denn an dem Mädchen selbst Interesse haben. Ein verhärtetes Gesicht, das sich Ann gegenüber erst zu einem Lächeln zwingen muss und die Empörung darüber, dass ihre Gespräche einfach abgewürgt werden, ohne Verständnis dafür, dass es etwas Wichtiges geben könnte, sprechen eine deutliche Sprache. Endgültig offensichtlich wird es spätestens, als die Haushälterin hinter Anns Rücken mit ihren Tränen ringt, während die Mutter versucht, die Wahrheit mit Beschwichtigungen vor dem Kind fern zu halten. Umso wirkungsvoller ist Anns dramatischer Ausbruch, ein Resultat ihrer kindlichen emotionalen Unkontrollierbarkeit, die aber gleichzeitig auch beweist, dass sie weit mehr Weitsicht besitzt, als man ihr in ihrem Alter zugetraut hat. Sie weiß schon längst, dass es mit ihrer Mutter zu Ende geht und ständig mit Lügen konfrontiert wird. Gerade deswegen möchte sie so viel Zeit mit ihrer Mutter verbringen, denn schon bald wird sie alleine sein. Der Schock, der ihrer Mutters ins Gesicht geschrieben steht, ist eine schöne Allegorie darauf, wie oft und wie stark Erwachsene Kinder unterschätzen.

Wenn man die Folge so anschaut, weiß man ausgesprochen schnell, dass es auf ein rührseliges Drama hinaus laufen wird und um die Akzeptanz des Todes. Studio Kyoto Animation ist in dieser Abteilung schon durch Clannad After Story berühmt geworden, doch errichtet diese Folge den dramatischen Vorbau in bereits zwei Dritteln einer einzigen Folge anstatt zig Folgen. Überrascht bin ich doch von den Briefen. Ich ging eigentlich davon aus, dass es sich wohl um Notarbriefe für das Erbe und andere rechtliche Dinge handelt, die Ann zwar nicht verstehen, ihr aber doch Hinweise darauf geben würden, dass das Ende naht. Die Idee mit den jährlichen Geburtstagsbriefen verleiht der Geschichte eine schöne positive Note. Am meisten beeindruckt bin ich von der Darstellung der verstrichenen Zeit in der Folge. Es ist noch nicht so lange her, seit Violet wieder auf die Beine gekommen ist, da es ihr erster längerer Auftrag in der letzten Zeit ist (also schon eine gute Weile her seit dem Auftrag bei Oscar), aber lang genug, dass sie sich – ganz professionell – nichts mehr anmerken lässt. Auch die sieben Tage bei Anns Familie und die Jahre danach verstreichen durch visuelle Fixkonstanten, sei es der Horizont über den die Sonne streift, der Tisch im Garten, auf dem Ann alleine Familie spielt oder Ann, die Jahr für Jahr vor der gleichen Landschaft steht. Interessant ist dieser Schnelldurchlauf durch Anns nächsten 13 Lebensjahre auch dahingehend, dass es der CH Post wohl noch eine ganze Weile lang gut gehen wird. Auf so einen Auftrag wäre ich selbst wohl nie gekommen, denn davon auszugehen, dass eine erst frisch gegründete Firma die nächsten 50 Jahre überleben wird, erscheint mir schon irgendwie gewagt. Was ich mich aber wirklich frage ist, was es mit den gelben Blumen auf sich hat, die kurz auftauchen ehe der Friedhof gezeigt wird und sehr nach Sauerklee aussehen. Oder geht es da doch nur um die Regentropfen, die Tränen versinnbildlichen sollen? Die andere Blume, die erwähnt, aber nicht gezeigt wird, ist die Magnolie, da Mutter und Tochter den Familiennamen Magnolia tragen. In der Blumensprache verkörpert sie Reinheit und Würde.

Zweite Meinung:

Diese Geschichte kommt in der Light Novel bereits im zweiten Kapitel vor. Man hat sie nahezu eins zu eins übernommen und wieder mal zeigt sich, dass die Folgen mit Inhalten aus der Light Novel die stärkeren sind. Die Geschichte ist sehr einfach, sehr vorhersehbar, aber umso mächtiger in ihrer Auflösung. Es funktioniert einfach und es wäre eine bessere Serie, wenn jede Folge aus so kleinen Geschichten bestünde, in denen Violet sich direkt oder indirekt mit den Folgen des Krieges auseinander setzt und ihren Platz im Leben sucht. Aber die Serie ist dann doch recht nah an der Light Novel dran und alle Weichen sind gestellt, damit Violet Evergarden wie die Novel endet. Die kleinen Unterschiede sind trotzdem interessant, so sind Violets militärischer Ton und ihre Emotionslosigkeit in der Light Novel noch vollkommen präsent. Im Anime wirkt sie viel menschlicher, weniger wie ein Puppe, darum wirkt Anns Aussage am Ende der Folge ein wenig komisch, als sie feststellt das Violet keine Puppe ist. In der Light Novel hingegen wirkt Violet auf Ann durchgehend wie eine Puppe und ihre Feststellung am Ende macht viel mehr Sinn. Dafür gibt es die Szene nicht in der Violet von ihren verlorenen Händen spricht, aber die Szene – so gut sie auch ist – macht sie menschlich und das ergibt für den Plot der Geschichte keinen Sinn. Aber mir gefällt die Folge erstaunlich gut, obwohl sie von der ersten Minute an auf Tränen abzielt. Die Idee ist auch nicht neu, es gibt dazu schon eine Geschichte oder eine reale Begebenheit.

Luna

Luna residiert auf dem Mond mit ihren beiden Kaninchen. Als solche hat sie eine Faible für flauschige Langohren und ist auch nicht um die ein ums andere Mal etwas entrückte Sicht auf die Weltordnung verlegen. Im Bestreben, sich verständigt zu bekommen, vertreibt sie gerne die Zeit mit dem Lernen und Erproben verschiedener Sprachen und derer Ausdrucksformen.

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anon
anon
19. März 2018 5:07

Die nächsten 50 Dekaden – also 500 Jahre?
Abgesehen davon ist die deutsche Synchro mal echt grottenschlecht.

Totman Gehend
Mitglied
Antwort an  anon
19. März 2018 22:21

Der Fehler geht auf mein Konto. Danke für’s Aufspüren.

Ayres
Redakteur
22. März 2018 12:23

Puh, eigentlich nicht so meine Folge, weil wieder sehr auf die Tränendrüse gedrückt wird. Aber ich muss sagen, dass ich die Idee irgendwie genial finde, dass Ann über 50 Jahre hinweg jährlich einen Brief bekommt. Da muss sich die Mutter ja auch gedanklich immer in das jeweilige Alter versetzt haben um in sich zu gehen, was man Ann in welchem Alter mit auf den Weg geben will. Das macht die Folge für mich auf jeden Fall interessanter.