Undone (Staffel 1)
Zeichentrick für Erwachsene ist und bleibt Mangelware. Um diesem Missstand zumindest entgegenzukommen, veröffentlichte Amazon Prime Video im September 2019 mit Undone eine Mini-Serie des BoJack-Horseman-Produzenten Raphael Bob-Waksberg. Doch Obacht! Spätestens auf den zweiten Blick wird klar: Visuell stimmt da doch etwas nicht. Tatsächlich – gezeichnet ist diese Serie nicht. Sie wurde mit echten Schauspielern abgedreht und einem Rotoskopie-Verfahren unterzogen, was bedeutet, dass die gefilmten Bilder anschließend nachgezeichnet werden. Damit sieht das Endergebnis realistischer aus als Zeichentrick, aber unwirklicher als die Realität. Dieses Verfahren fand bislang eher selten statt und die beiden bekanntesten Vertreter sind Richard Linklaters A Scanner Darkly und die Animeserie Aku no Hana – Die Blumen des Bösen. In deren optische Fußstapfen könnte die irre Zeitsprung-Geschichte von Tornante Productions mit Rosa Salazar (Alita: Battle Angel) in der Hauptrolle treten.
Alma Winograd-Diaz ist Mitte 20. Wenn sie nicht in einer Kindertagesstätte arbeitet, verbringt sie die Freizeit mit ihrem Freund Sam (Siddharth Dhananjay, Patti Cake$), mit dem sie auch zusammenlebt. Die Routine hat sich bei ihr eingeschlichen und die Ödnis ihres Alltags treibt sie in Philosophiererei über das Leben. Darüberhinaus trägt sie eine Depression mit sich herum, die durch den Tod ihres Vaters Jacob (Bob Odenkirk, Breaking Bad) verursacht wurde. während ihre Mutter Carmen (Constance Marie, Switched at Birth) unter einem nervigen Kontrollzwang leidet. Alkohol ist zumindest kurzzeitig ein Trostmittel und in ihrer Schwester Becca (Angelique Cabral, Life in Pieces) hat sie die passende Verbündete gefunden. Als es eines Tages zu einem Streit mit Becca kommt und Alma während einer verheulten Autofahrt glaubt, den toten Vater am Straßenrand zu sehen, kommt es zu einem Unfall. Als sie nach zwei Wochen Koma wieder erwacht, ist irgendetwas anders als zuvor. Alma springt plötzlich von einer Situation in die andere, quer durch die Vergangenheit. Ihr Vater Jacob erklärt ihr, dass sie übernatürliche Fähigkeiten besäße und seinen Tod verhindern könne …
Verrückt? Schizophren? Im Koma?
Originaltitel | Undone |
Jahr | 2019 |
Land | USA |
Episoden | 8 in 1 Staffel |
Genre | Drama, Fantasy |
Cast | Alma Winograd-Diaz: Rosa Salazar Becca Winograd-Diaz: Angelique Cabral Camila Diaz: Constance Marie Jacob Winograd: Bob Odenkirk Sam: Siddarth Dhananjay Tunde: Daveed Diggs |
Was genau mit Alma nicht stimmt, bleibt lange Zeit unklar. Ihr Vater erklärt Alma, dass bereits ihre Mutter solche Fähigkeiten besaß. Alma hingegen ist davon überzeugt, dass sie eine psychische Störung besitzt, da bereits die Großmutter an Schizophrenie litt. Dem Zuschauer kann die Ursache zunächst einmal egal sein, denn Almas Sprünge durch das eigene Leben könnten kaum unterhaltsamer sein. Wenn sie da plötzlich splitternackt vor den Kindern ihrer Tagesstätte erwacht und erklären muss, warum ‘da unten’ Haare sind, überwiegt das Unterhaltungspotenzial. Damit es auch nicht zu unkompliziert wird, stehen auch innerhalb der Beziehung zu ihrem Partner Herausforderungen an, die mit ihren Zeitsprüngen zusammenhängen.
Tief involvierend, hoch unterhaltsam
Man könnte meinen, dass sich dieses Konzept schnell abnutzt. Doch Alma ist alles andere als eine vom Schicksal gebeutelte und auf den Kopf gefallene junge Frau. Sie verfügt über einen ausgeprägten Sarkasmus und ihre ausgeprägte Mimik (die übrigens durch das Rotoskopie-Verfahren wesentlich deutlicher hervorgehoben wird) sorgt dafür, dass wir uns in vielen Situationen schnell mit ihr identifizieren können. In der deutschen Version wird sie von Anja Stadlober gesprochen, welche bereits in Jessica Jones eine resigniert klingende und entrückte Hauptfigur vertonte. Die Tonalität passt einfach wunderbar zu Almas Wesen, die sich gedanklich viel lieber mit höheren Dingen als der Realität befasst. Sowohl ethische als auch moralische Fragen werden dabei aufgeworfen. Etwa wenn Almas Schwester trotz anstehender Ehe mit einem Barkeeper anbändelt und die Frage aufkommt, ob ‘Ausrutscher’ überhaupt thematisiert werden müssen. Oder in weiteren Kreisen: Wie verrückt ist eigentlich ein Geisteskranker? Bedeutet eine eigene Realität den Verlust einer anderen?
Konfuses Kleinod
Die schnellen Wechsel und manchmal surrealen Darstellungen unterstützen das Gefühl der Desorientierung. Innerlich wie äußerlich ist Alma verloren in einem Geflecht eigener Erinnerungen und Erlebnissen, die auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft werden müssen. Ein wenig erinnert das an Marvels Legion, wo der Hauptcharakter ebenfalls Gefangener des eigenen Geistes ist und sich zusammen mit dem Zuschauer zurechtzufinden lernen muss. Dabei ist der Mystery-Plot um Jacobs Tod gar nicht so spannend, wie Almas eigenes Leben. Denn die Freundschaft zu ihrer Schwester besteht aus spannenden Wechselwirkungen und auch das Mutter-Tochter-Verhältnis ist interessant genug, um mehr Situationen erleben zu wollen. Für die vergleichsweise kurze Spielzeit von gerade einmal 160 Minuten deckt Undone ein breites Themenspektrum ab.
Fazit
Mit dem abwechslungsreichen Themenmix und seiner sympathischen Hauptfigur schleicht sich mit Undone einer der besten Geheimtipps der 2010er noch ins Serienjahr 2019. Das Rotoskopie-Verfahren ermöglicht surreale An- und Ausflüge, welche mit einer klassischen Kameratechnik kaum zu ermöglichen sind und gibt dem Zuschauer das Gefühl, es mit einer echten Zeichentrickserie für junge Erwachsene zu tun zu haben. Auch Gamer, welche moderne Titel wie Oxenfree oder Life Is Strange mögen, werden sich hier direkt zu Hause fühlen. Wem die Netflix-Show Russian Doll zu albern ist und mehr Substanz braucht, sollte ebenfalls ein Auge auf Undone werfen. Einziger Wermutstropfen: Die acht Episoden á 22 Minuten sind viel zu schnell vorbei.
© Amazon Prime Video