The Cell

„From visionary filmmaker…“ ist eine in der Marketingsprache häufig benutzte Phrase und bezieht sich zumeist auf Hollywoods Blockbuster-Wunderkinder wie Zack Snyder oder Christopher Nolan. Den Namen Tarsem Singh hat dabei trotz seines Debüts niemand auf dem Schirm. Der indische Regisseur produzierte zunächst namhafte Musik-Videoclips (etwa R.E.M.s Welthit “Losing My Religion”), bis New Line Cinema ihm The Cell anbot, einen Film, für den er ein Budget von 33 Mio. US-Dollar erhält. Mit Superstar Jennifer Lopez und Vincent D’Onofrio besetzt, schien der Film für einen Regie-Neuling 2000 ein Wagnis zu sein, doch schließlich gelang es ihm, mit dem Sci-Fi-Thriller einen eigenen visionären Fußabdruck zu hinterlassen. 

   

Carl Stargher (Vincent D’Onofrio, Full Metal Jacket) ist ein Psychopath und Killer, der junge Frauen entführt, psychisch foltert und im Anschluss ertränkt, um sich dann an ihren Leichen zu vergehen. Das FBI tappt auch nach mehreren Morden im Dunkeln. Bis Agent Peter Novak (Vince Vaughn, Trennung mit Hindernissen) ihm auf die Schliche kommt. Doch noch ehe Carl verhaftet werden kann, fällt er in ein psychotisches Koma, aus welchem er nie wieder erwachen wird. Um sein letztes Opfer zu finden, lässt sich die Psychologin Catherine Deane (Jennifer Lopez, Hustlers) auf ein gefährliches Experiment ein: Sie transferiert ihren Geist mittels Maschine in die kranke Psyche des Killers, um so den Aufenthaltsort des Opfers zu ermitteln. Doch in dieser surrealen Traumwelt regiert nicht Catherine, sondern Carl …

Traumforschung durch virtuelle Realität

Originaltitel The Cell
Jahr 2000
Land USA
Genre Science-Fiction, Thriller
Regie Tarsem Singh
Cast
Catherine Deane: Jennifer Lopez
Carl Rudolph Stargher: Vincent D’Onofrio
Peter Novak: Vince Vaughn
Anne Marie Vicksey: Catherine Sutherland
Edward Baines: Colton James
Cole: Dean Norris
Henry West: Dylan Baker
Laufzeit 103 Minuten
FSK
Im Handel erhältlich

Es kommt selten vor, dass Filme derart offensichtlich in zwei unabhängige Teile zerfallen wie im Fall von The Cell. Da ist zum einen die Geschichte eines Serienkillers mit allem, was ebenso dazugehört: Natürlich hat er einen Hund, natürlich sammelt er Fotos seiner Opfer und ein privater Altar darf auch nicht fehlen. Dem gegenüber steht eine Traumwelt, die sich im Kopf des Killers zuträgt und die in pompösen und farbenprächtigen Bildern dargestellt wird. Wenig im Zentrum steht der Teil der Forschung, der den Transfer von einer Welt in die andere überhaupt ermöglicht: Der Virtual Reality-Part wird weniger deutlich ausgearbeitet, was vielleicht daran liegen könnte, dass The Cell seiner Zeit viel zu weit voraus war. Auch 20 Jahre später existiert eine solche Technologie nicht, aber mehr Informationen darüber wären heutiger Standard. So bleibt der wissenschaftliche Aspekt des Films vage gehalten.

Eine Welt voller schauderhafter Schönheit

Leider widmet der Regisseur Singh der anspruchsvollen Story über das menschliche Unterbewusstsein und seiner Erforschung nicht genügend Aufmerksamkeit. Die kompakt erzählte Geschichte gleicht einem Bilderrausch, der für viel Abwechslung sorgt, Jennifer Lopez in viele Kostüme steckt und durch verschiedene extravagante Setpieces schickt. Audiovisuell überzeugt The Cell und macht auch keine Ausnahmen: Die Kamera, die in der realen Welt nur verhalten mit Effekten spielt, wirkt in der Gedankenwelt regelrecht entfesselt und zeigt von extremen Totalen und extremen Close-Ups bis zu Überkopf-Aufnahmen ein beeindruckendes Repertoire von Paul Laufer. Komponist Howard Shore überzeugte schon mit der Vertonung von Sieben oder Das Schweigen der Lämmer. Eine exotische Instrumentenwahl kombiniert mit Synthesizer-Elementen zeugen vom Können des Komponisten. Der Gewalt­dar­stel­lung nach folgt The Cell dann dem Horror-Genre. So schneidet der Killer im Traum dem FBI-Agenten den Bauch mit einer Schere auf, zieht den Darm heraus und wickelt ihn an einem Drehspieß aus dem Inneren heraus auf. Diese grafische Gewaltdarstellung sorgt mehr als einmal für Überraschungen.

Wenig Tiefgang auf der Psychologencouch

Der Traum eines jeden Psychologen, nämlich in die Gedankenwelt seines Patienten einzutauchen, wird hier wahr. Nur, dass es sich bei dem Patienten um einen schizophrenen Killer handelt. Zugeben muss man bei all der Freude über die visuelle Wirkung des Filmes auch, dass er gerade dadurch auch einige Probleme hat. Denn grundsätzlich gibt es bei der Motivation des Serienkillers keine großartigen Überraschungen und das Drehbuch folgt den gängigen Psychopathen-Klischees (Missbrauch in der Kindheit und daraus resultierendes Trauma). Insofern ist die Handlung bei Weitem nicht so visionär wie die Stilmittel des Films. Viel detektivische Arbeit gibt es für die Zuschauer:innen jedenfalls nicht zu leisten. Dafür weiß der Cast umso besser zu gefallen: Vincent D’Onofrio vermittelt die psychopathischen Züge des Serienkillers überzeugend. Vince Vaughn als Cop spielt routiniert, gerade Jennifer Lopez überrascht in der Rolle als Bewusstseins-Psychologin auf positive Weise. Vielleicht insbesondere deshalb, da schauspielende Musiker oftmals den Stempel mit sich tragen, mit nur einem Talent gesegnet zu sein. In ihrer Rolle fällt sie vor allem durch Vielseitigkeit auf: Mal wirkt sie engelgleich, mal wie die weltliche Übermutter im Zeichen des Herrn, mal ist sie Konkubine des dämonischen Carls.

Fazit

The Cell ist ein ziemlich düsterer SciFi-Horror-Thriller, der auch mehr als 20 Jahre später noch vor allem durch seine fantastischen Bilder besticht. Rein formal erfüllt der Film alle Aspekte, die ein visionärer Serienkiller-Thriller benötigt.  Ganz mitziehen kann das Drehbuch dabei leider nicht: Nicht nur, dass sich die Story auf einige wenige Einfälle beschränkt, auch die plakative Psychologie, die angewandt wird, um die Verbrechen des Täters zu erklären, hinterlässt einen faden Beigeschmack. Trotz inhaltlicher Schwächen überwiegt die Freude an den abwechslungsreichen Kulissen und den extravaganten Ideen, die die Produktion bereithält.

© Warner Bros.


Im Handel erhältlich:

Ayres

Ayres ist ein richtiger Horror- & Mystery-Junkie, liebt gute Point’n’Click-Adventures und ist Fighting Games nie abgeneigt. Besonders spannend findet er Psychologie, deshalb werden in seinem Wohnzimmer regelmäßig "Die Werwölfe von Düsterwald"-Abende veranstaltet. Sein teuerstes Hobby ist das Sammeln von Steelbooks. In seinem Besitz befinden sich mehr als 100 Blu-Ray Steelbooks aus aller Welt.

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