Psycho

Filme, die zu ihrer Zeit als bahnbrechend galten, genießen heute oftmals den Status des unantastbaren Klassikers. Alfred Hitchcocks Psycho ist ein Film, der nicht nur für seinen Einfluss auf das Horror-Genre als Meisterwerk erachtet wird, sondern auch als dramaturgischer Wegweiser für Nachhaltigkeit sorgte. Vor allem aber für den Slasher gilt Psycho als Urgestein: Obwohl lediglich zwei Morde in dem Film stattfinden, war das Grundprinzip des psychopathischen Killers wegweisend für alle folgenden Filmgenerationen. Doch abgesehen von der legendären Duschszene findet das Schwarz-Weiß-Werk aus dem Jahr 1960 vor allem aufgrund einer ganz bestimmten inhaltlichen Entscheidung bis heute große Beachtung, die sich in den vier Oscar-Nominierungen, die es seinerzeit einheimste, längst nicht widerspiegelt.

Marion Crane (Janet Leigh) ist eine einfache Büroangestellte. Eines Tages bietet ihr sich die Chance ihres Lebens: Sie unterschlägt 40.000 US-Dollar und flieht mit dem Geldbetrag in der Handtasche vor ihrem Arbeitgeber. Auf dem Weg zu ihrem Liebhaber Sam (John Gavin) findet sie Unterschlupf in einem geheimnisvollen Hotel. Der dortige Besitzer Norman Bates (Anthony Perkins) beendet Marions Glück frühzeitig. Kurz darauf machen sich ein Privatdetektiv Arbogast (Martin Balsam) sowie Marions Schwester Lila (Vera Miles) auf die Suche nach der verschwundenen Frau …

Psycho als Erzähluniversum

Originaltitel Psycho
Jahr 1960
Land USA
Genre Thriller
Regisseur Alfred Hitchcock
Cast Norman Bates: Anthony Perkins
Marion Crane: Janet Leigh
Lila Crane: Vera Miles
Sam Loomis: John Gavin
Det. Milton Arbogast: Martin Balsam
Laufzeit 109 Minuten
FSK

Ursprünglich wurde der Plot durch einen realen Serienmörder inspiriert. Ed Gein, dessen Morde auch als Grundlage für Filme wie Das Schweigen der Lämmer oder Texas Chainsaw Massacre diente. Nicht vielen Zuschauern ist bewusst, dass Psycho keine Originalgeschichte ist, sondern auf dem gerade einmal ein Jahr zuvor erschienenen gleichnamigen Roman von Robert Bloch basiert. Auch die Vorgeschichte von Norman Bates wurde inzwischen im Rahmen einer TV-Serie zur Erzählverlängerung. Bates Motel behandelt in 50 Folgen die Ereignisse vor dem Film und rückt dabei Norman (Freddie Highmore) und Norma Bates (Vera Farmiga) in den Vordergrund, inklusive Rihanna in der ikonischen Rolle der Marion Crane. Jedoch setzt die Serie die Handlung in die heutige Zeit und ist somit nicht als direktes Prequel zum Film oder zum Roman zu betrachten, sondern greift lediglich dessen Motive auf und soll daher im weiteren Kontext keine Rolle spielen.

Bruch der Erzählkonventionen

Marion Crane ist eine Protagonistin, in der sich viele Zuschauer wiederfinden: Eine durchschnittliche Vertreterin der Mittelklasse. Hart schuftend und dann bietet sich auf einmal eine Gelegenheit, die man sich nicht durch die Finger gehen lassen will. Der Diebstahl wird zu einer Schwäche, die schnell vertreten werden kann. Und wir erwarten eine sympathische Hauptfigur, die unerwartet Ecken und Kanten zeigt. Ein System, das nur besteht, um es anschließend gleich wieder zu zerstören: Denn die legendäre Todesszene Marions ging in die Filmgeschichte ein und wider Erwarten dürfen wir ihr Schicksal nicht länger teilen. Mit 70 Kameraeinstellungen in peinlichster Genauigkeit gedreht, um das Ableben in Perfektion einzufangen. Dieser Bruch sorgte auch dafür, dass Zuschauer einem erzählerischen Konzept ausgesetzt waren, das ihnen bis dahin gar nicht bekannt war. Denn die lineare Erzählung, in welcher die Hauptfigur von Anfang bis Ende begleitet wird, war ein strikt gelebtes Muster.

Hitchchocks und die Inszenierung falscher Fährten

Ein solcher Kniff gelingt nur den besten Geschichtenerzählern. Was in den Händen eines mittelmäßigen Regisseurs auseinandergefasert wäre, entwickelt sich bei Hitchcock zu einer wirkungsvollen Strategie, um die Erwartung der Zuschauer herauszufordern. Dadurch entsteht eine Intensität, welche die Handlung um ihre Vorhersehbarkeit beraubt. Hitchcocks Genialität zeigt sich erneut bei der zweiten Mordszene, in welcher dank umsichtiger Perspektive nicht zu sehen ist, wer den Mord begeht. Kamermann John L. Russel setzte nicht hinter der Mörderin an, sondern filmte aus einer Distanz, die nicht zuviel verriet. Genau an jenem Punkt wird der Zuschauer in die Irre geführt. Diese Twists mögen aus heutiger Sicht nichts Außergewöhnliches mehr sein, erzeugten ihrerzeit allerdings eine bislang nie dagewesene Form des Suspense Kinos. Wie stehen denn nach all den Ereignissen nun die Sympathien für Norman Bates? Eine Frage, die immer wieder aufgeworfen wird.

Die Rahmenbedingungen verstärken die ausgeklügelte Regie

Auf technischer Ebene ist Psycho bis heute State of the Art: Der Bildschnitt ist blitzsauber und Bernard Herrmanns musikalischer Einsatz hat dessen Leben überdauert. Wenn die Geschichten in ihren schockierendsten Momenten zur Höchstform aufläuft, dann ist es nämlich jeweils der überspitzte streicherbetonte Score, der dafür sorgt, dass der Zuschauer den Atem anhält. Dass Psycho überhaupt die Bedeutung des unsterblichen Klassikers erlangen konnte, ist nicht zuletzt den darstellerischen Leistungen zu verdanken. Mit der Rolle des Norman Bates fand Anthony Perkins die Rolle seines Lebens, die er in den Folgejahren drei weitere Male spielen durfte. Janet Leigh flößt ihrer Figur soviel Sympathie ein, dass uns ihr grausames Schicksal umso härter trifft. Ganz anders als in vielen heutigen Slashern, in denen Figuren entweder egal sind oder man sogar ihrem Ableben entgegenfiebert.

Fazit

Aus heutiger Sicht mag Psycho an vielen Stellen plump erscheinen. Um den Wert des Films zu schätzen, bedarf es daher einer unbedingten Berücksichtigung des Entstehungsalters. Psycho ist zurecht von allen Hitchcock-Werken bis heute am stärksten in der Popkultur verankert und verliert auch nach mehr als einem halben Jahrhundert nichts von seiner Faszination. Im Vergleich zu der ausgedehnten Einführung wirkt das Ende schon nahezu abrupt. In dieser Hinsicht bröckelt der Glanz minimal, doch sonderlich ins Gewicht fällt dies nicht. Die Geschichte mag hochgradig konstruiert sein, doch ist man erst einmal in der Handlung angekommen, begeistern viel stärker die Verkettung der Ereignisse und der wenig vorhersehbare Erzählverlauf. Hitchchocks Inszenierungsstrategien sind auch heute noch brillant.

Ayres

Ayres ist ein richtiger Horror- & Mystery-Junkie, liebt gute Point’n’Click-Adventures und ist Fighting Games nie abgeneigt. Besonders spannend findet er Psychologie, deshalb werden in seinem Wohnzimmer regelmäßig "Die Werwölfe von Düsterwald"-Abende veranstaltet. Sein teuerstes Hobby ist das Sammeln von Steelbooks. In seinem Besitz befinden sich mehr als 100 Blu-Ray Steelbooks aus aller Welt.

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