Dunkirk
Wenn Christopher Nolan (Interstellar) einen neuen Streifen dreht, dann ist die ganze Filmwelt gespannt. Zum ersten Mal wagte sich der Regisseur an ein historisches Thema, allerdings gab er selbst zu, dass es sich um Dunkirk um keinen Kriegsfilm handelt. Doch was will er dann erzählen, wenn er sich schon die Geschehnisse um Dünkirchen aussucht, welche im Zweiten Weltkrieg für eine unerwartete Wendung sorgten. Seit dem 14. Dezember 2017 ist der Film für das Heimkino erhältlich und spaltet die Filmgemeinde. Denn während die einen ihn als intelligentes Filmerlebnis empfinden, sehen ihn vor allem Geschichtsfans als Desaster.
Im Juni 1940 hat das deutsche Kriegsheer die nordfranzösische Hafenstadt Dünkirchen vollständig eingekesselt. Die französischen Soldaten halten tapfer die Stellung, während am Strand die englischen Männer darauf warten, evakuiert zu werden. Zwar liegt England — und somit die Heimat — nur einen Katzensprung entfernt, doch gibt es viele Probleme: Die deutsche Luftwaffe setzt alles daran, die ankommenden Schiffe zu versenken; Wasserminen und die von U-Boot abgeschickten Torpedos tun ihr übriges. Doch Rettung naht, denn die Royal Air Force schickt Spitfire Flugzeuge um den Luftraum zu sichern, während die Royal Navy jeden noch zu kleinen Kutter dazu bewegt, sich Richtung Dünkirchen aufzumachen. Doch kommt die Rettung noch rechtzeitig?
Kein Hauptcharakter
Für Christopher Nolan war von Anfang an klar, dass es in diesem Film keinen Hauptcharakter geben wird. Doch versagt dieses Konzept gleich an mehreren Punkten, denn der Zuschauer folgt der Geschichte über doch einzelnen Figuren. Da wäre der englische Infanteriesoldat (Fionn Whitehead), der zwar in allen Datenbanken als Tommy betitelt wird, dessen Namen wir im Film aber gar nicht erfahren. Er schafft es mit Müh und Not an den Strand von Dünkirchen und entdeckt dort einen anderen Soldaten, der geraden einen seiner Kameraden im Sand vergräbt. Diese beiden Figuren stehen symbolisch für alle Soldaten, die am Strand darauf warten, abgeholt zu werden. Von England losfahrend verfolgen wir die Geschehnisse auf dem Wasser über das kleine Privatboot von Mr. Dawson (Mark Rylance, Bridge of Spies: Der Unterhändler), seinem Sohn Peter (Tom Glynn-Carney) und dessen Freund George Mills (Barry Keoghan, The Killing of a Sacred Deer). Im Luftraum fliegen wir mit einer Spitfire Staffel — die komischerweise nur aus drei Maschinen besteht! — und schon im ersten Gefecht um einen Piloten reduziert wird. So bleiben noch der von Tom Hardy (Taboo) gespielte Farrier und Collins, welcher von Jack Lowden (Krieg und Frieden TV) verkörpert wird.
Kein aufkommendes Drama
In der Laufzeit von 106 Minuten werden diese Figuren jedoch kaum vertieft, so dass sie dem Zuschauer herzlich egal sind und sich somit auch die Dramatik nicht wirklich aufbauen will. Hinzu kommt, dass gerade die Szenen am Strand kaum das Bild wiedergeben wollen, welches damals wirklich vorherrschte. Die Soldaten stehen gelangweilt am Strand herum und selbst als drei deutsche Jagdflugzeuge Bomben abwerfen, bewegen sich diese zu gemütlich in Deckung. Scheinbar reichte auch schon der Anblick des Feindes, um den Soldaten ihre Stimmen zu nehmen. Kein einziger Schrei geht durch die Menschenmenge und noch weniger brüllt jemand vor Schmerzen, wenn eine Person getroffen worden ist. Der rote Lebenssaft scheint den Engländern eh ausgegangen zu sein, denn selbst als eine Granate einen Mann durch die Luft schleudert, bleibt dieser blutleer. Man kann es daher nicht anders sagen, als dass der Versuch, ein solches Szenario ohne Blut darzustellen, einfach in die Hose geht. Krieg ist brutal, grausam und schrecklich mit anzusehen! Ihn in eine FSK 12 zu zwängen, nimmt der Geschichte seinen Schrecken. Da nützt es auch nichts, wenn man auf dem Privatboot ein kleines Drama aufbaut, weil ein unter Schock stehender Soldat einen der Jungen schubst und der beim Sturz eine Kopfverletzung erleidet.
Eine Woche, ein Tag, eine Stunde
Originaltitel | Dunkirk |
Jahr | 2016 |
Land | Deutschland, USA, UK, Niederlande |
Genre | Action, Drama, History |
Regisseur | Christopher Nolan |
Cast | Tommy/ englischer Infanterie Soldat: Fionn Whitehead Peter: Tom Glynn-Carney Collins: Jack Lowden Alex : Harry Styles Gibson: Aneurin Barnard Colonel Winnant: James D’Arcy George: Barry Keoghan Farrier : Tom Hardy Mr. Dawson: Mark Rylance |
Laufzeit | 106 Minuten |
FSK |
Wieder einmal greift Nolan auf das Konzept der Zeit zurück, welches er schon in Inception oder Memento verwendet hatte. Die Strandszenen stehen symbolisch für eine ganze Woche, die es gedauert hat, um die Soldaten am Strand zu evakuieren. Das Privatboot hingegen für den Tag, den es brauchte, nach Frankreich überzusetzen und die englische Flugstaffel, hat nur für eine Stunde Sprit und nimmt damit, die kürzeste Zeitspanne ein. Daher überschneiden sich Szenen immer wieder, doch stellt sich die Frage, ob das überhaupt nötig gewesen wäre. Wenn man am Ende vom Film nämlich darüber nachdenkt, fällt einem auf, dass insgesamt die Geschichte sehr handlungsarm ist. Noch dazu wirken gerade die Strandszenen wie maximal zwei Tage, was durch einen zu leeren Strand suggeriert wird. Ein Blick auf historische Fotos zeigt, dass die Engländer ihre ganze Ausrüstung zurücklassen mussten und dadurch der Strand zur Müllhalde wurde. Zum anderen müssten viel mehr Leichen am und im Wasser zu sehen sein. Schließlich wurden pausenlos Bomben von deutschen Fliegern abgeworfen. Gut, in diesem Film fliegen hin und wieder einmal zwei Maschinen über die Wartenden hinweg, um zwei, drei Bomben abzuwerfen. Da ist dann klar, warum der Strand so leer ist. Immerhin, der Untergang von Booten erzeugt Dramatik, so dass der Zuschauer dort gepackt wird.
Geschichtliche Fakten
Man fragt sich nicht nur einmal, warum sich Christopher Nolan dieses Thema ausgesucht hat. Vor allem, weil er viele der geschichtlich interessanten Dinge gar nicht erst anspricht. So versuchen noch heute Historiker herauszubekommen, warum Adolf Hitler den Haltebefehl für seine Panzerdivisionen gegeben hat. Hätte er diesen nicht gegeben, hätte Deutschland Dünkirchen eingenommen und es wäre nie zu so einer erfolgreichen Rettung der englischen Soldaten gekommen. Viele gehen davon aus, dass der Zweite Weltkrieg dadurch ganz anders verlaufen wäre. Was das Deutsche Feindbild angeht, so bleibt es hier leider komplett gesichtslos. Noch bedauerlicher ist, dass von den 400.000 französischen Soldaten, welche die Stellung hielten, kaum etwas zu sehen ist. Dabei waren es gerade diese Männer, die die Stadt Dünkirchen verteidigten und schwere Verluste eingefangen haben. Im Film selbst sehen wir nur einen einzigen unfreundlichen Verteidigungsposten und einen weiteren Franzosen, der es gewagt hat, sich in einer englischen Uniform unter die am Stand Wartenden zu mischen. Kein Wunder also, dass der Film in Frankreich nicht gut weg kam.
Geschichtliche Fehler
Was Geschichtsfans vor allem richtig sauer aufstößt, dass sind die vielen Fehler, die sich eingeschlichen haben. Nehmen wir alleine einmal das Flugzeug Messerschmitt BF 109, welches auf Seiten der Deutschen den Luftraum unsicher machte. Nolan wählte zum besseren Unterscheiden leider eine Hispano Buchon, dem spanischen Lizenznachbau eines solchen Jägers, der eine gelbe Nase besitzt und zu Zeiten von Dünkirchen noch gar nicht gebaut worden ist. Damit kann man aber noch leben, denn historische Korrektheit ist in Filmen selten gegeben. Ob es nun der seltsame Tiger-Panzer in Der Soldat James Ryan ist, oder die singende SS-Einheit, die in Ein Herz aus Stahl noch kurz vor der bedingungslosen Kapitulation fröhlich durch die Gegend marschiert. Etwas negativer stößt da schon auf, dass die Maschine von Farrier, gefühlt den halben Film ohne Sprit fliegt.
Klangwelten der Monotonie
Hans Zimmer konnte sich bei diesem Film richtig austoben, denn da kaum Dialoge vorhanden sind, ist es seine Musik, die sich in den Vordergrund drängt. Und zwar auf ziemlich aufdringliche Weise! Zimmer hat einen Teil der Lieder mit einer aufgenommenen tickenden Uhr versehen, so dass der Hörer unweigerlich an ein Echolot denken muss. Diese endloslangen gleichklingenden Stücke gehen einem aber leider irgendwann sehr auf die Nerven. Vor allem, wenn die Lieder anfangen, dramatisch zu werden, es aber gar keine passenden Szenen dazu im Film gibt. Hoyte van Hoytema lieferte hingegen einen guten Job an der Kamera ab. Gerade einige Blickwinkel am Strand sind gut eingefangen. Bei den schlechten CGI Szenen hingegen fragt man sich, was los war. Gerade Nolans letzter Film Interstellar war ein optisches Wunderwerk, wohingegen man hier schon seine Brille vergessen muss, um nicht zu sehen, wie schlecht die Flieger hier und dort in den Himmel programmiert worden sind.
Fazit
Ich mag die Filme von Nolan sehr gerne und besitze einige in meiner Sammlung. Doch ich bin sehr froh, Dunkirk nicht gekauft zu haben. Mir persönlich fehlen einfach greifbare Figuren, um dennen ich mitfiebere, weil sie mir sympathisch vorgestellt worden sind. Hier finde ich lediglich die Geschehen um die englischen Piloten spannend, weil diese in Gefechte verwickelt werden und noch dazu Namen und etwas Charakter besitzen. Die Jungs am Strand konnte kann ich hingegen nicht einmal auseinander halten. Mir fehlten Dialoge oder überhaupt menschliche Geräusche wie Schreie. Die Strandszenen wirkten so unreal, dass ich mich echt frage, was man mir da erzählen möchte. Von der nervigen, über alles dominierenden Musik mal abgesehen, passiert auch einfach zu wenig für einen 106 Minuten Film! Das Spiel mit den Zeiten war in meinen Augen total verschwendet. Im Nachhinein muss ich sogar eher darüber lachen, dass für das Verständnis dieses Effekts am Anfang eine Erklärung notwendig ist. Ohne diese versteht man noch weniger. Wenn ich Memento dagegen halte, in dem wirklich intelligent mit dem Spiel um Zeit umgegangen wird, wirkt dieser Film einfach stümperhaft. Dunkirk ist schlicht langweilig, nervig und totale Zeitverschwendung.
Zweite Meinung:
Mittlerweile hat sich der Name von Christopher Nolan schon so sehr etabliert, dass er wohl nicht nur bei mir das Gefühl auslöst, einen Film allein deswegen schon sehen zu wollen. Dunkirk reiht sich gut ein in seine Filmografie und steht meiner Meinung nach anderen Nolan Filmen um nichts nach, obwohl er in seiner Art doch relativ anders ist. Dabei darf man den Film wohl nicht als richtigen Geschichtsfilm betrachten. Ob der Film wirklich versucht akkurat zu sein bezweifle ich: Dies fängt schon damit an, dass über den gesamten Film kein einziger deutscher Flieger ein Haken- oder Balkenkreuz aufgemalt hat. Die Deutschen werden immer nur als “der Feind” bezeichnet und nie gezeigt, auch am Ende bleiben sie gesichtslose Soldaten, gerade deswegen womöglich ominöser und unheimlicher. Ich sah Dunkirk vielmehr als Erfahrung für den Zuschauer, sich 106 Minuten lang in einer Kriegssituation zu befinden und sich in den armen namenlosen, fast den Zuschauer stellvertretenden Protagonisten hineinzuversetzen. Der Soundtrack vermittelt die Stimmung eindringlich und der heutige hohen Stand des Filmmachens macht es möglich, dass man absolut mitfiebert (Beispiel: Die Kampfaufnahmen in der Luft). Dass hier stilistisch auf Blut verzichtet wird tut dem Ganzen in meinen Augen auch nichts zu Bruch, denn es ist trotzdem furchtbar, zahlreiche Soldaten beim lebendigen Verbrennen, Ertrinken und sonstigen Sterben zuzusehen. Einzig von der Tatsache, dass die Charaktere wenig ausgearbeitet sind (angeblich Absicht, um gewisse Stereotype von Kriegsfilmen zu vermeiden), weiß ich nicht, was ich halten soll. Einerseits ist es natürlich realistisch, andererseits bringt man so eventuell weniger Empathie auf. Ich bezweifle zwar, ob Dunkirk einen besonders hohen Rewatch-Wert hat, aber ich bin durchgehend gespannt im Kino gesessen.