Climax

Es gibt Regisseure, die verschrien sind, skandalöse und eigenwillige Filme zu produzieren. Dazu genügt oftmals allein deren Name als Etikett, und der Zuschauer weiß, auf was er sich einlässt. Zu solchen Regisseuren zählen Lars von Trier, Nicolas Winding oder eben auch Gaspar Noé. Durch seine umstrittenen Werken Menschenfeind und Irreversible erwarb sich der argentinische Filmemacher in Europa einen Ruf als Skandal-Regisseur. Mit diesem Wissen kann man sich auch auf Climax einlassen, der im Festivaljahr 2018 die Leinwände eroberte und im April 2019 schließlich für den Heimmarkt erschien. Dieses Mal ist es Noé im Gegensatz zu seinem letzten Film Love gelungen, seinen zwang­haften Drang zum unbe­dingten Skandal stimmig in die Handlung zu inte­grieren. Es folgen Exzess, Extase, Klimax.

Bevor sie sichzu einer Tournee in den USA aufmachen, feiert die Tanzgruppe um Selva (Sofia Boutella, Hotel Artemis) und Choreografin Emmanuelle (Claude Gajan Maull, Woke) am Vorabend ihrer Tournee in einer Veranstaltungshalle. Die Beats wummern, die Stimmung ist ausgelassen, jeder zeigt, was er kann. Bei dieser ausgelassenen Stimmung dürfen auch Alkohol und Drogen nicht fehlen. Doch einer leichten Ekstase folgt ein höllischer Trip. Jemand hat LSD in die Bowle gemischt. Der Abend eskaliert minütlich: Sex, Drogen, Gewalt, Musik und Ausdruckstanz. Unterschwellige Gelüste treten hervor und Hemmungen fallen. Sex und Begierde, über alle Geschlechter und Beziehungen hinweg. Es beginnt ein menschlicher Horrortrip.

Die Bedürfnisse des Einzelnen

Originaltitel Climax
Jahr 2018
Land Frankreich
Genre Drama, Horror, Musik
Regisseur Gaspar Noé
Cast Selva: Sofia Boutella
Daddy: Kiddy Smile
David: Roman Guillermic
Lou: Souheila Yacoub
Emmanuelle: Claude Gajan Maul
Gazelle: Giselle Palmer
Taylor: Taylor Kastle
Psyche: Thea Carla Schott
Laufzeit 97 Minuten
FSK

Climax entfernt sich frühzeitig davon, ein klassischer Horrorfilm zu sein oder für Massenpanik zu sorgen. Im Gegenteil: Im Zentrum steht das Individuum und dessen Bedürfnisse, die durch die Einnahme des Halluzinogens befeuert werden. Zu Beginn des Films gibt es eine lange Sequenz mit Interview-Schnipseln, die auf einem Röhrenfernseher abgespielt werden. Neben dem Gerät selbst sind zeitgemäß dutzende VHS-Kassetten gestapelt, darunter auch Dario Argentos Suspiria. Eine kleine Referenz, die untermauert, dass der Regisseur nicht in einem luftleeren Raum inszeniert, sondern durchaus Vorbilder zur Orientierung heranzieht. Inspiration fand der Regisseur auch in einer Schlagzeile der 90er, die eine ähnliche Ausgangssituation beschrieb. Ein pessimistisches Weltbild, das den Menschen irgendwo in einem Spannungsfeld aus unterdrückten Urinstinkten und gesellschaftlichen Zwängen verortet.

Kontrollverlust

LSD (auch Acid genannt) verändert nicht einfach nur die Sinne und Wahrnehmungen. Es besitzt eine katalysatorartige Wirkung, welche ein emotionales Ungleichgewicht in eine Richtung kippen lassen kann. Reize für Konflikte und Auseinandersetzung gibt es zur Genüge. Die Drogen bauen jegliche Barrieren ab, die der Mensch um sich herum errichtet. Ab hier wird es auch ebenso anstrengend: Gewalt, viel Gebrüll und zudem die Anwesenheit eines Kindes, was vieles gleich doppelt so plaktiv macht. Sexistische und erniedrigende Dialoge inklusive. Also das volle Paket, was man von einem Skandalfilm erwartet. Nur in Sachen Gewalt schlägt Noé nicht so sehr über die Strenge, wie er es könnte. Dafür gibt es deftige Themen: Leben, Tod, Selbstmord, Identität, Sex, Kollektiv und Individuum. Essenzielle Themen, die in diesem Rahmen eine Schwere entwickeln, die einem vor Augen führen, dass dieser Abend nicht mehr gut ausgehen kann. Eine riesige französische Flagge glitzert im Hintergrund vor dem DJ-Pult, während sich der menschliche Reigen zu einer Naturgewalt entwickelt.

Zwischen Orgie und Delirium

Gaspar Noé ist ein Künstler. Nicht im Sinne des Schönen, sondern des Ästhetischen. Er legt großen Wert auf ausdrucksstarke Bilder und auch auf einen stimmungsvollen Soundtrack, der auf elektrisierende Bässe setzt. Dadurch entsteht eine Sogwirkung, die besonders authentisch ist, wozu auch die Partycrowd erheblich beiträgt. Die meisten Darsteller sind keine ausge­bil­deten Schau­spieler, sondern einfach die besten Tänzer, die Noé für den Dreh gewinnen konnte. Dementsprechend hinterlässt die Eingangsszene einen entsprechenden Eindruck beim Zuschauer, denn hier wird verbogen und verrenkt, was das Zeug hält. Immer mit dabei: die tänzelnde Kamera von Noés Stammkameramann Benoît Debie. Mal ist sie wie angewurzelt und starrt auf das Geschehen. Mal stürzt sie sich in die Wogen eines Meeres aus Körpern. Bis auf einige vergleichsweise kürzere Abschnitte laufen die Geschehnisse in Climax in Echtzeit ab – ohne Schnitt, sondern in extrem langen Einstellungen. Das gibt einem das Gefühl, selbst Teil der Party-Orgie zu sein und den Alptraum am eigenen Leibe miterleben zu müssen. Die Dialoge wurden überwiegend improvisiert um den Darstellern mehr Möglichkeiten zu geben, sich in ihrer Rolle zu entfalten.

Fazit

Eine goldene Mitte findet man bei Climax nicht. Für die einen Zuschauer ein ätzender Egotrip, für die anderen ein faszinierendes Einzelstück, das sich fesselnd und intensiv anfühlt. Wie auch immer man zu dem Resultat steht: Climax nimmt apokalyptische Dimensionen an. Wer zwingend eine Geschichte benötigt, wird nicht glücklich mit dem Film werden – trotz der Einzelschicksale, die ihren Weg auch in die Tänze finden. Die Figuren sind austauschbar, trotz der Wünsche und Träume, von denen sie uns in ihrem Castingvideo erzählen. Climax muss als Erfahrung mit- und wahrgenommen werden. Wer sich darauf einlässt, wird mit einem grotesken Psychotrip und sehenswertem Körperkino belohnt.

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Ayres

Ayres ist ein richtiger Horror- & Mystery-Junkie, liebt gute Point’n’Click-Adventures und ist Fighting Games nie abgeneigt. Besonders spannend findet er Psychologie, deshalb werden in seinem Wohnzimmer regelmäßig "Die Werwölfe von Düsterwald"-Abende veranstaltet. Sein teuerstes Hobby ist das Sammeln von Steelbooks. In seinem Besitz befinden sich mehr als 100 Blu-Ray Steelbooks aus aller Welt.

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