Bad Hair – Waschen, schneiden, töten
Was ist noch schlimmer als ein schlechter Tag? Ganz klar, ein Bad Hair Day. Wenn die Haare meinen, über Nacht eine Party feiern zu müssen, und sich partout nicht bändigen lassen. Die nächste Stufe des Kontrollverlusts: Mordende Extensions. Justin Simien (Dear White People) nutzt seine Horror-Satire Bad Hair, um gesellschaftliche Missstände der 80er herauszuarbeiten. Damit tritt er in die imaginären Fußstapfen von Jordan Peele (Get Out, Wir) und versucht, das Horror-Genre als Bühne für seinen Vertreter des Black Cinema zu nutzen. Ob die Geschichte wie Peeles Werke auch bis in die Haarspitzen kraftvoll ist, besprechen wir in diesem Review. Als Teil der Fantasy Filmfest Nights 2021 können sich Interessierte am 19. bzw. 25. Juni 2021 einen Eindruck von dem Film verschaffen, ehe er am 25. Juni regulär in den Handel kommt.
Los Angeles im Jahr 1989: Die junge Afroamerikanerin Anna (Elle Lorraine, Dear White People) arbeitet als Assistentin bei einem Musiksender. Ihr Ehrgeiz soll sie bei ihrer weiteren Karriereplanung unterstützen, doch sie erfüllt zwei Kriterien nicht, um den nächsten Schritt auf der Karriereleiter zu erklimmen: Sie ist nicht männlich und hat obendrein die falsche Hautfarbe, um als VJane durchzustarten. Ihre neue Chefin Zora (Vanessa Lynn Williams, Ugly Betty) rät Anna zu einem Umstyling. Eine Haarverlängerung könnte dabei helfen, ihre Attraktivität zu steigern. Anna willigt sofort ein und überzeugt kurz darauf alle mit ihrer neuen Mähne. Ihre Karriere fordert aber ihren Preis, denn die neuen Haare besitzen ein Eigenleben und verfolgen mörderische Ziele …
Gesellschaftliches Gefälle
Originaltitel | Bad Hair |
Jahr | 2020 |
Land | USA |
Genre | Horrorkomödie |
Regie | Justin Simien |
Cast | Anna Bludso: Elle Lorraine Zora: Vanessa Lynn Williams Julius: Jay Pharoah Brook-Lynne: Lena Waithe Sista Soul: Yaani King Amos Bludso: Blair Underwood Virgie: Laverne Cox |
Laufzeit | 102 Minuten |
FSK | |
Veröffentlichung: 25. Juni 2021 |
Bad Hair ist ein besonderer Exot. Streift man einmal den (haarigen) Mantel der Mörderfrise ab, befindet sich eine Menge Gesellschaftskritik unter der Haube. Fehlende Chancengleichheit, die Benachteiligung von Frauen und versteckter Rassismus mitten im Berufsleben. Das alles eingebettet in die späten 80er, die noch weit von unserer heutigen modernen und aufgeklärten Gesellschaft entfernt sind, welche zwar auch noch immer vieles aufzuholen hat, aber eben doch ein ganzes Stück weiter ist als 30 Jahre zuvor. Die Black Culture-Einflüsse sind überall vorhanden, bedeuten aber nicht, dass dies Hand in Hand mit Gleichstellung und Inklusion geht. Mit Elle Lorraine steht eine Hauptdarstellerin vor der Kamera, welche diese Themen auf eine glaubhafte Weise vertritt und von einem Cast umgeben ist, der sich durch die Bank sehen lassen kann. Promi-Auftritte von Usher und Kelly Rowland sind dabei nur die Kirsche auf der Torte.
Hip Hop und Folklore
Regisseur Justin Simien orientierte sich laut eigenen Aussagen an seinen liebsten Horrorfilmen: Rosemaries Baby, Die Dämonischen und The Wicker Man. Deren Ansätze lassen sich mal mehr, mal weniger stark ausgearbeitet in seiner Produktion wiederfinden, am ehesten aber die Körperfresser aus Die Dämonischen. Vor allem aber sollte die Produktion auch eine Hommage an die 80er sein. Mittlerweile nichts Besonderes mehr, schließlich blickt man medial auf ein breites Feld an Titeln, die das Jahrzehnt der Schulterpolster zelebrieren. Trotzdem zollt Bad Hair einer Facette Tribut, die in anderen Filmen noch nicht zur Genüge ausgeschlachtet wurde: Der Verbreitung zeitgenössischer Musik über das Musikfernsehen. MTV und Co., etwas, das die heutige Jugend gar nicht mehr kennt, was in den späten 80ern und frühen 90ern größte Popularität besaß. Dementsprechend ist auch der Soundtrack zeitgemäß aufgeladen mit beinahe nostalgischen Hip Hop-Beats, die man entweder mag oder nicht, die in jedem Fall aber zur Tonalität und Stimmung des Films passen. Was anderen Filmen nur in Ansätzen gelingt, nämlich wirklich den Geist der Ära heraufzubeschwören, atmet Bad Hair mit jeder Pore.
Die Haare bloß nicht schmutzig machen
Trotz der hohen Ambitionen an die Handlung erleidet Bad Hair regelrecht Schiffbruch am eigenen Pacing: Die erste Hälfte kommt kaum in die Gänge und nach hinten hinaus fehlt es dann an Kraft. Auch wenn die von den meisten Zuschauern langersehnten Kills dann stattfinden, bleibt ein großer dramatischer Höhepunkt einfach aus. Das hat vor allem den Grund, dass sich der Film weder in Sachen Darstellung noch hinsichtlich kreativer Kills so richtig die Hände schmutzig machen will. Bereits 2007 bewies Regisseur Shion Sono mit EXTE: Hair Extensions, dass sich auch aus dieser haarigen Angelegenheit eine Menge mehr herausholen lässt. Was versprechen sich Zuschauer*innen von einem solchen Film, wenn nicht jede Menge dumpfer und bluthaltiger Tötungen? Bad Hair versucht die Herkunft der mörderischen Haare noch mit ein wenig Folklore zusammenzubringen, doch insgesamt bleibt die Entwicklung zu verhalten und der Fokus will sich nicht einstellen.
Fazit
Nimmt man einmal die hohe Ambition des Female Empowerments weg und lässt auch die Black Cinema-Anleihen beiseite, präsentiert sich Bad Hair als sich selbst viel zu ernst nehmender Film, bei dem der Eindruck entsteht, dass er sich trotz haarsträubender Wendungen zu gut ist, um wirklich je in Trash-Gewässer abzudriften. Ein Film muss sich nicht zwingend für die eine oder die andere Seite entscheiden. Nur: Killer-Haar-Trash und Black Community-Gesellschaftskritik sind zwei so unterschiedliche Schuhpaare, dass die Festlegung eines Kurses für eine der beiden Richtungen hilfreich gewesen wäre. So bleiben am Ende die Trash-Fans hungrig zurück und ob der plakative Titel wirklich Zuschauer*innen mit Anspruch an Gesellschaftssatire anlockt, ist auch fraglich. Wofür der Film aber Lorbeeren einheimst, ist das Einfangen des Spät-80er-Zeitkolorits.
© Leonine Distribution
Veröffentlichung: 25. Juni 2021