Königsfall (Band 1): Die Geisel

Das Feld der Fantasy bietet viele Geschichten von Ländern, die im Krieg miteinander liegen, und Helden, die auf den ersten Blick nicht als solche erkennbar sind. Kann Jeff Wheeler sich mit seinem Roman Königsfall – Die Geisel, dem ersten Band seiner Königsfall-Trilogie, aus der Masse hervorheben und beim Leser einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen? Immerhin ist sein Held ein achtjähriger Junge, und aus dessen kindlicher Perspektive wird die Geschichte erzählt. Da ist einiges an schriftstellerischem Talent vonnöten, damit die Erzählung den erwachsenen Leser zu fesseln weiß. Vorweg gesagt: Königsfall – Die Geisel schafft genau das.

 

Frieden gibt es in Ceredigion schon seit Jahrhunderten nicht mehr. Mit den Nachbarländern gibt es Krieg, das Leben am Hof ist geprägt von Missgunst und Intrigen. König Severn Argentine, der den Thron mit Gewalt erobert hat, herrscht mit eiserner Hand. In dieses ungesunde Klima kommt der achtjährige Owen Kiskaddon als Geisel, da seine Eltern als Verräter betrachtet werden. Zunächst fürchtet Owen sich vor dem neuen Leben in Königsfall. Doch dann lernt er die im Verborgenen lebende Ankarette kennen, die Giftmischerin der vorherigen Königin. Ankarette nimmt Owen unter ihre Fittiche und sorgt dafür, dass seine Überlebenschancen unter dem unberechenbaren König steigen. Außerdem findet Owen in Elysabeth, einem gleichaltrigen Mädchen, eine gute Freundin, die ihm bei seinen Abenteuern zur Seite steht und es sich in den Kopf gesetzt hat, ihn zu heiraten. Je länger Owen im Palast lebt, desto mehr erfährt er über die Ränke und Intrigen in Ceredigion. Und er entdeckt, dass er zu den Gesegneten der Quelle gehört, die eine besondere Gabe erhalten haben – ebenso wie König Severn.

Mit den Augen eines Kindes

Originaltitel The Queen’s Poisoner (The Kingfountain Series)
Ursprungsland USA
Jahr 2016
Typ Roman
Band 1 von 3
Genre Fantasy
Autor Jeff Wheeler
Verlag Heyne

Die Geschichte in Königsfall – Die Geisel wird hauptsächlich aus der Perspektive des achtjährigen Owen berichtet. Was er beobachtet, hört oder sich zusammenreimt, das passt in seine kindliche Welt. Die weit verzweigten Fehden und Ränke am Hof in Königsfall wirken dadurch noch undurchsichtiger und verwickelter, als sie ohnehin schon sind. Doch lässt die Erzählweise von Jeff Wheeler (Die Elenden von Muirwood), die durchaus nicht ins Kindliche abdriftet, den Leser mehr wissen oder zumindest erahnen, als das, was Owen bewusst wird. Mit den Charakteren Ankarette und Elysabeth weitet sich für den Leser das Sichtfeld. Ankarette ist mit Intrigen vertraut und handelt – für den Leser deutlich erkennbar – mitunter höchst manipulativ. Elysabeth besitzt eine andere, ebenfalls kindliche Sicht auf die Dinge, die sich oft nicht mit der von Owen deckt. Außerdem beginnt jedes neue Kapitel mit einer kleinen Notiz des Spions Dominic Mancini, eines Mannes, der den Geschehnissen mit Sarkasmus und einer gewissen Gleichgültigkeit begegnet. Dadurch erhält der Leser scheinbar neutrale Hintergrundinformationen, die Owen nicht besitzt, und ist ihm so zumindest eine Nasenlänge voraus.

Vielschichtige Charaktere mit vielen Masken

Die Charaktere in Königsfall – Die Geisel wirken vielschichtig und zeigen im Laufe der Erzählung häufig neue Gesichter, die dazu führen, dass der Leser seine Meinung über die Personen noch einmal überdenken kann. So wirkt Ankarette sowohl verschlagen und hinterlistig als auch aufrichtig und fürsorglich. Wer sich von Elysabeth zu Beginn überfahren fühlt und sie als plappernde Nervensäge abtut, der wird später entdecken, dass sie ebenso mutig wie treu ist und sich einer einmal begonnenen Aufgabe bedingungslos verschreibt. Der fette Mancini scheint unambitioniert, während er sich durch die Vorratskammer der Palastküche futtert und über jede an ihn gestellte Aufgabe lamentiert. Und doch steckt mehr hinter dem faulen Gesellen, als auf den ersten Blick sichtbar wird. Einzig Owen wirkt von Anfang an klar definiert, was es dem Leser leicht macht, sich auf ihn einzulassen und sich gemeinsam mit ihm der Herausforderung zu stellen, hinter die Masken um ihn herum zu schauen und in Königsfall zu überleben.

Fazit

In meiner Wahrnehmung habe ich auf der ersten Seite von Königsfall – Die Geisel ein- und erst auf der letzten Seite wieder ausgeatmet. Aufgewachsen mit so großartigen Erzählern wie Tolkien, Zimmer Bradley oder Sturgeon passiert es mir heute nicht mehr oft, dass ein Buch mich derart zu fesseln vermag, dass ich es vor dem Ende einfach nicht mehr aus der Hand legen kann. Jeff Wheeler hat mit seinem ansprechenden Setting, lebendigen Charakteren, einer stringent erzählten Handlung und einem einfach wunderbaren Gefühl für Sprache genau das geschafft. Dahingehend bin ich Johan Birken wirklich dankbar, der die Übersetzung aus dem Amerikanischen vorgenommen hat und sehr feinfühlig mit dem Original umgegangen ist. Königsfall – Die Geisel hat mich einfach mitgerissen, und ich freue mich schon riesig darauf, den zweiten Band Königsfall – Der Paladin zu lesen.

© Heyne

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