Japan sinkt: 2020

In Japan bebt die Erde rund 5.000 mal im Jahr. Das Land liegt auf dem Pazifischen Feuerring, wo die Kontinentalplatten aufeinanderstoßen, was Vulkane ausbrechen und die Erde beben lässt. Deswegen kommt es auch wenig überraschend, dass diese Thematik immer wieder in der Literatur aufgegriffen wird und dort ihren Höhepunkt in dem 1972 erschienen Roman Japan Sinkt von Sakyo Komatsu fand, der bereits zweimal verfilmt wurde. Mit Japan Sinkt: 2020 brachte Netflix den Stoff ins 21. Jahrhundert und auch zum ersten Mal in Form einer Animeserie. Regisseur Masaaki Yuasa und das Animationsstudio Science Saru waren schon für die umstrittene Serie Devilman: Crybaby verantwortlich und auch Japan Sinkt: 2020 ist eine Produktion, die Meinungen spaltet.

Eine Katastrophie biblischen Ausmaßes stürzt Japan aus dem Nichts in ins Verderben: Die gesamte Insel droht im Meer unterzugehen. Unter den flüchtenden Massen befindet sich auch Familie Muto, die um das nackte Überleben kämpft. Plötzlich zählen die Fähigkeiten jedes Einzelnen, wie auch die 14-jährige Ayumu feststellen muss. Sie selbst ist als Athletin hochsportlich, ihr Bruder Go erfahren in Videospielen, Mutter Mari hält die Familie mit ihrer positiven Einstellung zusammen und Vater Koichiro wird seine Talente erst noch entwickeln …

Japan versinkt in schlechter Animationsqualität

Originaltitel Japan Sinks: 2020
Jahr 2020
Episoden 8 in 1 Staffel
Genre Drama
Regie Masaaki Yuasa
Studio Science SARU
Veröffentlichung: 9. Juli 2020 auf Netflix

Netflix ist hochinteressiert an Originalstoffen aus dem fernen Japan und erweist sich als gerne gesehener Sponsor bei japanischen Studios. Studio Saru und der stilistisch zügellose Regisseur Yuasa scheinen die ideale Konstellation für ungewöhnliche Stoffe zu sein. Dann noch mit einem international preisgekrönten Roman im Nacken, stehen die Chancen für Japan Sinkt: 2020 zunächst einmal nicht schlecht. Wie schon in Devilman Crybaby bricht der Regisseur hier mit den Sehgewohnheiten der Zuschauer. Auf visueller Ebene geschieht dies durch den lebendigen Zeichenstil: Die Figuren sind nur spärlich animiert und weit von dem gängigen Schema “große Augen, bunte Haare” entfernt. Annähernd realistisch gehalten, ohne aber sonderlich detailliert gestaltet zu sein. Diese Armut an Details lud scheinbar auch in der Produktion dazu ein, nicht allzu penibel mit der Qualität der Animationen umzugehen: Unsaubere Keyframes, dahingeschluderte Bewegungsabläufe und nur allzu oft auch unsauber zusammengesetzte Gesichter sind das Ergebnis des mutigen Experiments. Dabei kann man nicht einmal sagen, dass die Serie grundsätzlich ein Budgetproblem hätte: Die Hintergründe wissen meistens zu überzeugen, weisen gelungene Beleuchtungseffekte auf. Umso stärker ist das Gefälle, wenn die in 90% aller Fälle anatomisch unförmigen Figuren sich durch diese Backgrounds bewegen müssen. Obendrein arbeitet die Serie mit überdurchschnittlich vielen Standbildern, was den Eindruck schließlich ergänzt: Aus Animationssicht ist Japan Sinkt: 2020 eine Katastrophe

Die Folgen für den Menschen im Umbruch

Inhaltlich bricht Japan Sinkt: 2020 ebenfalls mit den Erwartungen. An einigen Stellen beweist das Drehbuch durchaus Mut und entledigt sich (teilweise sogar unerwartet früh) einiger Figuren, deren Tod nicht unbedingt absehbar ist. Erfreulicherweise umschifft die Handlung sogar trashige Szenen, wie man sie aus anderen Katastrophentiteln von Roland Emmerich oder Irwin Allen kennt. Das muss der Produktion zugutegehalten werden: Der Fokus liegt weniger darauf, ständig Familienmitglieder in Action zu sehen (böse Zungen würden behaupten, dass dies auch mehr Animationsbudget verschlungen hätte), sondern stärker auf dem Zwischenmenschlichen: Was sind die Folgen für den Menschen, der seine Heimat von heute auf morgen hinter sich lassen muss? Die psychologischen Aspekte wissen zu gefallen und durch die Augen der reflektierten Ayumu werden einige interessante Gedankengänge angestoßen. Ohnehin sind die Begegnungen mit den vielen Nebenfiguren der eigentliche Höhepunkt der Geschichte, denn in dieser Ausnahmesituation wird jedem Schicksal, das das eigene kreuzt, besonders viel Bedeutung beigemessen.

Inkonsequentes Wechselbad der Gefühle

Was die Serie schließlich daran hindert, etwas Größeres zu werden, ist der inhaltlich unausgegorene Mix aus fehlender Angemessenheit gegenüber der Situation, füllerartigen Subplots und Cheesyness. Einige Szenen sind teilweise regelrecht zum Fremdschämen: Da stirbt gerade eine der Hauptfiguren und fünf Minuten später ist die Stimmung wieder im Grünen, weil ein Influencer mittels Paragleiter auf unsere Gruppe trifft und dem kleinen Go einen Schokoriegel schenkt. In Japan Sinkt: 2020 werden die Figuren von einem Wechselbad der Gefühle durch das nächste gejagt, aber so wirkliche Spuren hinterlässt das an den Charakteren nicht. Einige abstruse Entwicklungen sorgen dafür, dass der eigentliche Ausgangspunkt der Geschichte, das Sinken Japans, völlig in den Hintergrund tritt. Was bleibt, sind episodenhafte Geschichten, die mal mehr, mal weniger gelungen sind. Wenn ganz beiläufig schlimme Dinge geschehen, aber keine Figur davon länger als zwei Minuten betroffen ist, prallt das auch an den Zuschauern ab. Das, kombiniert mit einigen nervigen Verhaltensweisen (eine Figur muss jeden zweiten Satz aus nicht nachvollziehbaren Gründen auf Englisch sprechen), artet in ein großes Ärgernis aus.

Fazit

Japan Sinkt: 2020 verliert sein Ziel aus den Augen und tischt eine Geschichte der Marke “Familie Jedermann im Fadenkreuz der Katastrophe” auf. Psychologisch interessante Ansätze werden niedergemacht von abstrusen und überkonstruierten Ereignissen und der eigene Anspruch ist am Ende das Stolperbein. Dass die Serie visuell obendrein zusammengeflickt aussieht, spielt an der Stelle bereits gar keine Rolle mehr. Die hohe Emotionalität der letzten drei Folgen wird einige Zuschauer sicherlich milde mit der Serie ins Gericht gehen lassen. Über alle 12 Episoden hinweg betrachtet ist das Resultat unausgegoren bis teilweise haarsträubend.

© Netflix

Ayres

Ayres ist ein richtiger Horror- & Mystery-Junkie, liebt gute Point’n’Click-Adventures und ist Fighting Games nie abgeneigt. Besonders spannend findet er Psychologie, deshalb werden in seinem Wohnzimmer regelmäßig "Die Werwölfe von Düsterwald"-Abende veranstaltet. Sein teuerstes Hobby ist das Sammeln von Steelbooks. In seinem Besitz befinden sich mehr als 100 Blu-Ray Steelbooks aus aller Welt.

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Alva Sangai
Redakteur
15. August 2020 20:12

Hab bisher nur die ersten zwei Folgen gesehen, aber bisher konnte es mich nicht packen. Die tragischen Ereignisse wirken einfach erzwungen. Während ich den Animationsstil bei Devilman: Crybaby ganz gut finde, passt er bei Japan sinkt: 2020 irgendwie gar nicht. Bei Devilman macht es einfach bei der seltsamen Geschichte mehr Sinn.