Der Dunkle Turm (Band 6): Susannah
Wir nähern uns dem Ende und noch ist nicht klar, ob Rolands Reise zum Dunklen Turm gelingen wird. Für den sechsten Band Susannah des Dunklen Turm-Zyklus hat sich Autor Stephen King (Der Outsider) viel vorgenommen. Drei parallel laufende Handlungsstränge, von denen jeder gelingen muss, damit die Geschichte zum Guten gewendet wird. Verliert der Autor hier die Übersicht oder wird alles zu konfus bei Zeitreisen, Schießereien mit Mafiamitgliedern und der Geburt eines Kindes? Auf jeden Fall stellt der Autor die Weichen für den letzten Band Der Turm. Und auch wir lassen uns nicht abschrecken und stellen uns den Herausforderungen dieses Abschnittes.
Die Wölfe sind geschlagen. Doch der Siegt trägt einen bitteren Beigeschmack, denn ein Mitglied verschwand. Mia hat den Körper von Susannah übernommen und ist dann durch die Tür in eine andere Welt und Zeit gereist. Klar ist nur, die Frauen sind in New York auf dem Weg zum Dixie Pig, wo der Feind auf sie lauert. Dort soll das Kind zur Welt kommen, das einer Prophezeiung nach den letzten Revolvermann von Gildead zur Strecke bringen wird. Eddie ist krank vor Sorge, doch da die Flüchtige die Schwarze Dreizehn gestohlen hat, können sie das Portal nicht so einfach öffnen. Sie müssen sich schnell etwas einfallen lassen. Nicht nur Susannah ist in Gefahr, sondern auch die Rose in New York und der Dunkle Turm in Endwelt. Roland bittet daher die Manni, ihnen zu helfen, das Portal zwei Mal zu öffnen. Ka hat jedoch seinen eigenen Plan und schickt nicht Eddie und Roland nach New York, sondern Callahan, Jack und Oy. Auf den letzten Revolvermann wartet eine andere wichtige Aufgabe. Es gilt, Calwin Tower aufzusuchen und ihn dazu zu bringen, ihnen das Grundstück mit der Rose zu verkaufen.
Was würden wir nur ohne Zeitdruck tun?
Der vorletzte Band des Dunklen Turm-Zyklus dreht die Spannungskurve noch einmal mehr in die Höhe. Hat der Leser in Wolfsmond erfahren, dass die Rose und der Turm in akuter Gefahr sind, setzt Stephen King noch eins drauf und lässt Susannah verschwinden. Es war klar, dass Mia ihren Teil des Paktes einfordert, nachdem die Wölfe besiegt sind. Jedoch ist es ein Schock, dass sie einfach so verschwindet und vor allem Maerlyn’s Kugel mitnimmt. Da nun drei Handlungsverläufe gelöst werden müssen, lässt der Band Susannah diese parallel laufen. Sobald das Portal Rolands restliches Ka-Tet auf verschiedene Orte verteil hat, springt die Geschichte erst zur Schwangeren und dann nach und nach zu den anderen kleinen Gruppen. Dies erzeugt, dank seiner vielen offenen Fragen, eine dichte Atmosphäre, die den Leser nicht mehr loslässt. Autor Stephen King übersieht dabei auch nicht die kleinen feinen Details, so dass sich nach und nach ein rundes, logisches Gesamtbild ergibt.
Zwei Frauen in einer fremden Stadt
Originaltitel | The Dark Tower: Song of Susannah |
Ursprungsland | USA |
Jahr | 2003 |
Typ | Roman |
Band | 6 / 8 |
Genre | Western, Fantasy |
Autor | Stephen King |
Verlag | Heyne |
Dass sich der Band zuerst um Susannah kümmert, ist ein logischer Schachzug. Von Anfang an war nicht klar, was Mia genau ist, daher wird es Zeit, Antworten zu liefern. Da für die Entführerin das New York des Jahres 1999 eine völlig fremde Welt ist, ist sie auf Hilfe angewiesen. Und das nutzt Susannah ordentlich aus, auch wenn sie selbst sich umgewöhnen muss. Für das weibliche Mitglied in Rolands Ka-Tet ist dies wie eine Zeitreise: Frauen in kurzen Röcken, neue Technik und andere Redensarten. Einige lustige Momente entstehen so, welche den Band auflockern. Das ist auch gut so, denn ansonsten ist die Stimmung in Susannah ernst und angespannt. Gerade einige der offenen Fragen lassen viel Raum für schlimme Vorahnungen. Daher sind einige der Antworten von Mia Balsam für die angespannten Nerven. Es klärt sich so zum Beispiel, was mit der Magie und der Technik in Rolands Welt los ist. Interessant sind die Erklärungen rund um das seltsame Baby. Susannah konnte einen Blick auf dessen Augen erhaschen, und diese sind blaue, wie die von Roland. Da Callahan, Jack und Oy im letzten Teil des Bandes die Verfolgung der Frauen auf sich nehmen, legt Susannah einige Brotkrumen aus. Das ist nie einfach, denn im Inneren von ihr herrscht ein ständiger Kampf. Dabei kommt es zu einem freudigen Wiedersehen mit Detta Holmes, die hier hilfreich eingreift. Während Mia seit ihrem ersten Auftauchen als Feind behandelt wird, stellt sich jedoch die Frage, ob sie dies sein muss. Der Autor nimmt sich Zeit, um ihren Charakter und ihr Handeln verständlich zu machen, ihn aber auch einer Wandlung zu unterziehen. Dabei helfen die traurig-schönen Erinnerungen von Susannah an ihren Kampf gegen Rassismus und ihre eigenen Kindheit.
Ein Moment, an dem er wachsen muss
Warum Ka Roland und Eddie auf die Spur von Calwin Tower ansetzt, erklärt sich sofort, nachdem die beiden im Jahr 1977 einschlagen. Mafiaboss Balazars Männern erwarten die beiden und eröffnen sofort das Feuer. Doch Roland ist nicht umsonst ein Revolvermann! Da fliegen die Kugeln allen nur so um die Ohren, dass das Herz von Westernfans hier aufgehen wird. Die bildliche Sprache von King sorgt dafür, dass wir als Leser das Gefühl haben, die ganze Zeit mittendrin zu sein. Da riecht man förmlich das Blut, den Schweiß und den Geruch von Schießpulver. Auf Charakterebene bietet dieser Teil auch einiges. Das Wiedersehen mit Calwin Tower fordert viel Geduld von Eddie, die er gerade nicht hat. Es lastet das Schicksal auf seinem Rücken, daher darf er keine falsche Entscheidung treffen. Wie im wahren Leben zwingen Herausforderungen zu Veränderungen, an denen wir wachsen. Genauso eine Situation steht für Eddie bevor, die er mit seinem Charme zu einer Lösung bringt. Hier zeigt sich, dass im Dunklen Turm nicht nur Kugeln Entscheidungen treffen, sondern auch Worte. Bei all den harschen Kommentaren, die Calwin Tower hier herausposaunt, ist es für den Leser auch eine Genugtuung, als Eddie ihn zurückstutzt.
Stephen King trifft seinen fiktiven Helden Roland
Was in der Animeserie Re:Creators als kreative Idee gefeiert wird, baute Stephen King schon 2003 ein: Eine (anscheinend) erfundene Figur trifft ihren Schöpfer. Spielten Bücher und Autoren von Anfang an im Dunklen Turm eine Rolle, setzt er dem Ganzen hier die Krone auf. Dabei verschönert der Schriftsteller nichts. King hatte damals ein starkes Alkoholproblem und auch charakterlich stellt er sich nicht als strahlenden Ritter dar. Trotzdem: es ist ein bedeutendes Treffen, voller Ironie, Witz, Schwermut und Antworten. Ein unvergesslicher Moment, der sich hier bietet, nicht nur für die Figuren, sondern auch für die Leser. Neben all den Handlungsbögen fügt sich damit auch ein neuer in die Geschichte ein. Der Wörterschmied bekommt nämlich die Aufgabe, seine Geschichte, den “Dunklen Turm”, fertig zu schreiben. Was passiert jedoch, wenn er das nicht schafft? Wer sich mit Stephen Kings Lebensumständen auskennt, wird wissen, welches Ereignis daher noch eine Rolle spielen wird. Doch hebt sich der Autor den „Schicksalstag“ für das Finale auf.
Aufbruch zum Finale
Im Gegensatz zu allen anderen Bänden ist Susannah wie ein Song aufgebaut. Die Kapitelüberschriften sind Strophen und am Ende eines jeden Abschnittes steht ein Stück Songtext. Setzt der Leser alle zusammen, erzählen diese die Geschichte auf interessante Weise. Eine nette Idee, die dazu passt, da im fünften Band mehrere Lieder vorkamen, deren Aufbau sich in Susannahs Song wiederspiegelt. Bekanntlich muss jedes Lied einmal zur letzten Strophe kommen. Doch müssen Callahan und Jack vorher einiges erledigen, bevor sie sich Monster und Vampiren entgegenstellen können. Ein großes Finale bleibt jedoch aus und der Leser wird auf den finalen Band Der Turm vertröstet. Das ist zwar schade, aber bei all dem, was der sechste Band der Reihe bietet, ist es zu verkraften. Es ist von Vorteil, den letzten Band zur Hand zu haben, denn die Zeichen stehen für einige Figuren nicht gut.
Fazit
Nervenkitzel pur! Der sechste Band Susannah baut die bereits bestehenden Handlungsstränge packend weiter aus und fügt sogar noch einige hinzu. Stephen King gönnt uns keine Verschnaufpause! Dabei unterscheiden sich die Geschehnisse gut voneinander, so dass für jeden etwas dabei ist. Die Antworten, die King endlich liefert, erklären Rolands Welt beachtlich. Es entzaubert zwar einiges, aber trotzdem bleibt sie etwas Besonderes mit ihrer verfallenen Technik, den kleinen restlichen Spuren von Magie und dem Turm selbst. Was beachtlich ist, dass Stephen King trotz der umfassenden Handlung noch Zeit findet, seinen Figuren Raum zu Entfaltung zu geben. Ein Highlight ist für mich das Treffen von Roland und „seinem Erschaffer“. Es ist zum Lachen, wie der Schriftsteller beim Anblick des Revolvermanns die Flucht ergreift und auch später immer wieder an seinem Verstand zweifelt. Der sechste Band vom Dunklen Turm bietet emotional so viel. Stand ich anfangs Mia feindlich gesinnt gegenüber, so tut sie mir später sehr leid.
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