Utopia (2020)

Utopia aus dem Hause Amazon Prime ist eine Serie, die seltsam aktuell wirkt. Es ist eine Geschichte über eine Gruppe von Comic-Nerds, die versucht, die Welt vor einem verheerenden Virus zu retten und dabei “denen da oben” die Stirn bietet. Schwerer Stoff, könnte man meinen, doch noch schwerer wiegt die Last, dass die Serie ein Remake des gleichnamigen britischen Kulthits von 2013 ist. Würde dieser heute von einer Streaming-Plattform eingekauft werden – er würde herausstechen. Das Remake von Amazon Prime aber? Das fühlt sich lediglich wie eine weitere typische Streaming-Serie an. Direkt und geradeheraus dort, wo das Original schräg und verblümt ist. Das macht Utopia (2020) wohlgefälliger, nimmt ihm aber auch seinen einzigartigen Stil.

   

Ein Pärchen entdeckt beim Ausmisten eines geerbten Hauses die Manuskripte eines unveröffentlichten Comics namens “Utopia”. Sie entscheiden sich dazu, ihre Fundsache auf einer Comic-Con zu versteigern. Der Ansturm ist groß, denn die Manuskripte sind heiß begehrt – vor allem von einer kleinen Comic-Nerd-Gruppe, die glaubt, dass die “Utopia”-Comics Katastrophen voraussagen. Geheime Mächte steuern die Geschicke der Weltgeschichte, lassen Krankheiten und Pandemien auf die Welt los und die “Utopia”-Manuskripte liefern die alles entscheidenden Hinweise darauf – sehr verschwörerisch. Die Comic-Freunde sehen sich also in der Pflicht, die kommende Apokalypse abzuwenden. Doch ein gnadenlos verschrobenes Killerkommando ist ihnen mit gnadenlosen Foltermethoden dicht auf den Fersen. Und schließlich ist da noch Jessica Hyde (Sasha Lane, Hellboy – Call of Darkness), die Protagonistin der Comics in persona. Diese tut sich zwar mit der Gruppe zusammen, um gemeinsam mit ihnen den Weltuntergang zu verhindern, doch ihr unberechenbarer Jähzorn macht sie beinahe gefährlicher als das Killerkommando selbst.

2020 in a nutshell?

Originaltitel Utopia
Jahr 2020
Land USA
Episoden 8
Genre Mystery-Science-Fiction
Cast Jessica Hyde: Sasha Lane
Kevin Christie: John Cusack
Arby: Christopher Denham
Ian Ackerman: Dan Byrd
Wilson Wilson: Desmin Borges
Grant: Javon Walton
Becky Todd: Ashleigh LaThrop
Auf Amazon Prime Video verfügbar

Das Timing von Utopia ist schlicht perfekt. Es ist ein bisschen so, als würde man sich eine Show über Aluhutträger ansehen. Die Serie untersucht die Vorstellung, was wäre, wenn die Verschwörungsidealisten Recht behielten. Angesichts der Ereignisse in 2020, die die Serie vielleicht, vielleicht aber auch nicht, voraussehen konnte, fühlt sich Utopia wie eine ironische Klatsche nach der nächsten an. Das macht es schwierig, die Serie unbefangen, also nach ihren eigenen Regeln, zu erleben. Utopia könnte eigentlich etwas zur aktuellen Erosion des Wahrheitsbegriffs sagen; zur Anziehungskraft von Verschwörungsmythen etc., doch im Grunde geht es dann doch nur um Comic-Fans, die ihr Medium zu ernst nehmen (zu Recht natürlich). Am Ende zeigt die Serie zwar, wie die “Sprache der Freiheit” zu falschen Zwecken missbraucht wird, doch alles in allem wirkt Utopia was das betrifft naiv und zahnlos. Aber Creator Gillian Flynn rechnete vielleicht nicht damit, dass man ihre Serie als Spiegel des Jahres 2020 bewerten würde.

Zaunpfähle … Zaunpfähle überall

Eine von Flynns Ideen sei “die Amerikanisierung des britischen Originals” gewesen, wie sie sagt. Hat man das im Kopf, sieht man, dass sie erfolgreich war: Utopia ist laut, an vielen Stellen übertrieben und hält das Publikum stets bei der Hand. Das komplette Gegenteil einer Serie, die ursprünglich intelligent, subtil und geerdet war. Utopia (2020) ist geradeheraus. Die Figuren sprechen aus, was vor zwei Sekunden passiert ist. Wenn jemand krank ist, reicht es nicht, die Einnahme der Medikamente zu zeigen. Ein dramatischer Anfall während dieser Einnahme ist mindestens Pflicht. Wenn jemand glücklich oder aufgewühlt ist, dann muss geschrien werden. Wenn die Figuren zum Ende hin versuchen, das Mysterium zu klären, haben wir Zuseher bereits in Folge 3 so viel Zeit mit den Antagonisten verbracht, dass wir alles Nötige wissen. Auch Social Engineering, also die soziale Manipulation der Gesellschaft, spielt eine Rolle. In Utopia wird das durch die schlichte “Sprache der Freiheit” und Emoji-Tweet-Attacken erreicht. Das könnte man als Simplifizierung der Sache werten. Auf der anderen Seite aber funktioniert Manipulation manchmal eben genau so: durch pure Emotionen und durch von blonden Mädchen gehaltene, plakative Reden (ich meine nicht Jana aus Kassel, die im Übrigen eher mäßig in dem Job war, Anm. d. Red.). Der fade Beigeschmack, dass Utopia seinen Sandkasten nicht verlässt, bleibt dennoch.

Der Cast

Die Figuren bleiben – obwohl man starken Fokus auf ihre “Emotionen” legt – flach. Selbst wenn sie in den ersten Folgen schockierende Dinge tun, schenkt man ihnen nur beiläufig Aufmerksamkeit. Becky (Ashleigh LaThrop, The Handmaid’s Tale – Der Report der Magd) ist über ihre chronische Krankheit hinaus kaum charakterisiert. Die Krankheit ist ihr Signature-Ding, das einem plump ins Gesicht gedrückt wird. Die Figur des 12-jährigen Grant (Javon Walton, Euphoria) bleibt eine totale Leerstelle. Kinderschauspieler sind generell eine heikle Angelegenheit, doch diesem hier ist der Grip völlig abhanden gekommen. Jessica Hyde ist die große monströse Schwester, die alle unter ihrer Knute hält und emotional komplett aufgeladen und unberechenbar ist. Wurden im Original von der Gruppe Ränke gegen Jessica geschmiedet, buckelt die Gruppe im Remake und arbeitet sogar daraufhin, eine Form von Freundschaft zu schließen. Der Einzige, der neben Jessica auffällt, ist Wilson (Desmin Borges, You’re the Worst), weil er in einer Gruppe von Paranoiden der Paranoidste ist. Insgesamt aber agieren die Figuren irgendwo zwischen gestelzt und irritierend und haben eine ziemlich toxische Dynamik – was nervt. Die große Hausnummer John Cusack (Zimmmer 1408) als omnipotenter Konzernchef kann das nur mäßig aufwiegen. Und auch die ikonische Figur des Killers Arby (Christopher Denham, Argo) hat in seiner amerikanisierten Form (auch er lässt sich herab und schreit) viel von seinem einstmaligen Charme verloren.

“Nur weil du paranoid bist, heißt das nicht, dass sie nicht hinter dir her sind.”

Allerdings (und das ist der größte Pluspunkt) ist Utopia gut darin, ein Gefühl der Paranoia hervorzurufen. Auch das gehört zu Flynns Ideen für ihre Umsetzung: “Während Kelly [der Autor der britischen Serie] sich an den Graphic Novels selbst orientierte, orientiere ich mich eher an den Paranoia-Thrillern der 70er Jahre, die ich liebe.” Bereits das Intro, in dem zu schräger Musik Dinge in schrägen Bezug zueinander gesetzt werden, stimmt das Publikum darauf ein, was folgt: Verschwörungen. Auch der Fakt, dass die Comics im Remake visuell präsenter sind, spielt in die Paranoia hinein. Die Mystifizierung der Comics führt zur Mystifizierung der Realität (wobei das Artwork der Comics so dermaßen sauber ausgearbeitet ist, dass es nicht mehr authentisch ist, berücksichtigt man deren eigentliche Herkunft). Darüber hinaus ist auch das Rumhängen mit den Antagonisten, welches zuvor negativ angemerkt wurde, ein wesentlicher Punkt für die Paranoia, da wir ihr Verhalten erleben, welches voller esoterischer Rituale steckt. Die Figuren selbst wirken normal und zugänglich, doch ihre Rituale sind es nicht. Und es mutet mehr als strange an, wenn während eines Büromeetings der Tod von Menschen diskutiert und dabei mit stereotypen Sprüchen wie aus einem “Betriebsklima verbessern”-Seminar um sich geworfen wird.

Fazit

Das Jahr 2020 in Serienformat – so könnte man Utopia oberflächlich beschreiben. Wer das Ursprungsmaterial nicht kennt, der wird vom Amazon-Remake sicher angetan sein. Utopia ist spannend, hat ein catchy Opening und hält das Publikum mit paranoid machenden Absonderlichkeiten bei der Stange; man möchte unbedingt verstehen, was da abgeht. Die Serie erfüllt bestimmte Kriterien, die die gemeine Streaming-Serie heutzutage ausmachen. Man könnte sagen, sie arbeitet mit den typischen Geschmacksverstärkern – deswegen funktioniert Amazon Primes Utopia. Nur wenn man sich im Anschluss das Original anschaut (so wie ich), fällt einem der mangelhafte Stil und die fehlende Reife auf. Das ist schade. Gleichzeitig ist die Amazon-Version in Sachen Erzählstruktur zugänglicher (was in diesem Falle auch ein anderes Wort für “banaler” sein könnte). Zu welcher Version man letzten Endes greift, ist mittlerweile egal. Denn pünktlich zum ersten Advent 2020 gab Amazon das vorzeitige Ende seines Remakes bekannt. Damit teilt Utopia (2020) dasselbe bzw. ein noch kürzeres Schicksal als sein britischer Vorgänger. Auf Utopia lastet allen Anschein nach ein Fluch. Sein Ende wird auf ewig eine Verheißung bleiben.

© Amazon Prime Video

Totman Gehend

Totman ist Musiker, zockt in der Freizeit bevorzugt Indie-Games, Taktik-Shooter oder ganz was anderes und sammelt schöne Bücher. Größtes Laster: Red Bull. Lieblingsplatz im Netz: der 24/7 Music-Stream von Cryo Chamber auf YouTube.

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