Cloak & Dagger (Staffel 1)
Mit zehn Episoden ist die erste Staffel von Marvels Cloak & Dagger seit Anfang August 2018 auf Amazon Prime vollständig verfügbar. Damit ist für einige das Bingewatchfenster geöffnet. Und wer unentschlossen ist, ob sich eine Serie über zwei Teenager, die in der großen Welt der Superhelden mit Licht und Dunkelheit spielen, überhaupt lohnt, kann sich einen Überblick mit Rezensionen verschaffen. Wie dieser hier. Praktisch.
Als Kinder haben Tandy Bowen (Olivia Holt) und Tyrone Johnson (Aubrey Joseph) erfahren, was es heißt, einen geliebten Menschen zu verlieren. Tandys Vater ertrank nach einem Autounfall, den sie zum Glück überlebte. Tyrones Bruder Billy wurde von einem Polizisten erschossen. Beides ereignete sich unmittelbar nach der Explosion einer Ölplattform der Firma Roxxon. Tandy und Tyrone waren beide im Wasser und schafften es grade noch ans Ufer, wo sich ihre Wege nach einer Ohnmacht ohne ein Wort trennten. Bis sie jetzt Jahre später während einer Party aufeinandertreffen und sich zunächst nicht wiedererkennen. Tandy will Tyrone nur die Brieftasche klauen, aber er sprintet ihr nach, und kaum dass die beiden sich berühren, geschieht etwas Merkwürdiges. In den folgenden Tagen lernen beide, dass sie übernatürliche Kräfte haben. Tandy generiert Licht, das sie zu Dolchen formen kann, während Tyrone sich scheinbar in eine Schattenwolke hüllt und teleportiert. Und wenn sie andere Menschen berühren, wird es richtig absonderlich. Tandy sieht ihre Hoffnungen und Tyrone entdeckt ihre Ängste. Die gegensätzlichen Kräfte machen die zwei zum Teil einer kosmischen Paarung, die das Schicksal von New Orleans in Händen hält. Aber zuvor müssen sie sich ihren eigenen Problemen stellen.
Komplexe Charaktere
Zu Beginn spendierte Amazon Prime die ersten zwei Episoden im Paket, ehe es Woche für Woche mit einer Folge weiter ging. Und es sah zunächst danach aus, dass dies der verlängerte Prolog sein könnte, ehe die zwei Hauptfiguren enger zusammenwachsen, um dann mehr gemeinsam zu machen (siehe First Look). Von dieser wahrscheinlichen Formel wird aber doch ein wenig Abstand genommen, und sowohl Tandy als auch Tyrone verfolgen vor allem ihre eigenen Ziele, bis es zu einem etwas typischeren Showdown kommt. Die Entwicklung der beiden steht im Vordergrund, und während sie spannende Ereignisse erleben, die für Unterhaltung sorgen, wird dem Zuschauer in erster Linie ein hohes Maß an Empathie abverlangt. Tandy und Tyrone sind von dem einschneidenden Ereignis ihrer Kindheit extrem geprägt, und besonders Tandy trägt ihren Schmerz als Abwehrpanzer herum. Ihr Vater hatte für Roxxon gearbeitet und die Explosion wurde ihm zum großen Teil angelastet, denn ein Toter kann sich nicht wehren. Tandy und ihre Mutter verloren das Familienhaus, ihr Geld und jeglichen sozialen Status. Während Mutter Melissa (Andrea Roth) in einem Trailerpark wohnt, trinkt und jeden Cent in Anwälte investiert, um Gerechtigkeit zu bekommen, haust Tandy in einer verlassenen Kirche. Mit einem Kumpel zieht sie Betrügereien durch, sucht selbst ein wenig Trost mit Pillen, die sie anderen klaut und ist sich selbst die Nächste. Dieser Archetyp des Helden, der sich zunächst durch selbstbezogenes Handeln definiert und nur selten jemanden an sich heran lässt, ist meist eher männlichen Figuren vorbehalten. Man denke etwa an Tony Stark oder Stephen Strange. Ganz so groß ist Tandys Ego natürlich nicht, da sie nicht noch nebenbei ein totales Genie ist. Aber auf ihrem Gebiet als Überlebenskünstler macht ihr keiner was vor. Sie schützt sich davor, erneut verletzt zu werden, und ist dafür nicht durchgehend als sympathischer Charakter konzipiert. Das Schicksal war mies zu ihr, also ist Tandy Bowen eben auch mies zu anderen, damit sie sich durchschlagen kann.
Gegensätze wohin das Auge reicht
Originaltitel | Marvel’s Cloak & Dagger |
Jahr | 2018 |
Land | USA |
Episoden | 10 in Staffel 1 |
Genre | Drama, Fantasy |
Cast | Tandy Bowen/Dagger: Olivia Holt Tyrone Johnson/Cloak: Aubrey Joseph Melissa Bowen: Andrea Roth Adina Johnson: Gloria Reuben Evita Fusilier: Noëlle Renée Bercy Brigid O’Reilly: Emma Lahana |
Tyrone wirkt dagegen leicht zugänglich. Privatschule, Athlet, erfolgreiche Eltern. Aber es bröckelt ein wenig, denn es wird klar, dass der Tod seines Bruders Billy eine Lücke hinterlassen hat. Und wo Tandy selbstsüchtig erscheint, ist Tyrone vielleicht etwas zu nachgiebig. Er versucht nicht nur sein eigenes Leben zu leben, sondern auch das, das seinem Bruder zu früh genommen wurde. Die Wunde sitzt zudem tief, denn obwohl er genau gesehen hat, wie ein Polizist Billy erschossen hat, wurde dieses Verbrechen unter den Teppich gekehrt. Ein falscher Autopsiebericht, ein Cop, den angeblich niemand kennt, und der kleine schwarze Junge hat sich die Sache bestimmt nur eingebildet. Auch Tyrone hat Vertrauensprobleme, sie sind aber gänzlich anderer Natur. Hier scheut die Serie dann auch nicht davor zurück klar zu machen, dass Tyrone immer auf Grund seiner Hautfarbe über seine Taten genauer nachdenken muss. In einem Streit zwischen Tyrone und Tandy geht es um die unterschiedlichen Lebensumstände, und während Tandy es individuell schwer hat, kann Tyrone dem systematischen Rassismus durch nichts entfliehen. Die Unterschiede ihrer Lebensweisen kommen oft ins Spiel, aber trotz aller Diskussionen geht es nicht darum zu sagen, dass einer von beiden es definitiv schlimmer hat. Es hat sie beide hart erwischt und sie gehen nun ganz anders mit den Konsequenzen um. Diese sehr persönliche Komponente in der Charakterzeichnung ist ein großes Plus für Cloak & Dagger.
Eine Stadt muss gerettet werden
Es ist sehr erfrischend, wie wichtig New Orleans als Spielort der Serie ist. Nicht nur, um Abstand zu New York zu gewinnen, wo sich so viele Marvelhelden tummeln, sondern um vom Lokalkolorit zu profitieren. Es ist eine geschichtsträchtige Stadt, die ihren Anteil an Katastrophen gesehen hat. Die Auswirkungen von Hurrikan Katrina aus dem Jahre 2005 sind bis heute spürbar. In der Welt von Cloak & Dagger hat sich um einige dieser Desaster ein Mythos geformt, in dem zwei Menschen auserkoren sind, eine Art urgewaltige Kraft des Bösen zu stoppen. Ob Krieg, ein Sturm oder Krankheit. Leider wird diese Rahmenhandlung lange Zeit nur sehr spärlich eingestreut, meist in Form von Tyrones Mitschülerin Evita Fusilier (Noëlle Renée Bercy), deren Tante in Voodoo Bräuchen bewandert ist und ein drohendes Unheil sehen kann. Evita dient ein wenig als Verbindung zwischen den Plotelementen, da sie Tyrone die Historie der Stadt näher bringt und auch mit einem Ritual hilft, als er seine Kräfte ausloten will. Das bekannteste Wahrzeichen von New Orleans dürfte wohl der Karneval Mardi Gras sein. Und dieser alljährliche Umzug spielt sogar eine wichtige Rolle, um den Bogen zur Comicvorlage zu schlagen.
Roxxon – Kampf gegen den Giganten
Roxxon ist in den Marvel Comics ein bekannter Großkonzern und bestens geeignet, um einen kleinen Skandal anzustoßen. Umwelt und Kapitalismus kann man ja schon fast erneut als Gegensatz sehen. Für Tandy ist Roxxon der Feind, der den guten Namen ihres Vaters beschmutzt hat. Diesen reinzuwaschen wird zu ihrer größten Motivation, was immerhin ihre Kapazität zeigt, sich durchaus für andere einzusetzen. Sie findet einen ehemaligen Mitarbeiter ihres Vaters und muss ihm helfen, um sich selbst zu helfen, wofür sie aber wiederum Tyrone braucht. Oft wirkt es ein wenig, als müsse Tandy nur pfeifen und Tyrone steht ihr tatkräftig bei, während ihre Hilfe für ihn eher in schlauen Sprüchen und Ratschlägen besteht. Tyrone hat nämlich den Polizisten gefunden, der Billy erschoss, und muss sich ihm clever nähern. Da kommen die Weisheiten eines halben Straßenkindes grade richtig. Dabei zeigt sich, dass Tyrone sehr viel mehr Moral und Skrupel mitbringt, während Tandy alles am liebsten pro-aktiv und direkt angeht. Sie müssen es nicht gänzlich allein mit dem Konzern sowie der gesamten Polizei von New Orleans aufnehmen, aber die Nebencharaktere haben vergleichsweise wenig zu tun. Am Ende liegt alles in den Händen von Tandy und Tyrone, die schwere Entscheidungen zu treffen haben, ob ihre Motive und Wünsche vom Beginn überhaupt noch dieselben sind.
Ich bin sehr begeistert, wie charakterorientiert sich Cloak & Dagger präsentiert. Zumindest für die Titelfiguren steckt eine Menge drin und man kann die Entwicklungen gut nachvollziehen, die nicht einfach linear sind, sondern auch mal holprig. Ich mag Tandy und Tyrone in den Comics und ich mag ihre TV-Versionen, obwohl sie so gänzlich anders angelegt, aber einfach perfekte Zeugnisse ihrer Zeit sind. Die Erforschung der Kräfte gerade mit diesem Hoffnung/Angst-Dualismus ist dabei gelungen. Es wäre aber vielleicht gut eine Warnung auszusprechen, dass Tandy manchmal sehr fatalistisch sein kann