Lieb mich noch, bevor du stirbst

„So lass mich für die Liebe sterben.“ Was wie ein Zitat aus einem Theaterstück klingt, ist für die 16-jährige Schülerin Mikoto Ochiai Realität. Doch ist es wirklich die Erlösung, sich vom Dach in den Tod zu stürzen, wenn die große Liebe diese Gefühle nicht erwidert? Für das Mädchen scheint es so zu sein. Gut, dass es einen aufmerksamen Lehrer gibt, der an ihr zu kleben scheint und nicht locker lässt. Lieb mich noch, bevor du stirbst ist das erste Werk von Mangaka sora, das den Weg nach Deutschland gefunden hat. Der Hamburger Verlag Altraverse veröffentlicht nicht nur alle 20 Bände, sondern zum Finale am 17. Februar 2025 auch noch ein Artbook. Begeben wir uns auf eine Reise, die zeigen wird, ob die Liebe oder die Sehnsucht nach dem Tod Mikotos Ziel sein wird.

   

Schülerin Mikoto Ochiai ist verliebt in ihren Mitschüler Kazama. Sie nimmt ihren Mut zusammen, gesteht ihm ihre Gefühle und bekommt einen Korb. Weil sie sich schämt, unglücklich ist und ihm ihren Anblick ersparen will, geht sie aufs Dach der Schule, um in den Tod zu springen. Neben ihr steht plötzlich der junge Lehrer Jin Haiba und spricht sie an, während er seine Zigarette raucht. Er scheint jedoch mehr daran interessiert zu sein, sie zu fragen, wie lange es dauern wird, bis ihr Körper auf dem Boden aufschlägt und ob er das Rauchen nicht besser aufgeben solle. Dann erklärt er ihr, wie oft er schon abserviert wurde und zudem, dass ihre höfliche Art ihm gegenüber Gefühle geweckt und er sich sofort in sie verliebt hat. So bittet er sie, ihn zu lieben, bevor sie sich umbringt. Geschockt von diesem Geständnis verliert Mikoto, die bereits über der Brüstung steht, das Gleichgewicht und stürzt vom Dach. Doch Jin kann sie retten. Von dem Moment an taucht Herr Haiba immer wieder zufällig auf, wenn sich Mikoto schlecht fühlt und lenkt sie von ihren trüben Gedanken ab.

Gratwanderung

Originaltitel Tsuiraku JK to Haijin Kyoushi
Jahr 2018‒2024
Bände 20
Genre Drama, Romanze
Mangaka sora
Verlag Altraverse (2019–2025)
Seit Februar 2025 vollständig verfügbar

Lieb mich noch, bevor du stirbst kann als schwarze Romantik-Komödie bezeichnet werden. Die Geschichte vereint zwei Themen, die auf einem schmalen Grat wandern. Eine etwaige Liebesbeziehung zwischen einer Schülerin und ihrem Lehrer sowie Suizid. Mangaka sora schafft es im Verlauf der Geschichte, das Gleichgewicht zwischen den beiden Themen zu halten. Weder kommt ein kitschiger Romantiküberschuss ins Spiel, noch lässt sie den dunklen Hintergrund eskalieren. Eine Portion Galgenhumor spielt in jedem Band mit und wird im richtigen Moment eingesetzt. Auch wenn es so zu wirken scheint, dass diese Augenblicke die aufkommende Liebe zwischen Mikoto und Haiba unterbrechen, erfüllen sie ihren wahren Zweck, denn Haiba gibt keinen Kommentar ohne Grund ab. Je weiter die Geschichte fortschreitet, lernen Lesende zwischen die Zeilen zu blicken und werden vertraut mit Haibas und auch Mikotos düsteren Kommentaren. Der Aspekt der Lehrer-Schülerin-Beziehung wird ebenfalls thematisiert, denn Mikoto ist bewusst, was eine Annäherung an Jin Haiba bedeuten würde. So ist dauerhaft ein Spannungsfaden aufrechterhalten, wie es mit den beiden weitergehen könnte.

Ein eigenartiger Lehrer

Jin Haiba ist alles andere als ein Mann, der der Vorstellung eines Lehrers entspricht. Ironischerweise steht er im Verlauf des Mangas auch nur sporadisch vor einer Schulklasse an der Tafel. Er besitzt nur wenig Durchsetzungsvermögen, besonders die Schüler*innen, die ihm auf dem Schulgelände oder außerhalb begegnen, tanzen ihm auf der Nase herum und haben keinen Respekt. Es scheint Herr Haiba aber auch nicht zu stören. Hinzu kommt Mikoto, die auf den ersten Blick zurückhaltend und in sich gekehrt wirkt, jedoch nicht auf den Mund gefallen ist. Der zynische junge Lehrer redet so auf sie ein und bringt sie mit dem Satz „Lieb mich noch, bevor du stirbst“ völlig aus dem Konzept. So schafft er es, sie vorerst von ihrem Vorhaben zu sterben, abzubringen. Hinter dem Physiklehrer versteckt sich eine komplizierte Hintergrundgeschichte. Ansätze sind bereits zu Beginn auf dem Schuldach zu erahnen, werden immer deutlicher und sorgen nicht nur in Mikoto für Neugier.

Was ist das Ziel?

Die Themen Suizid und der Wert des Lebens bleiben stets präsent. Sie werden ein beständiges Gesprächsthema zwischen Mikoto und Jin, auch wenn es nur aufgrund von Missverständnissen aufkommt. Sei es, wenn Mikoto ein Messer in der Hand hält oder Reinigungsmittel mit giftigen Inhaltsstoffen verwendet. Schnell kristallisiert sich heraus, dass die eher pessimistisch eingestellte Schülerin sich gar nicht so sehr von ihrem Lehrer unterscheidet. Sie wirken im Lauf der Geschichte immer mehr wie verwandte Seelen, was Auswirkungen auf ihre Beziehung hat. Ebenso der Gedanke an das Sterben an sich und die Einsamkeit sorgen häufig für eine düstere, aber auch nicht zu belastende Stimmung. Dazu tragen ein lockerer Humor und trockene Wortgefechte bei. Beide denken viel über den Tod nach und es stellt sich die Frage, ob sie in der Lage sein werden, einen weiteren Schritt zu gehen. In welche Richtung auch immer.

Geschwungene Gefühle

Gefühle in der Mimik der Figuren spüren, genau das ist es, was Mangaka sora schafft, auf Papier zu bringen. Die Charaktere sind passend getroffen. Mikotos Gesicht scheint auf den ersten Blick etwas einfach gezeichnet zu sein, besitzt jedoch diesen melancholischen Blick, mit dem das Mädchen nicht besser beschrieben werden könnte. Herr Haiba ist hingegen viel abwechslungsreicher dargestellt. Vom vertrottelten Chaoten über den psychologischen Helfer bis hin zum Physiklehrer, jede Rolle wird ihm abgekauft. Der Fokus liegt wirklich auf der jeweiligen Mimik. Im Allgemeinen wird auf Funkel und Glitzer verzichtet, auch wenn romantische Facetten gezeigt werden. Hauptsächlich werden Mikoto und die Nebencharaktere in ihren Schuluniformen dargestellt. Diese sind detailliert gezeichnet, während die Hintergründe einfacher ausfallen. Zum Erscheinen des letzten Bandes veröffentlichte Altraverse ein gebundenes Artbook im Großformat. Auf 160 Seiten präsentiert Mangaka sora ihre Illustrationen, Bonuszeichnungen und Skizzen der vergangenen Jahre. Ein Muss für alle Fans!

Eine etwas andere Umsetzung

Warum lieben, wenn man auch lesen kann. Mit Lies mich noch, bevor du stirbst hat Altraverse 2025 eine Kurzgeschichtensammlung der Mangaka veröffentlicht. Enthalten sind insgesamt vier eigenständige Kapitel sowie ein Special zu soras Werk Lieb mich noch, bevor du stirbst, an das der Titel des Einzelbandes angeglichen ist. In animierter Form ist Lieb mich noch, bevor du stirbst bisher nicht zu sehen, jedoch wurde in Japan eine Realserie produziert. Falling High School Girl and Irresponsible Teacher (Original: Tsuiraku JK to Haijin Kyoshi) erzählt die Geschichte in 15 Folgen, verpackt in zwei Staffeln.

Fazit

Schon im Titel von Lieb mich noch, bevor du stirbst wird viel über die Thematik ausgesagt und bereits im ersten Band fällt dieser Satz von Jin Haiba. Die größte Stärke des Mangas sind die Protagonisten. Mikoto und Jin tragen die Geschichte. Die Nebenfiguren fügen sich durch ihre Interaktionen glücklicherweise passend in den Verlauf der Handlung ein. Einigen davon wird weniger Beachtung geschenkt, aber es funktioniert. Trotz des Themas Selbsttötung ist die Geschichte nicht nur düster. Es wird eine angenehme Balance gehalten, woran der schwarze Humor und besonders der chaotische Jin maßgeblich beteiligt sind. Mikotos trockene Kommentare erledigen den Rest. Trotz den dunklen Anspielungen gibt es herzliche und süße Szenen, die Romantik-Fans besonders gefallen werden. Die ständigen Missverständnisse zwischen Mikoto und Jin sorgen immer wieder für Lacher. Lieb mich noch, bevor du stirbst ist eine Geschichte voller Gefühle, die auch zum Nachdenken anregt.

© Altraverse

Sapamo

Sapamo liebt Geschichten aller Art. Für die nah am Wasser gebaute Romantikerin steht das Thema Liebe in Erzählungen ganz weit oben. Seien es Romane, Manga oder Anime. Nachdem sie tagsüber jede Menge Bücher der unterschiedlichsten Art in Regale oder auf Bücherwagen gelegt hat, entspannt sie sich abends gerne mit einer guten Lektüre. Gerne lässt sie auch einen kleinen weißen Ball über die Platte hüpfen und genießt den Besuch eines Musicals.

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