The Plane Effect

Feierabend im Büro. Jetzt gilt es nur noch den langen beschwerlichen Weg nach Hause anzutreten, ganz gleich wie ausgelaugt man sein mag – dieses Gefühl kennen sicher viele. Doch was ist, wenn sich der Weg nach Hause zieht und zieht und man sich am Ende fragen muss, ob es überhaupt ein Zuhause gibt? Das ist die beklemmende Prämisse von The Plane Effect (Veröffentlichung: 23. September 2021) einem dystopischen Indie-Titel des italienischen Studio Kiku in Zusammenarbeit mit Innovina Interactive.

   

Feierabend. Zeit für den Büroangestellten Solo auszustempeln und nach Hause zu gehen. Als er aber aus dem Fenster blickt, überragt eine riesige kosmische Anomalie die Skyline der Stadt. Er hat keine Ahnung, was da vor sich geht, nur eines weiß Solo: Er muss schnellstens zu seiner Familie zurückkehren. Doch der Heimweg ist anders sonst. Seltsam labyrinthartig führt er durch skurrile Orte, an denen Solo noch nie vorher gewesen ist und die Raum und Zeit zu sprengen scheinen. Doch Solo bleibt keine Zeit, darüber zu grübeln. Er muss in Bewegung bleiben – er muss nach Hause.

Lost in Dystopia

Originaltitel The Plane Effect
Jahr 2021
Plattform Nintendo Switch, Microsoft Windows, Xbox Series, PlayStation 5
Genre Adventure, Puzzle, Indie Game
Entwickler Studio Kiku, Innovina Interactive
Publisher PQube
Spieler 1
USK
Veröffentlichung: 23. September 2021

Auf seinem Weg nach Hause steuern wir den wortkargen Solo aus der isometrischen Perspektive durch eine vereinsamte dystopische Welt. Dabei werden wir von anonymen Menschen beobachtet, von Drohnen und etwaigen Kreaturen verfolgt und müssen unterwegs Umgebungsrätsel lösen. The Plane Effect reiht sich ein in die Reihe von Kunstspielen, die ein bestimmtes Gefühl durch wortloses Environmental Storytelling darstellen wollen. Das klingt abstrakt, doch das Gefühl, um das es geht, ist ein ziemlich konkretes: Einsamkeit. Das Game nutzt bestimmte Schlüsselbilder und Farbpaletten, um eine Atmosphäre zu kreieren, die dieses Gefühl einfängt. Architektonisch orientieren sich die Macher dabei an einem schlichten brutalistischen Design. Brutalismus – immer am Start wenn’s kühl und unnahbar sein soll. Perfekt für eine Welt, in der man nicht wirklich versteht, was um einen herum passiert. Das trifft im Übrigen auch auf die Rätsel zu, deren Lösungen manchmal überraschend bzw. schwer nachvollziehbar sind.

Puzzling und Jumping

Die große Frage bei The Plane Effect ist stets: Was verlangt das Spiel von einem? Das weiß man nämlich so gut wie nie, man kann es auch nur schwerlich voraussehen. Das kann man als Fehlleistung der Entwickler*innen deuten oder aber als allgemeingültige Metapher für das Leben, dessen Realität von einer kosmischen Anomalie zerfranst wird – je nachdem, von welchem Schlag man ist. Die Umgebungsrätsel verlaufen also nach dem Trial and Error-Prinzip. Klick alles Interaktive an und sieh zu, wie du das zusammen kriegst. Doch keine Panik: Wer komplett lost ist, der darf zwischen »Tipps« und sogar »geführten Tipps« wählen. Neben diesen geistigen Kopfnüssen gibt es aber auch rein steuerungsbasierte Aufgaben; hier offenbart sich die Schwäche der manchmal frickeligen Steuerung. Solo kommt nur träge in Gang und das sorgt vor allem bei Sprungpassagen für Frust. Zudem ist die Räumlichkeit aus der isometrischen Perspektive recht schwer einzuschätzen, da sich der Schlagschatten zwar mitbewegt, der Grundschatten aber stets an den Füßen kleben bleibt. Generell scheinen Bewegungsanimationen nicht das Steckenpferd der Macher von The Plane Effect zu sein, da viele unstandardmäßige Animationen mithilfe von Schwarzblenden übersprungen werden.

Primissima Visuals

Dafür haben Creator Dennis Cabella und Grafikdesigner Daniele de Batté umso mehr Energie in den »Look« von The Plane Effect gesteckt. Das zeigt sich zum einen in den cinematographischen und sehr dufte gemachten Zwischensequenzen sowie allgemein in der präzisen brutalistischen Gestaltung – simple, aber stimmige Strukturen, versehen mit gedämpfter Farbpalette, Unschärfe und Bloom-Effekten. Auch das Charaktermodel von Solo ist simpel gehalten; man erkennt die einzelnen Formbausteine; und doch wirkt alles nahezu künstlerisch und genau richtig umgesetzt. In Sachen visueller Atmosphäre kann man also nur sagen: »al bacio!« (= Der Kuss eines Chefkochs).

Fazit

The Plane Effect ist ein dystopisches Adventure, das vor allem mit seinen wunderhübschen Visuals überzeugen kann. Die Reise des bemitleidenswerten Bürohengstes Solo hat für Rätselfreudige so manches (mehr oder weniger gelungene) Umgebungsrätsel in petto und präsentiert zudem eine vage-traurige Geschichte über Familie, Verlust und dem Ende der Welt inkl. leiser Gesellschaftskritik. Mich persönlich hat die emotionale Story jedoch nicht derart packen können, dass sie mich von den Steuerungsschwächen oder der ein oder anderen Leerlaufpassage (diverse kaugummizähe Laufstrecken, Autofahrten etc.) ablenkt. Wer aber auf einen hübschen brutalistischen Look à la INSIDE steht und offen für jede Art von Rätsel ist, der darf gerne in das sechsstündige Debütwerk von Studio Kiku und Innovina Interactive hinein lünkern.

© Studio Kiku, Innovina Interacvtive

Totman Gehend

Totman ist Musiker, zockt in der Freizeit bevorzugt Indie-Games, Taktik-Shooter oder ganz was anderes und sammelt schöne Bücher. Größtes Laster: Red Bull. Lieblingsplatz im Netz: der 24/7 Music-Stream von Cryo Chamber auf YouTube.

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