Monos – Zwischen Himmel und Hölle
Ein berauschendes Bergpanorama, ein sehnsüchtiger Blick in den wolkenverhangenen Horizont. Alejandro Landes’ Monos – Zwischen Himmel und Hölle erweckt den Eindruck einer verträumten Dokumentation über die malerische Landschaft Kolumbiens. Doch hinter der Produktion steckt viel mehr: Eine ungewöhnliche Erzählvariante des Romans Der Herr der Fliegen. Mit seinem Debütwerk Porfirio gelang Landes 2011 ein vielbeachteter Film. Es dauerte volle acht Jahre, bis er seine zweite Produktion auf die Beine stellte. Das Ergebnis ist verblüffend: Obwohl weder die Handlung auf den ersten Blick ereignisreich ist, noch die Figuren sonderlich dreidimensional sind, könnte der Weg von den felsigen Landschaften in den tiefen Dschungel nicht finsterer und atmosphärisch dichter sein. Nach einem flexiblen Kino-Start am 4. Juni 2020 erschien der Film am 9. Oktober auf Blu-ray und DVD.
Lateinamerika: Hier leben die Jugendlichen Patagrande (Moises Arias, Hannah Montana – Der Film), Rambo (Sofia Buenaventura), Leidi (Karen Quintero), Schwedin (Laura Castrillón), Zwerg (Deiby Rueda), Lobo (Julián Giraldo), Perro (Paul Cubides) und Bum Bum (Sneider Castro). Ihre Namen sind Codenamen und entspringen ihrer Mission, von der sie im Grunde genommen gar nicht viel wissen. Sie befinden sich mitten im Krieg und sind ausführende Guerillakämpfer, die das Kollektiv “Monos” bilden. Ihre Aufgaben übermittelt ihnen regelmäßig ein Bote. Aktuell ist die Gruppe für die Bewachung der “Dottora”, einer Geisel (Julianne Nicholson, Togo) sowie das Aufpassen auf die Milchkuh Shakira zuständig. Doch als die heilige Kuh bei einer dummen Aktion das Zeitliche segnet, ist dies der erste Stein, welcher die bislang intakte Gruppendynamik torpediert …
Dschungel-Odyssee als Fiebertraum
Originaltitel | Monos |
Jahr | 2019 |
Land | Kolumbien |
Genre | Survival-Thriller, Drama |
Regie | Alejandro Landes |
Cast | Patagrande: Moises Arias Rambo: Sofia Buenaventura Leidi: Karen Quintero Schwedin: Laura Castrillón Zwerg: Deiby Rueda Lobo: Julián Giraldo Perro: Paul Cubides Bum Bum: Sneider Castro Dottora: Julianne Nicholson |
Laufzeit | 102 Minuten |
FSK | |
Veröffentlichung: 9. Oktober 2020 |
Der Herr der Fliegen ist omnipräsent. Egal, ob in Film (Maze Runner-Trilogie) oder Fernsehen (Lost): Wann immer eine Gruppe Menschen in isolierter Umgebung auf sich selbst gestellt sind, entwickeln sich eigene Gesetze und Regeln. Hierarchien entstehen, Machtverhältnisse müssen geklärt (oder noch rabiater demonstriert) werden und die schwächsten Glieder der Kette bekommen die neuen Strukturen am heftigsten zu spüren. All das findet auch in Monos statt, wo sich ziellose Jugendliche zwischen Anarchie und Diktatur einordnen müssen. Wo Essen knapp ist, Habsehlichkeiten nur bedingt transportiert werden können und die Gruppe nur durch Zusammenhalt bestehen kann. Diese Last inmitten der Pubertät, wo nicht nur der Drang nach Sexualität, sondern auch eigener Identität wächst – über der Gruppe schwebt ein Damoklesschwert.
Extremsituationen bringen Extreme hervor
Monos ist keine Abbildung der Realität. Weder geht es um Kolumbien, die Herkunft Landes’, noch um real existierende Gruppen. Im Vordergrund stehen die Gesetzlosigkeit und das Überleben jener, deren kriminelle Machenschaften sie dorthin treiben, wo sie sich verstecken können. Der Dschungel fordert Wach- und Achtsamkeit, alle Sinne sowie einen ausgeprägten Überlebensinstinkt. Der dichte Nebel über dem Dschungel steht dabei sinnbildlich für die fehlende Perspektive und die fehlende Orientierung der Gruppe, die anfangs auf den Hügeln noch vorhanden war. An eine Hauptfigur möchte sich Landes gar nicht hängen. Immer wieder wechselt die Erzählperspektive, die für Distanz sorgt und jeden Anflug von Identifikation tunlichst abwehrt. Man möchte meinen, dass es als Zuschauer das Einfachste ist, sich in die Rolle der Geisel zu begeben, doch selbst über die Dottora ist kaum etwas zu erfahren.
Kein Ort für zivilisiertes Miteinander
Manch einen mag all das an Apocalypse Now erinnern und der Vergleich kommt auch nicht von irgendwoher. Viel interessanter ist aber, dass Monos eigene Akzente setzt. Etwa mit seiner genderfluiden Charakterdarstellung. Es ist nicht immer offensichtlich in Junge und Mädchen einzuteilen. Mancher Junge erweckt den Anschein zarter Gebrechlichkeit, während burschikose Mädchen mit Waffen hantieren, als hätten sie nie anderes genutzt. In der aufkeimenden Sexualität ist man ohnehin nur auf die Anwesenden beschränkt und so wird mal hier, mal dort probiert. All das geschieht auf eine glaubhafte und natürliche Weise, dass keine einzige Szene Anlass gibt, das Gesehene kritisch zu hinterfragen. Sachlichen Umgang erfordert die Situation nicht, das bisschen Freiheit gehört allen Emotionen, die es herauszulassen gilt.
Dokumentarische Unruhe
Mit Jasper Wolfs (Boy 7) erhabenen, beinahe majestätischen Landschaftsaufnahmen beginnt die Handlung mitten im Geschehen. Mit ästhetischem Einfallsreichtum und wuchtigen Aufnahmen begleitet er die jungen Menschen auf ihrer rastlosen Mission. Das Ungewöhnliche daran ist die Herangehensweise des Regisseurs, der seine Szenerien nicht emotionalisiert, sondern beinahe dokuhaft in Szene rückt. Nur die eindringliche Filmmusik von Mica Levi (Under the Skin) erinnert immer wieder daran, dass Monos ein Spielfilm und keine Dokumentation ist. Der Dschungel bietet kaum einen Moment der Entspannung und das ist auch in vermeintlich ruhigen Momenten besonders dem Klangteppich des Künstlers zu verdanken.
Ein Dreh an Originalschauplätzen
Trotz Bildgewalt und akustischer Offenbarung vernachlässigt Monos sein Charakter-Ensemble nicht. Obwohl keine der Figuren eine schillernde Persönlichkeit besitzt, ist dem Drehbuch die Nähe zu jedem Einzelnen anzumerken und jedes Einzelschicksal bewegt auf irgendeine Art und Weise. Für die Darsteller setzte Landes auf einen Mix aus Laien und zwei erfahrenen Schauspielern. Zu letzteren zählen die Charakterdarstellerin Julianne Nicholson als Entführungsopfer sowie Moisés Arias, die den anderen Darstellern einiges an Erfahrung voraus sind. Die Drehbedingungen verlangten den Darstellern alles ab. Gefilmt wurde im dichten Dschungel, wo sich Kamerateams für üblich nicht bewegen, und die Darsteller durchliefen im Vorfeld ein anstrengendes Bootcamp, um der Herausforderung gewachsen zu sein.
Fazit
Irgendwo zwischen Abenteuer, Kriegsfilm und Psychodrama einzuordnen, ist Monos – Zwischen Himmel und Hölle ein bildgewaltiger und überwiegend ruhig erzählter Film, der trotz seiner vielen erzählerischen Distanzgräben sehr zugänglich bleibt. Ein Film, der wie geschaffen für die große Leinwand ist und die rauhe Natur so darstellt, dass wir ihr am liebsten aus dem Weg gehen wollen. Was macht der Krieg aus Menschen und Korruption aus unschuldigen Seelen? Die Antwort heißt Monos.
© LEONINE