Gideon Falls (Band 1)
Jeff Lemire ist einer jener Künstler, die zuerst nur als Geheimtipp galten. Mit Werken wie Sweet Tooth und Essex County konnte der Autor und Zeichner eine treue Fangemeinde finden und nachdem er sowohl für DC als auch Marvel ab diversen Superhelden-Titeln arbeitete, wurde er auch einem breiteren Publikum bekannt. Mit der Veröffentlichung von Descender und Black Hammer wurde der Splitter Verlag zur neuen, deutschen (Verlags-)Heimat von Jeff Lemire. Auch seine neuste Serie Gideon Falls hat sich der Verlag geschnappt. Mit Andrea Sorrentino, dem Partner seiner Arbeit an Old Man Logan, lädt Lemire die Leser ein, die Geheimnisse der Schwarzen Scheune zu lüften.
Im ersten Band von Gideon Falls werden uns die Geschichten von zwei Männern präsentiert, die anscheinend nichts miteinander zu tun haben: Ein junger Mann aus der Großstadt, der anscheinend unter psychischen Problemen leidet und ein älterer Pfarrer, der nach dem Tod des vorigen Pfarrers, dessen Stelle in Gideon Falls übernimmt. Beide Geschichten haben eine ein Verbindung miteinander, so viel ist klar, doch die Art und Weise wie die unterschiedlichen Erzählstränge gehandhabt werden, lässt einen fast glauben man, dass man zwei verschiedene Comics liest. Zumindest zu Beginn.
Wissenschaft, Glaube und die Schwarze Scheune
Originaltitel | Gideon Falls – Volume 1: The Black Barn |
Jahr | 2018 |
Land | USA |
Genre | Horror, Mystery |
Autor | Jeff Lemire |
Zeichner | Andrea Sorrentino |
Verlag | Splitter (2019) |
Norton, der junge Mann mit psychischen Problemen, stellt sich eigentlich als Paradebeispiel eines Patienten heraus. Zwar hat er seltsame Ticks und den Zwang manchmal im Müll zu wühlen, doch in den Augen seiner Psychologien hat er sich gut entwickelt. Dr. Xu hört ihm zu und er erklärt ihr auch warum er im Müll wühlt und was er glaubt dort zu finden. Natürlich klingt für sie der Teil mit der Scheune wie ein Hirngespinst, doch als die Teile, die Norton bisher gefunden hat aus seiner Wohnung verschwinden und auch vor Dr. Xu die Scheune erscheint, wird schnell klar, dass mehr an Nortons Wahnvorstellungen dran ist. In Gideon Falls übernimmt Pater Wilfred den Posten des verstorbenen Paters Tom. Von der alten Dame Gene wird in seine neue Wohnung in der Kirche gelassen und legt sich schließlich schlafen. In der Nacht wird er plötzlich aufgeweckt und zwar von niemand geringeren als dem vermeintlich verstorbenen Pater Tom. Natüröich will Pater Wilfred wissen was los ist und läuft Pater Tom nach auf ein Feld, wo plötzlich eine Scheune auftaucht. Als sie Sekunden später wieder verschwindet liegt dann die alte Dame Gene ermordert vor ihm in Feld und Pater Wilfred ist natürlich der Hauptverdächtige und wird eingesperrt. Manchem Leser dürfte zu diesem Zeitpunkt schon aufgefallen sein, dass die Farbe Rot von Kolorist Dave Stewart geschickt davon genutzt wird, um Verbindungen zur Schwarzen Scheune deutlich zu machen. Nortons Teile aus dem Müll, Pater Tom und auch die Scheune selbst, alles wird durch die Farbe verbunden.
Die Scheune und die Ackermänner
Zwar kann Pater Wilfred bald wieder entlassen werden, da mit Pater Toms Leiche, der wahre Täter gefunden wird, doch das sorgt nur für mehr Fragen. Warum hat ein vermeintlich Toter gemordet? Und warum schickt ein Deputy Pater Wilfred zu einem Mann namens Doc Sutton? Es klärt sich schnell auf, dass dieser Doc Sutton ein Mitglied der sogenannten Ackermänner ist, eine Gruppe die sich seit Jahrzenten mit der Schwarzen Scheune beschäftigt. Als hätte dieses neue Wissen etwas in Gang gesetzt fangen ab diesem Zeitpunkt an, sich die Ereignisse zu überschlagen. Gemeinsam mit dem Sherriff, die gleichzeitig Doc Suttons Tochter ist, fahrt Pater Wilfred zu einem Einsatz, der zwei Tote fordert. Der Mörder? Eigentlich ein Mitglied der Ackermänner namens Joe, doch auch er scheint irgendwie mit der Scheune in Kontakt gekommen zu sein und hat deshalb mörderische Tendenzen entwickelt. Dank seiner Tochter erfährt Pater Wilfred auch, dass Sutton glaubt, dass ihr Bruder ebenfalls ein Opfer der Schwarzen Scheune ist. Im finalen Akt von Band 1 sorgen Lemire und Sorrentino, mit starker Unterstützung von Stewart, in einer schwer in Worte zu fassenden Sequenz, dass der Leser vielleicht wie Norton etwas an seinem Verstand zu zweifeln beginnt. Pater Wilfred verfolgt Joe, der den Sherriff entführt hat, in die schwarze Scheune. Um die Natur der Schwarzen Scheune annähernd verständlich zu machen, liefern Lemire und Sorrentino ganz große Comickunst ab und schicken Pater Wilfred auf eine Reise quer durch Raum, Zeit und Wirklichkeit. Der Teufel steckt dabei, ganz sicher im Detail. Ganz zum Schluss, ist es aber nicht der Erzählstrang des Paters, sondern der von Norton, der die beiden für sich allein stehenden Geschichten vereint. Auch wenn dadurch nach der Lektüre von Band 1 nur mehr Fragen entstehen, anstatt beantwortet werden.
Fazit
Will man jemanden Comics vorstellen, die nicht nur von den DC- und Marvel-Helden handeln, so ist man mit Stoff von Jeff Lemire immer gut bedient. Nicht nur besitzt er ein breites Repertoire, wenn er nicht selbst zeichnet, arbeitet auch noch eine Menge an herausragenden Künstlern mit ihm. Andrea Sorrentinos Stil passt wie die Faust aufs Auge für die Stimmung von Gideon Falls. das irgendwo zwischen Horror und Mystery anzusiedeln ist. Mit seinem Stil vermittelt er auf der einen Seite perfekt Nortons labilen Geisteszustand, auf der anderen Seite kann er selbst mit simpelsten Zeichnungen ein richtiges Horror-Feeling aufkommen lassen. Die titelgebende Schwarze Scheune als bestes Beispiel dafür. “Creepy” passt ziemlich perfekt als Beschreibung dafür, welches Gefühl bei deren Anblick bei mir hochkommt. Lemires Story selbst ist in ihren Grundzügen ganz einfach: Böse Scheune taucht auf und macht Leute zu Mördern oder lässt sie verschwinden. Irgendwie kommt mir zwar der Gedanke, als kenne ich die Geschichte so oder so ähnlich, aber Lemire, Sorrentino und auch Dave Stewart als Kolorist, lassen alle Zahnräder perfekt einrasten und servieren Comickunst auf höchstem Niveau. Besonders bezeichnend dafür ist auch die Tatsache, dass selbst mehrmaliges Lesen noch dafür sorgt, dass einem neue Kleinigkeiten auffallen. Ich bin mehr als gespannt wie es weitergeht und vor allem wie der Cliffhanger aufgelöst wird. Andeutungen gab es ja, aber vielleicht überrascht mich Lemire dann doch.
© Splitter